immer wieder darauf zurück: die Bodenbildung, die über die Savannen zerstreuten Boskette aus kleinen Bäumen mit leder- artigen, glänzenden Blättern, die kleinen Bäche, die sich ein Bett im Fels graben und sich bald über fruchtbares ebenes Land, bald über kahle Granitbänke schlängeln, alles erinnert einen hier an die reizendsten, malerischten Partieen unserer Parkanlagen und Pflanzungen. Man meint mitten in der wilden Landschaft menschlicher Kunst und Spuren von Kultur zu begegnen.
Aber nicht nur durch die Bodenbildung zunächst bei der Mission Atures erhält die Gegend eine so auffallende Physio- gnomie: die hohen Berge, welche ringsum den Horizont be- grenzen, tragen durch ihre Form und die Art ihres Pflanzen- wuchses das Ihrige dazu bei. Diese Berge erheben sich meist nur 225 bis 260 m über die umgebenden Ebenen. Ihre Gipfel sind abgerundet, wie in den meisten Granitgebirgen, und mit einem dichten Walde von Laurineen bedeckt. Gruppen von Palmen (el Cucurito), deren gleich Federbüschen ge- kräuselte Blätter unter einem Winkel von 70 Grad maje- stätisch emporsteigen, stehen mitten unter Bäumen mit wage- rechten Aesten; ihre nackten Stämme schießen gleich 30 bis 40 m hohen Säulen in die Luft hinauf und heben sich vom blauen Himmel ab, "ein Wald über dem Walde". Wenn der Mond den Bergen von Uniana zu unterging und die rötliche Scheibe des Planeten sich hinter das gefiederte Laub der Palmen versteckte und dann wieder im Luftstrich zwischen beiden Wäl- dern zum Vorschein kam, so glaubte ich mich auf Augenblicke in die Einsiedelei des Alten versetzt, die Bernardin de Saint Pierre als eine der herrlichsten Gegenden auf der Insel Bourbon schildert, und fühlte so recht, wie sehr die Gewächse nach Wuchs und Gruppierung in beiden Welten einander gleichen. Mit der Beschreibung eines kleinen Erdwinkels auf einer Insel im Indischen Ozean hat der unnachahmliche Verfasser von Paul und Virginie vom gewaltigen Bilde der tropischen Landschaft eine Skizze entworfen. Er wußte die Natur zu schildern, nicht weil er sie als Forscher kannte, sondern weil er für all ihre harmonischen Verhältnisse in Gestaltung, Farbe und in- neren Kräften ein tiefes Gefühl besaß.
Oestlich von Atures, neben jenen abgerundeten Bergen, auf denen zwei Wälder von Laurineen und Palmen überein- ander stehen, erheben sich andere Berge von ganz verschiedenem Aussehen. Ihr Kamm ist mit gezackten Felsen besetzt, die
immer wieder darauf zurück: die Bodenbildung, die über die Savannen zerſtreuten Boskette aus kleinen Bäumen mit leder- artigen, glänzenden Blättern, die kleinen Bäche, die ſich ein Bett im Fels graben und ſich bald über fruchtbares ebenes Land, bald über kahle Granitbänke ſchlängeln, alles erinnert einen hier an die reizendſten, maleriſchten Partieen unſerer Parkanlagen und Pflanzungen. Man meint mitten in der wilden Landſchaft menſchlicher Kunſt und Spuren von Kultur zu begegnen.
Aber nicht nur durch die Bodenbildung zunächſt bei der Miſſion Atures erhält die Gegend eine ſo auffallende Phyſio- gnomie: die hohen Berge, welche ringsum den Horizont be- grenzen, tragen durch ihre Form und die Art ihres Pflanzen- wuchſes das Ihrige dazu bei. Dieſe Berge erheben ſich meiſt nur 225 bis 260 m über die umgebenden Ebenen. Ihre Gipfel ſind abgerundet, wie in den meiſten Granitgebirgen, und mit einem dichten Walde von Laurineen bedeckt. Gruppen von Palmen (el Cucurito), deren gleich Federbüſchen ge- kräuſelte Blätter unter einem Winkel von 70 Grad maje- ſtätiſch emporſteigen, ſtehen mitten unter Bäumen mit wage- rechten Aeſten; ihre nackten Stämme ſchießen gleich 30 bis 40 m hohen Säulen in die Luft hinauf und heben ſich vom blauen Himmel ab, „ein Wald über dem Walde“. Wenn der Mond den Bergen von Uniana zu unterging und die rötliche Scheibe des Planeten ſich hinter das gefiederte Laub der Palmen verſteckte und dann wieder im Luftſtrich zwiſchen beiden Wäl- dern zum Vorſchein kam, ſo glaubte ich mich auf Augenblicke in die Einſiedelei des Alten verſetzt, die Bernardin de Saint Pierre als eine der herrlichſten Gegenden auf der Inſel Bourbon ſchildert, und fühlte ſo recht, wie ſehr die Gewächſe nach Wuchs und Gruppierung in beiden Welten einander gleichen. Mit der Beſchreibung eines kleinen Erdwinkels auf einer Inſel im Indiſchen Ozean hat der unnachahmliche Verfaſſer von Paul und Virginie vom gewaltigen Bilde der tropiſchen Landſchaft eine Skizze entworfen. Er wußte die Natur zu ſchildern, nicht weil er ſie als Forſcher kannte, ſondern weil er für all ihre harmoniſchen Verhältniſſe in Geſtaltung, Farbe und in- neren Kräften ein tiefes Gefühl beſaß.
Oeſtlich von Atures, neben jenen abgerundeten Bergen, auf denen zwei Wälder von Laurineen und Palmen überein- ander ſtehen, erheben ſich andere Berge von ganz verſchiedenem Ausſehen. Ihr Kamm iſt mit gezackten Felſen beſetzt, die
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immer wieder darauf zurück: die Bodenbildung, die über die
Savannen zerſtreuten Boskette aus kleinen Bäumen mit leder-
artigen, glänzenden Blättern, die kleinen Bäche, die ſich ein
Bett im Fels graben und ſich bald über fruchtbares ebenes
Land, bald über kahle Granitbänke ſchlängeln, alles erinnert
einen hier an die reizendſten, maleriſchten Partieen unſerer
Parkanlagen und Pflanzungen. Man meint mitten in der
wilden Landſchaft menſchlicher Kunſt und Spuren von Kultur
zu begegnen.
Aber nicht nur durch die Bodenbildung zunächſt bei der
Miſſion Atures erhält die Gegend eine ſo auffallende Phyſio-
gnomie: die hohen Berge, welche ringsum den Horizont be-
grenzen, tragen durch ihre Form und die Art ihres Pflanzen-
wuchſes das Ihrige dazu bei. Dieſe Berge erheben ſich meiſt
nur 225 bis 260 m über die umgebenden Ebenen. Ihre
Gipfel ſind abgerundet, wie in den meiſten Granitgebirgen,
und mit einem dichten Walde von Laurineen bedeckt. Gruppen
von Palmen (el Cucurito), deren gleich Federbüſchen ge-
kräuſelte Blätter unter einem Winkel von 70 Grad maje-
ſtätiſch emporſteigen, ſtehen mitten unter Bäumen mit wage-
rechten Aeſten; ihre nackten Stämme ſchießen gleich 30 bis
40 m hohen Säulen in die Luft hinauf und heben ſich vom
blauen Himmel ab, „ein Wald über dem Walde“. Wenn der
Mond den Bergen von Uniana zu unterging und die rötliche
Scheibe des Planeten ſich hinter das gefiederte Laub der Palmen
verſteckte und dann wieder im Luftſtrich zwiſchen beiden Wäl-
dern zum Vorſchein kam, ſo glaubte ich mich auf Augenblicke
in die Einſiedelei des Alten verſetzt, die Bernardin de Saint
Pierre als eine der herrlichſten Gegenden auf der Inſel Bourbon
ſchildert, und fühlte ſo recht, wie ſehr die Gewächſe nach Wuchs
und Gruppierung in beiden Welten einander gleichen. Mit
der Beſchreibung eines kleinen Erdwinkels auf einer Inſel im
Indiſchen Ozean hat der unnachahmliche Verfaſſer von Paul
und Virginie vom gewaltigen Bilde der tropiſchen Landſchaft
eine Skizze entworfen. Er wußte die Natur zu ſchildern,
nicht weil er ſie als Forſcher kannte, ſondern weil er für all
ihre harmoniſchen Verhältniſſe in Geſtaltung, Farbe und in-
neren Kräften ein tiefes Gefühl beſaß.
Oeſtlich von Atures, neben jenen abgerundeten Bergen,
auf denen zwei Wälder von Laurineen und Palmen überein-
ander ſtehen, erheben ſich andere Berge von ganz verſchiedenem
Ausſehen. Ihr Kamm iſt mit gezackten Felſen beſetzt, die
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/130>, abgerufen am 16.07.2024.
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