finden schienen, haben Irrtümer verbreiten helfen, die sich jahrhundertelang erhalten haben. In der ersten Ausgabe seiner großen Karte von Südamerika (eine sehr seltene Aus- gabe, die ich auf der großen Pariser Bibliothek gefunden habe) zeichnete d'Anville den Rio Negro als einen Arm des Orinoko, der vom Hauptstrome zwischen den Einflüssen des Meta und des Vichada, in der Nähe des Katarakts von Los Astures (Atures) abgeht. Diesem großen Geographen war damals die Existenz des Cassiquiare und des Atabapo ganz unbekannt, und er ließ den Orinoko oder Rio Paragua, den Japura und den Putumayo aus drei Zweigen des Caqueta entspringen. Erst durch die Grenzexpedition unter dem Befehl Ituriagas und Solanos wurde das wahre Verhältnis bekannt. Solano war als Ingenieur bei der Expedition und ging im Jahre 1756 über die großen Katarakte bis zum Einflusse des Guaviare hinauf. Er sah, daß man, um auf dem Orinoko weiter hinauf- zukommen, sich ostwärts wenden müsse, und daß die Wasser des Guaviare, der 9 km weiter oben den Atabapo aufgenommen hat, da hereinkommen, wo der Strom unter 4° 4' der Breite die große Wendung macht. Da Solano daran gelegen war, den portugiesischen Besitzungen so nahe als möglich zu kommen, so entschloß er sich, gegen Süd vorzudringen. Er fand am Zusammenflusse des Atabapo und Guaviare Indianer von der kriegerischen Nation der Guaypunabis angesiedelt. Er lockte sie durch Geschenke an sich und gründete mit ihnen die Mission San Fernando, die er, in der Hoffnung, sich beim Ministerium in Madrid wichtig zu machen, emphatisch Villa betitelte.
Um die politische Bedeutung dieser Niederlassung zu würdigen, muß man die damaligen Machtverhältnisse zwischen den kleinen Indianerstämmen in Guyana ins Auge fassen. Die Ufer des unteren Orinoko waren lange der Schauplatz der blutigen Kämpfe zwischen zwei mächtigen Völkern, den Cabres und den Kariben, gewesen. Letztere, deren eigentliche Wohnsitze seit dem Ende des 17. Jahrhunderts zwischen den Quellen des Carony, des Essequibo, des Orinoko und des Rio Parime liegen, waren nicht allein bis zu den großen Katarakten Herren des Landes, sie machten auch Einfälle in die Länder am oberen Orinoko, und zwar über die Trage- plätze zwischen dem Paruspa und dem Caura, dem Erevato und dem Ventuari, dem Conorichite und dem Atacavi. Nie- mand wußte so gut, wie sich die Flüsse verzweigen, wo die
finden ſchienen, haben Irrtümer verbreiten helfen, die ſich jahrhundertelang erhalten haben. In der erſten Ausgabe ſeiner großen Karte von Südamerika (eine ſehr ſeltene Aus- gabe, die ich auf der großen Pariſer Bibliothek gefunden habe) zeichnete d’Anville den Rio Negro als einen Arm des Orinoko, der vom Hauptſtrome zwiſchen den Einflüſſen des Meta und des Vichada, in der Nähe des Katarakts von Los Aſtures (Atures) abgeht. Dieſem großen Geographen war damals die Exiſtenz des Caſſiquiare und des Atabapo ganz unbekannt, und er ließ den Orinoko oder Rio Paragua, den Japura und den Putumayo aus drei Zweigen des Caqueta entſpringen. Erſt durch die Grenzexpedition unter dem Befehl Ituriagas und Solanos wurde das wahre Verhältnis bekannt. Solano war als Ingenieur bei der Expedition und ging im Jahre 1756 über die großen Katarakte bis zum Einfluſſe des Guaviare hinauf. Er ſah, daß man, um auf dem Orinoko weiter hinauf- zukommen, ſich oſtwärts wenden müſſe, und daß die Waſſer des Guaviare, der 9 km weiter oben den Atabapo aufgenommen hat, da hereinkommen, wo der Strom unter 4° 4′ der Breite die große Wendung macht. Da Solano daran gelegen war, den portugieſiſchen Beſitzungen ſo nahe als möglich zu kommen, ſo entſchloß er ſich, gegen Süd vorzudringen. Er fand am Zuſammenfluſſe des Atabapo und Guaviare Indianer von der kriegeriſchen Nation der Guaypunabis angeſiedelt. Er lockte ſie durch Geſchenke an ſich und gründete mit ihnen die Miſſion San Fernando, die er, in der Hoffnung, ſich beim Miniſterium in Madrid wichtig zu machen, emphatiſch Villa betitelte.
Um die politiſche Bedeutung dieſer Niederlaſſung zu würdigen, muß man die damaligen Machtverhältniſſe zwiſchen den kleinen Indianerſtämmen in Guyana ins Auge faſſen. Die Ufer des unteren Orinoko waren lange der Schauplatz der blutigen Kämpfe zwiſchen zwei mächtigen Völkern, den Cabres und den Kariben, geweſen. Letztere, deren eigentliche Wohnſitze ſeit dem Ende des 17. Jahrhunderts zwiſchen den Quellen des Carony, des Eſſequibo, des Orinoko und des Rio Parime liegen, waren nicht allein bis zu den großen Katarakten Herren des Landes, ſie machten auch Einfälle in die Länder am oberen Orinoko, und zwar über die Trage- plätze zwiſchen dem Paruspa und dem Caura, dem Erevato und dem Ventuari, dem Conorichite und dem Atacavi. Nie- mand wußte ſo gut, wie ſich die Flüſſe verzweigen, wo die
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finden ſchienen, haben Irrtümer verbreiten helfen, die ſich
jahrhundertelang erhalten haben. In der erſten Ausgabe
ſeiner großen Karte von Südamerika (eine ſehr ſeltene Aus-
gabe, die ich auf der großen Pariſer Bibliothek gefunden habe)
zeichnete d’Anville den Rio Negro als einen Arm des Orinoko,
der vom Hauptſtrome zwiſchen den Einflüſſen des Meta und
des Vichada, in der Nähe des Katarakts von Los Aſtures
(Atures) abgeht. Dieſem großen Geographen war damals
die Exiſtenz des Caſſiquiare und des Atabapo ganz unbekannt,
und er ließ den Orinoko oder Rio Paragua, den Japura und
den Putumayo aus drei Zweigen des Caqueta entſpringen.
Erſt durch die Grenzexpedition unter dem Befehl Ituriagas
und Solanos wurde das wahre Verhältnis bekannt. Solano
war als Ingenieur bei der Expedition und ging im Jahre 1756
über die großen Katarakte bis zum Einfluſſe des Guaviare
hinauf. Er ſah, daß man, um auf dem Orinoko weiter hinauf-
zukommen, ſich oſtwärts wenden müſſe, und daß die Waſſer
des Guaviare, der 9 km weiter oben den Atabapo aufgenommen
hat, da hereinkommen, wo der Strom unter 4° 4′ der Breite
die große Wendung macht. Da Solano daran gelegen war,
den portugieſiſchen Beſitzungen ſo nahe als möglich zu kommen,
ſo entſchloß er ſich, gegen Süd vorzudringen. Er fand am
Zuſammenfluſſe des Atabapo und Guaviare Indianer von
der kriegeriſchen Nation der Guaypunabis angeſiedelt. Er
lockte ſie durch Geſchenke an ſich und gründete mit ihnen die
Miſſion San Fernando, die er, in der Hoffnung, ſich beim
Miniſterium in Madrid wichtig zu machen, emphatiſch Villa
betitelte.
Um die politiſche Bedeutung dieſer Niederlaſſung zu
würdigen, muß man die damaligen Machtverhältniſſe zwiſchen
den kleinen Indianerſtämmen in Guyana ins Auge faſſen.
Die Ufer des unteren Orinoko waren lange der Schauplatz
der blutigen Kämpfe zwiſchen zwei mächtigen Völkern, den
Cabres und den Kariben, geweſen. Letztere, deren eigentliche
Wohnſitze ſeit dem Ende des 17. Jahrhunderts zwiſchen den
Quellen des Carony, des Eſſequibo, des Orinoko und des
Rio Parime liegen, waren nicht allein bis zu den großen
Katarakten Herren des Landes, ſie machten auch Einfälle in
die Länder am oberen Orinoko, und zwar über die Trage-
plätze zwiſchen dem Paruspa und dem Caura, dem Erevato
und dem Ventuari, dem Conorichite und dem Atacavi. Nie-
mand wußte ſo gut, wie ſich die Flüſſe verzweigen, wo die
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/209>, abgerufen am 21.07.2024.
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