Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.schwärzlichte Wolke, deren Umrisse sich jeden Augenblick ver- Wo das Gestade eine bedeutende Breite hat, bleibt die ſchwärzlichte Wolke, deren Umriſſe ſich jeden Augenblick ver- Wo das Geſtade eine bedeutende Breite hat, bleibt die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0027" n="19"/> ſchwärzlichte Wolke, deren Umriſſe ſich jeden Augenblick ver-<lb/> ändern. Der Fluß wird allmählich breiter. Das eine Ufer<lb/> iſt meiſt dürr und ſandig infolge der Ueberſchwemmungen;<lb/> das andere iſt höher und mit hochſtämmigen Bäumen be-<lb/> wachſen. Hin und wieder iſt der Fluß zu beiden Seiten be-<lb/> waldet und bildet einen geraden, 290 <hi rendition="#aq">m</hi> breiten Kanal. Die<lb/> Stellung der Bäume iſt ſehr merkwürdig. Vorne ſieht man<lb/> Büſche von <hi rendition="#g">Sauſo</hi> <hi rendition="#aq">(Hermesia castaneifolia),</hi> die gleichſam<lb/> eine 1,3 <hi rendition="#aq">m</hi> hohe Hecke bilden, und es iſt, als wäre dieſe künſtlich<lb/> beſchnitten. Hinter dieſer Hecke kommt ein Gehölz von Ce-<lb/> drela, Braſilholz und Gayac. Die Palmen ſind ziemlich ſelten;<lb/> man ſieht nur hie und da einen Stamm der Corozo- und<lb/> der ſtacheligen Piritupalme. Die großen Vierfüßer dieſes<lb/> Landſtriches, die Tiger, Tapire und Pecariſchweine, haben<lb/> Durchgänge in die eben beſchriebene Sauſohecke gebrochen,<lb/> durch die ſie zum Trinken an den Strom gehen. Da ſie ſich<lb/> nicht viel daraus machen, wenn ein Kanoe herbeikommt, hat<lb/> man den Genuß, ſie langſam am Ufer hinſtreichen zu ſehen,<lb/> bis ſie durch eine der ſchmalen Lücken im Gebüſch im Walde<lb/> verſchwinden. Ich geſtehe, dieſe Auftritte, ſo oft ſie vor-<lb/> kamen, behielten immer großen Reiz für mich. Die Luſt, die<lb/> man empfindet, beruht nicht allein auf dem Intereſſe des<lb/> Naturforſchers, ſondern daneben auf einer Empfindung, die<lb/> allein im Schoße der Kultur aufgewachſenen Menſchen gemein<lb/> iſt. Man ſieht ſich einer neuen Welt, einer wilden, unge-<lb/> zähmten Natur gegenüber. Bald zeigt ſich am Geſtade der<lb/> Jaguar, der ſchöne amerikaniſche Panther; bald wandelt der<lb/> Hocco (<hi rendition="#aq">Crax alector</hi>) mit ſchwarzem Gefieder und dem Feder-<lb/> buſch langſam an der Uferhecke hin. Tiere der verſchiedenſten<lb/> Klaſſen löſen einander ab. <hi rendition="#aq">„Es como en el Paraiso“</hi> (es<lb/> iſt wie im Paradies), ſagte unſer Steuermann, ein alter<lb/> Indianer aus den Miſſionen. Und wirklich, alles erinnert<lb/> hier an den Urzuſtand der Welt, deſſen Unſchuld und Glück<lb/> uralte ehrwürdige Ueberlieferungen allen Völkern vor Augen<lb/> ſtellen; beobachtet man aber das gegenſeitige Verhalten der<lb/> Tiere genau, ſo zeigt es ſich, daß ſie einander fürchten und<lb/> meiden. Das goldene Zeitalter iſt vorbei, und in dieſem<lb/> Paradies der amerikaniſchen Wälder, wie allerorten, hat lange<lb/> traurige Erfahrung alle Geſchöpfe gelehrt, daß Sanftmut und<lb/> Stärke ſelten beiſammen ſind.</p><lb/> <p>Wo das Geſtade eine bedeutende Breite hat, bleibt die<lb/> Reihe von Sauſobüſchen weiter vom Strome weg. Auf dieſem<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [19/0027]
ſchwärzlichte Wolke, deren Umriſſe ſich jeden Augenblick ver-
ändern. Der Fluß wird allmählich breiter. Das eine Ufer
iſt meiſt dürr und ſandig infolge der Ueberſchwemmungen;
das andere iſt höher und mit hochſtämmigen Bäumen be-
wachſen. Hin und wieder iſt der Fluß zu beiden Seiten be-
waldet und bildet einen geraden, 290 m breiten Kanal. Die
Stellung der Bäume iſt ſehr merkwürdig. Vorne ſieht man
Büſche von Sauſo (Hermesia castaneifolia), die gleichſam
eine 1,3 m hohe Hecke bilden, und es iſt, als wäre dieſe künſtlich
beſchnitten. Hinter dieſer Hecke kommt ein Gehölz von Ce-
drela, Braſilholz und Gayac. Die Palmen ſind ziemlich ſelten;
man ſieht nur hie und da einen Stamm der Corozo- und
der ſtacheligen Piritupalme. Die großen Vierfüßer dieſes
Landſtriches, die Tiger, Tapire und Pecariſchweine, haben
Durchgänge in die eben beſchriebene Sauſohecke gebrochen,
durch die ſie zum Trinken an den Strom gehen. Da ſie ſich
nicht viel daraus machen, wenn ein Kanoe herbeikommt, hat
man den Genuß, ſie langſam am Ufer hinſtreichen zu ſehen,
bis ſie durch eine der ſchmalen Lücken im Gebüſch im Walde
verſchwinden. Ich geſtehe, dieſe Auftritte, ſo oft ſie vor-
kamen, behielten immer großen Reiz für mich. Die Luſt, die
man empfindet, beruht nicht allein auf dem Intereſſe des
Naturforſchers, ſondern daneben auf einer Empfindung, die
allein im Schoße der Kultur aufgewachſenen Menſchen gemein
iſt. Man ſieht ſich einer neuen Welt, einer wilden, unge-
zähmten Natur gegenüber. Bald zeigt ſich am Geſtade der
Jaguar, der ſchöne amerikaniſche Panther; bald wandelt der
Hocco (Crax alector) mit ſchwarzem Gefieder und dem Feder-
buſch langſam an der Uferhecke hin. Tiere der verſchiedenſten
Klaſſen löſen einander ab. „Es como en el Paraiso“ (es
iſt wie im Paradies), ſagte unſer Steuermann, ein alter
Indianer aus den Miſſionen. Und wirklich, alles erinnert
hier an den Urzuſtand der Welt, deſſen Unſchuld und Glück
uralte ehrwürdige Ueberlieferungen allen Völkern vor Augen
ſtellen; beobachtet man aber das gegenſeitige Verhalten der
Tiere genau, ſo zeigt es ſich, daß ſie einander fürchten und
meiden. Das goldene Zeitalter iſt vorbei, und in dieſem
Paradies der amerikaniſchen Wälder, wie allerorten, hat lange
traurige Erfahrung alle Geſchöpfe gelehrt, daß Sanftmut und
Stärke ſelten beiſammen ſind.
Wo das Geſtade eine bedeutende Breite hat, bleibt die
Reihe von Sauſobüſchen weiter vom Strome weg. Auf dieſem
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