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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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auf der Reise von Caracas an den Rio Negro begleitete, im
Flusse von einem ungeheuern Krokodil verfolgt; es war schon
ganz nahe an ihm und der Hund entging seinem Feinde nur
dadurch, daß er umwandte und auf einmal gegen den Strom
schwamm. Das Krokodil führte nun dieselbe Bewegung aus,
aber weit langsamer als der Hund, und dieser erreichte glücklich
das Ufer.

Die Krokodile im Apure finden reichliche Nahrung an den
Chiguire (Cavia Capybara, Wasserschwein), die in Rudeln
von 50 bis 60 Stücken an den Flußufern leben. Diese un-
glücklichen Tiere, von der Größe unserer Schweine, besitzen
keinerlei Waffe, sich zu wehren; sie schwimmen etwas besser,
als sie laufen; aber auf dem Wasser werden sie eine Beute
der Krokodile und am Lande werden sie von den Tigern ge-
fressen. Man begreift kaum, wie sie bei den Nachstellungen
zweier gewaltigen Feinde so zahlreich sein können; sie ver-
mehren sich aber so rasch wie die Cobayes, oder Meer-
schweinchen, die aus Brasilien zu uns gekommen sind.

Unterhalb der Einmündung des Canno de la Tigrera, in
einer Bucht, Vuelta del Joval genannt, legten wir an, um
die Schnelligkeit der Strömung an der Oberfläche zu messen;
sie betrug nur 1,13 m in der Sekunde, was 0,83 m mittlere
Geschwindigkeit ergibt.1 Die Barometerhöhen ergaben, unter
Berücksichtigung der kleinen stündlichen Abweichungen, ein
Gefälle von kaum 45 cm auf die Seemeile (zu 1855 km).
Die Geschwindigkeit ist das Produkt zweier Momente, des
Falles des Bodens und des Steigens des Wassers im oberen
Stromgebiete. Auch hier sahen wir uns von Chiguire um-
geben, die beim Schwimmen wie die Hunde Kopf und Hals
aus dem Wasser strecken. Auf dem Strande gegenüber sahen
wir zu unserer Ueberraschung ein mächtiges Krokodil mitten
unter diesen Nagetieren regungslos daliegen und schlafen.
Es erwachte, als wir mit unserer Piroge näher kamen, und
ging langsam dem Wasser zu, ohne daß die Chiguire un-
ruhig wurden. Unsere Indianer sahen den Grund dieser
Gleichgültigkeit in der Dummheit des Tieres; wahrscheinlich
aber wissen die Chiguire aus langer Erfahrung, daß das

1 Um die Geschwindigkeit eines Stromes an der Oberfläche zu
ermitteln, maß ich meist am Ufer eine Standlinie von 81 m ab
und bemerkte mit dem Chronometer die Zeit, die ein frei im Strom
schwimmender Körper brauchte, um dieselbe Strecke zurückzulegen.

auf der Reiſe von Caracas an den Rio Negro begleitete, im
Fluſſe von einem ungeheuern Krokodil verfolgt; es war ſchon
ganz nahe an ihm und der Hund entging ſeinem Feinde nur
dadurch, daß er umwandte und auf einmal gegen den Strom
ſchwamm. Das Krokodil führte nun dieſelbe Bewegung aus,
aber weit langſamer als der Hund, und dieſer erreichte glücklich
das Ufer.

Die Krokodile im Apure finden reichliche Nahrung an den
Chiguire (Cavia Capybara, Waſſerſchwein), die in Rudeln
von 50 bis 60 Stücken an den Flußufern leben. Dieſe un-
glücklichen Tiere, von der Größe unſerer Schweine, beſitzen
keinerlei Waffe, ſich zu wehren; ſie ſchwimmen etwas beſſer,
als ſie laufen; aber auf dem Waſſer werden ſie eine Beute
der Krokodile und am Lande werden ſie von den Tigern ge-
freſſen. Man begreift kaum, wie ſie bei den Nachſtellungen
zweier gewaltigen Feinde ſo zahlreich ſein können; ſie ver-
mehren ſich aber ſo raſch wie die Cobayes, oder Meer-
ſchweinchen, die aus Braſilien zu uns gekommen ſind.

Unterhalb der Einmündung des Caño de la Tigrera, in
einer Bucht, Vuelta del Joval genannt, legten wir an, um
die Schnelligkeit der Strömung an der Oberfläche zu meſſen;
ſie betrug nur 1,13 m in der Sekunde, was 0,83 m mittlere
Geſchwindigkeit ergibt.1 Die Barometerhöhen ergaben, unter
Berückſichtigung der kleinen ſtündlichen Abweichungen, ein
Gefälle von kaum 45 cm auf die Seemeile (zu 1855 km).
Die Geſchwindigkeit iſt das Produkt zweier Momente, des
Falles des Bodens und des Steigens des Waſſers im oberen
Stromgebiete. Auch hier ſahen wir uns von Chiguire um-
geben, die beim Schwimmen wie die Hunde Kopf und Hals
aus dem Waſſer ſtrecken. Auf dem Strande gegenüber ſahen
wir zu unſerer Ueberraſchung ein mächtiges Krokodil mitten
unter dieſen Nagetieren regungslos daliegen und ſchlafen.
Es erwachte, als wir mit unſerer Piroge näher kamen, und
ging langſam dem Waſſer zu, ohne daß die Chiguire un-
ruhig wurden. Unſere Indianer ſahen den Grund dieſer
Gleichgültigkeit in der Dummheit des Tieres; wahrſcheinlich
aber wiſſen die Chiguire aus langer Erfahrung, daß das

1 Um die Geſchwindigkeit eines Stromes an der Oberfläche zu
ermitteln, maß ich meiſt am Ufer eine Standlinie von 81 m ab
und bemerkte mit dem Chronometer die Zeit, die ein frei im Strom
ſchwimmender Körper brauchte, um dieſelbe Strecke zurückzulegen.
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[22/0030] auf der Reiſe von Caracas an den Rio Negro begleitete, im Fluſſe von einem ungeheuern Krokodil verfolgt; es war ſchon ganz nahe an ihm und der Hund entging ſeinem Feinde nur dadurch, daß er umwandte und auf einmal gegen den Strom ſchwamm. Das Krokodil führte nun dieſelbe Bewegung aus, aber weit langſamer als der Hund, und dieſer erreichte glücklich das Ufer. Die Krokodile im Apure finden reichliche Nahrung an den Chiguire (Cavia Capybara, Waſſerſchwein), die in Rudeln von 50 bis 60 Stücken an den Flußufern leben. Dieſe un- glücklichen Tiere, von der Größe unſerer Schweine, beſitzen keinerlei Waffe, ſich zu wehren; ſie ſchwimmen etwas beſſer, als ſie laufen; aber auf dem Waſſer werden ſie eine Beute der Krokodile und am Lande werden ſie von den Tigern ge- freſſen. Man begreift kaum, wie ſie bei den Nachſtellungen zweier gewaltigen Feinde ſo zahlreich ſein können; ſie ver- mehren ſich aber ſo raſch wie die Cobayes, oder Meer- ſchweinchen, die aus Braſilien zu uns gekommen ſind. Unterhalb der Einmündung des Caño de la Tigrera, in einer Bucht, Vuelta del Joval genannt, legten wir an, um die Schnelligkeit der Strömung an der Oberfläche zu meſſen; ſie betrug nur 1,13 m in der Sekunde, was 0,83 m mittlere Geſchwindigkeit ergibt. 1 Die Barometerhöhen ergaben, unter Berückſichtigung der kleinen ſtündlichen Abweichungen, ein Gefälle von kaum 45 cm auf die Seemeile (zu 1855 km). Die Geſchwindigkeit iſt das Produkt zweier Momente, des Falles des Bodens und des Steigens des Waſſers im oberen Stromgebiete. Auch hier ſahen wir uns von Chiguire um- geben, die beim Schwimmen wie die Hunde Kopf und Hals aus dem Waſſer ſtrecken. Auf dem Strande gegenüber ſahen wir zu unſerer Ueberraſchung ein mächtiges Krokodil mitten unter dieſen Nagetieren regungslos daliegen und ſchlafen. Es erwachte, als wir mit unſerer Piroge näher kamen, und ging langſam dem Waſſer zu, ohne daß die Chiguire un- ruhig wurden. Unſere Indianer ſahen den Grund dieſer Gleichgültigkeit in der Dummheit des Tieres; wahrſcheinlich aber wiſſen die Chiguire aus langer Erfahrung, daß das 1 Um die Geſchwindigkeit eines Stromes an der Oberfläche zu ermitteln, maß ich meiſt am Ufer eine Standlinie von 81 m ab und bemerkte mit dem Chronometer die Zeit, die ein frei im Strom ſchwimmender Körper brauchte, um dieſelbe Strecke zurückzulegen.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/30>, abgerufen am 21.11.2024.