Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

stand an der Ausmündung des Apure in den Orinoko 778 mm
hoch. Rechnet man die ganze Länge des Weges (die Krüm-
mungen des Stromes mitgerechnet) 1 zu 175 km, und nimmt
man die kleine, wegen der stündlichen Schwankung des Baro-
meters vorzunehmende Korrektion in Rechnung, so ergibt sich
im Durchschnitt ein Gefälle von 346 mm auf 1855 m. La
Condamine und der gelehrte Major Rennel glauben, daß der
Fall des Amazonenstromes und des Ganges durchschnittlich
kaum 10 bis 14 cm auf 1855 m beträgt.

Wir fuhren, ehe wir in den Orinoko einliefen, mehrmals
auf; die Anschwemmungen sind beim Zusammenfluß der beiden
Ströme ungeheuer groß. Wir mußten uns längs des Ufers
am Tau ziehen lassen. Welcher Kontrast zwischen diesem Zu-
stande des Stromes unmittelbar vor dem Beginn der Regen-
zeit, wo die Wirkungen der Trockenheit der Luft und der
Verdunstung ihr Maximum erreicht haben, und dem Stande
im Herbste, wo der Apure gleich einem Meeresarm, so weit
das Auge reicht, über den Grasfluren steht! Gegen Süd
sahen wir die einzelstehenden Hügel bei Coruato; im Osten
fingen die Granitfelsen von Curiquima, der Zuckerhut von
Caycara und die Cerros del Tirano an, über den Horizont
emporzusteigen. Mit einem gewissen Gefühl der Rührung
sahen wir zum erstenmal, wonach wir uns so lange gesehnt,
die Gewässer des Orinoko, an einem von der Meeresküste so
weit entfernten Punkte.



1 Ich schätze sie auf ein Vierteil der geraden Entfernung.

ſtand an der Ausmündung des Apure in den Orinoko 778 mm
hoch. Rechnet man die ganze Länge des Weges (die Krüm-
mungen des Stromes mitgerechnet) 1 zu 175 km, und nimmt
man die kleine, wegen der ſtündlichen Schwankung des Baro-
meters vorzunehmende Korrektion in Rechnung, ſo ergibt ſich
im Durchſchnitt ein Gefälle von 346 mm auf 1855 m. La
Condamine und der gelehrte Major Rennel glauben, daß der
Fall des Amazonenſtromes und des Ganges durchſchnittlich
kaum 10 bis 14 cm auf 1855 m beträgt.

Wir fuhren, ehe wir in den Orinoko einliefen, mehrmals
auf; die Anſchwemmungen ſind beim Zuſammenfluß der beiden
Ströme ungeheuer groß. Wir mußten uns längs des Ufers
am Tau ziehen laſſen. Welcher Kontraſt zwiſchen dieſem Zu-
ſtande des Stromes unmittelbar vor dem Beginn der Regen-
zeit, wo die Wirkungen der Trockenheit der Luft und der
Verdunſtung ihr Maximum erreicht haben, und dem Stande
im Herbſte, wo der Apure gleich einem Meeresarm, ſo weit
das Auge reicht, über den Grasfluren ſteht! Gegen Süd
ſahen wir die einzelſtehenden Hügel bei Coruato; im Oſten
fingen die Granitfelſen von Curiquima, der Zuckerhut von
Caycara und die Cerros del Tirano an, über den Horizont
emporzuſteigen. Mit einem gewiſſen Gefühl der Rührung
ſahen wir zum erſtenmal, wonach wir uns ſo lange geſehnt,
die Gewäſſer des Orinoko, an einem von der Meeresküſte ſo
weit entfernten Punkte.



1 Ich ſchätze ſie auf ein Vierteil der geraden Entfernung.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0046" n="38"/>
&#x017F;tand an der Ausmündung des Apure in den Orinoko 778 <hi rendition="#aq">mm</hi><lb/>
hoch. Rechnet man die ganze Länge des Weges (die Krüm-<lb/>
mungen des Stromes mitgerechnet) <note place="foot" n="1">Ich &#x017F;chätze &#x017F;ie auf ein Vierteil der geraden Entfernung.</note> zu 175 <hi rendition="#aq">km</hi>, und nimmt<lb/>
man die kleine, wegen der &#x017F;tündlichen Schwankung des Baro-<lb/>
meters vorzunehmende Korrektion in Rechnung, &#x017F;o ergibt &#x017F;ich<lb/>
im Durch&#x017F;chnitt ein Gefälle von 346 <hi rendition="#aq">mm</hi> auf 1855 <hi rendition="#aq">m.</hi> La<lb/>
Condamine und der gelehrte Major Rennel glauben, daß der<lb/>
Fall des Amazonen&#x017F;tromes und des Ganges durch&#x017F;chnittlich<lb/>
kaum 10 bis 14 <hi rendition="#aq">cm</hi> auf 1855 <hi rendition="#aq">m</hi> beträgt.</p><lb/>
          <p>Wir fuhren, ehe wir in den Orinoko einliefen, mehrmals<lb/>
auf; die An&#x017F;chwemmungen &#x017F;ind beim Zu&#x017F;ammenfluß der beiden<lb/>
Ströme ungeheuer groß. Wir mußten uns längs des Ufers<lb/>
am Tau ziehen la&#x017F;&#x017F;en. Welcher Kontra&#x017F;t zwi&#x017F;chen die&#x017F;em Zu-<lb/>
&#x017F;tande des Stromes unmittelbar vor dem Beginn der Regen-<lb/>
zeit, wo die Wirkungen der Trockenheit der Luft und der<lb/>
Verdun&#x017F;tung ihr Maximum erreicht haben, und dem Stande<lb/>
im Herb&#x017F;te, wo der Apure gleich einem Meeresarm, &#x017F;o weit<lb/>
das Auge reicht, über den Grasfluren &#x017F;teht! Gegen Süd<lb/>
&#x017F;ahen wir die einzel&#x017F;tehenden Hügel bei Coruato; im O&#x017F;ten<lb/>
fingen die Granitfel&#x017F;en von Curiquima, der Zuckerhut von<lb/>
Caycara und die Cerros del Tirano an, über den Horizont<lb/>
emporzu&#x017F;teigen. Mit einem gewi&#x017F;&#x017F;en Gefühl der Rührung<lb/>
&#x017F;ahen wir zum er&#x017F;tenmal, wonach wir uns &#x017F;o lange ge&#x017F;ehnt,<lb/>
die Gewä&#x017F;&#x017F;er des Orinoko, an einem von der Meereskü&#x017F;te &#x017F;o<lb/>
weit entfernten Punkte.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[38/0046] ſtand an der Ausmündung des Apure in den Orinoko 778 mm hoch. Rechnet man die ganze Länge des Weges (die Krüm- mungen des Stromes mitgerechnet) 1 zu 175 km, und nimmt man die kleine, wegen der ſtündlichen Schwankung des Baro- meters vorzunehmende Korrektion in Rechnung, ſo ergibt ſich im Durchſchnitt ein Gefälle von 346 mm auf 1855 m. La Condamine und der gelehrte Major Rennel glauben, daß der Fall des Amazonenſtromes und des Ganges durchſchnittlich kaum 10 bis 14 cm auf 1855 m beträgt. Wir fuhren, ehe wir in den Orinoko einliefen, mehrmals auf; die Anſchwemmungen ſind beim Zuſammenfluß der beiden Ströme ungeheuer groß. Wir mußten uns längs des Ufers am Tau ziehen laſſen. Welcher Kontraſt zwiſchen dieſem Zu- ſtande des Stromes unmittelbar vor dem Beginn der Regen- zeit, wo die Wirkungen der Trockenheit der Luft und der Verdunſtung ihr Maximum erreicht haben, und dem Stande im Herbſte, wo der Apure gleich einem Meeresarm, ſo weit das Auge reicht, über den Grasfluren ſteht! Gegen Süd ſahen wir die einzelſtehenden Hügel bei Coruato; im Oſten fingen die Granitfelſen von Curiquima, der Zuckerhut von Caycara und die Cerros del Tirano an, über den Horizont emporzuſteigen. Mit einem gewiſſen Gefühl der Rührung ſahen wir zum erſtenmal, wonach wir uns ſo lange geſehnt, die Gewäſſer des Orinoko, an einem von der Meeresküſte ſo weit entfernten Punkte. 1 Ich ſchätze ſie auf ein Vierteil der geraden Entfernung.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/46
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial03_1859/46>, abgerufen am 21.11.2024.