Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.eine hübsche Piroge abzutreten; ja der Missionär von Atures Die Versammlung der Indianer bei Pararuma bot uns Die rote Bemalung ist gleichsam die einzige Bekleidung 1 Volney
eine hübſche Piroge abzutreten; ja der Miſſionär von Atures Die Verſammlung der Indianer bei Pararuma bot uns Die rote Bemalung iſt gleichſam die einzige Bekleidung 1 Volney
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0074" n="66"/> eine hübſche Piroge abzutreten; ja der Miſſionär von Atures<lb/> und Maypures bei den großen Katarakten, Pater Bernardo<lb/> Zea, erbot ſich, obgleich er krank war, uns bis zur Grenze<lb/> von Braſilien zu begleiten. Der Indianer, welche die Kanoen<lb/> über die <hi rendition="#g">Raudales</hi> hinaufſchaffen helfen, ſind ſo wenige,<lb/> daß wir, hätten wir keinen Mönch bei uns gehabt, Gefahr<lb/> gelaufen wären, wochenlang an dieſem feuchten, ungeſunden<lb/> Orte liegen bleiben zu müſſen. An den Ufern des Orinoko<lb/> gelten die Wälder am Rio Negro für ein köſtliches Land.<lb/> Wirklich iſt auch die Luft dort friſcher und geſünder, und es<lb/> gibt im Fluſſe faſt keine Krokodile; man kann unbeſorgt baden<lb/> und iſt bei Tag und Nacht weniger als am Orinoko vom<lb/> Inſektenſtich geplagt. Pater Zea hoffte, wenn er die Miſſionen<lb/> am Rio Negro beſuchte, ſeine Geſundheit wieder herzuſtellen.<lb/> Er ſprach von der dortigen Gegend mit der Begeiſterung, mit<lb/> der man in den Kolonieen auf dem Feſtlande alles anſieht,<lb/> was in weiter Ferne liegt.</p><lb/> <p>Die Verſammlung der Indianer bei Pararuma bot uns<lb/> wieder ein Schauſpiel, wie es den Kulturmenſchen immer dazu<lb/> anregt, den wilden Menſchen und die allmähliche Entwicke-<lb/> lung unſerer Geiſteskräfte zu beobachten. Man ſträubt ſich<lb/> gegen die Vorſtellung, daß wir in dieſem geſellſchaftlichen<lb/> Kindheitszuſtande, in dieſem Haufen trübſeliger, ſchweigſamer,<lb/> teilnahmloſer Indianer das urſprüngliche Weſen unſeres Ge-<lb/> ſchlechtes vor uns haben ſollen. Die Menſchennatur tritt uns<lb/> hier nicht im Gewande liebenswürdiger Einfalt entgegen, wie<lb/> ſie die Poeſie in allen Sprachen ſo hinreißend ſchildert. Der<lb/> Wilde am Orinoko ſchien uns ſo widrig abſtoßend als der<lb/> Wilde am Miſſiſſippi, wie ihn der reiſende Philoſoph, <note place="foot" n="1">Volney</note> der<lb/> größte Meiſter in der Schilderung des Menſchen in verſchie-<lb/> denen Klimaten, gezeichnet hat. Gar gern redet man ſich<lb/> ein, dieſe Eingeborenen, wie ſie da, den Leib mit Erde und<lb/> Fett beſchmiert, um ihr Feuer hocken oder auf großen Schild-<lb/> krötenpanzern ſitzen und ſtundenlang mit dummen Geſichtern<lb/> auf das Getränk glotzen, das ſie bereiten, ſeien keineswegs<lb/> der urſprüngliche Typus unſerer Gattung, vielmehr ein ent-<lb/> artetes Geſchlecht, die ſchwachen Ueberreſte von Völkern, die<lb/> verſprengt lange in Wäldern gelebt und am Ende in Bar-<lb/> barei zurückgeſunken.</p><lb/> <p>Die rote Bemalung iſt gleichſam die einzige Bekleidung<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [66/0074]
eine hübſche Piroge abzutreten; ja der Miſſionär von Atures
und Maypures bei den großen Katarakten, Pater Bernardo
Zea, erbot ſich, obgleich er krank war, uns bis zur Grenze
von Braſilien zu begleiten. Der Indianer, welche die Kanoen
über die Raudales hinaufſchaffen helfen, ſind ſo wenige,
daß wir, hätten wir keinen Mönch bei uns gehabt, Gefahr
gelaufen wären, wochenlang an dieſem feuchten, ungeſunden
Orte liegen bleiben zu müſſen. An den Ufern des Orinoko
gelten die Wälder am Rio Negro für ein köſtliches Land.
Wirklich iſt auch die Luft dort friſcher und geſünder, und es
gibt im Fluſſe faſt keine Krokodile; man kann unbeſorgt baden
und iſt bei Tag und Nacht weniger als am Orinoko vom
Inſektenſtich geplagt. Pater Zea hoffte, wenn er die Miſſionen
am Rio Negro beſuchte, ſeine Geſundheit wieder herzuſtellen.
Er ſprach von der dortigen Gegend mit der Begeiſterung, mit
der man in den Kolonieen auf dem Feſtlande alles anſieht,
was in weiter Ferne liegt.
Die Verſammlung der Indianer bei Pararuma bot uns
wieder ein Schauſpiel, wie es den Kulturmenſchen immer dazu
anregt, den wilden Menſchen und die allmähliche Entwicke-
lung unſerer Geiſteskräfte zu beobachten. Man ſträubt ſich
gegen die Vorſtellung, daß wir in dieſem geſellſchaftlichen
Kindheitszuſtande, in dieſem Haufen trübſeliger, ſchweigſamer,
teilnahmloſer Indianer das urſprüngliche Weſen unſeres Ge-
ſchlechtes vor uns haben ſollen. Die Menſchennatur tritt uns
hier nicht im Gewande liebenswürdiger Einfalt entgegen, wie
ſie die Poeſie in allen Sprachen ſo hinreißend ſchildert. Der
Wilde am Orinoko ſchien uns ſo widrig abſtoßend als der
Wilde am Miſſiſſippi, wie ihn der reiſende Philoſoph, 1 der
größte Meiſter in der Schilderung des Menſchen in verſchie-
denen Klimaten, gezeichnet hat. Gar gern redet man ſich
ein, dieſe Eingeborenen, wie ſie da, den Leib mit Erde und
Fett beſchmiert, um ihr Feuer hocken oder auf großen Schild-
krötenpanzern ſitzen und ſtundenlang mit dummen Geſichtern
auf das Getränk glotzen, das ſie bereiten, ſeien keineswegs
der urſprüngliche Typus unſerer Gattung, vielmehr ein ent-
artetes Geſchlecht, die ſchwachen Ueberreſte von Völkern, die
verſprengt lange in Wäldern gelebt und am Ende in Bar-
barei zurückgeſunken.
Die rote Bemalung iſt gleichſam die einzige Bekleidung
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