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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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negative Delta waren. Wenn einmal die Mündungen
des Ganges, des Indus, des Senegal, der Donau, des Ama-
zonenstromes, des Orinoko und des Mississippi geologisch ge-
nauer untersucht sind, wird sich zeigen, daß nicht alle denselben
Ursprung haben, man wird dann zwischen Küsten unterschei-
den, die infolge der sich häufenden Anschwemmungen rasch in
die See hinaus vorrücken, und Küsten, die sich innerhalb des
allgemeinen Umrisses der Kontinente halten; man wird unter-
scheiden zwischen einem, von einem gegabelten Strome ge-
bildeten Landstriche, und den von ein paar Seitenarmen durch-
zogenen Niederungen, die zu einem aufgeschwemmten Lande
gehören, das mehrere tausend Quadratmeilen Flächenraum hat.

Das Delta des Orinoko zwischen der Insel Cangrejos
und der Boca de Manamo (der Landstrich, wo die Guaraunen
wohnen) läßt sich mit der Insel Marajo oder Joanes an der
Mündung des Amazonenstromes vergleichen. Dort liegt das
aufgeschwemmte Land nördlich, hier südlich vom Hauptstamme
des Stromes. Aber die Insel Joanes schließt sich nach ihrer
Form der allgemeinen Bodenbildung in der Provinz Maranhanon
gerade so an, wie die Küste bei den Bocas chicas des Orinoko
den Küsten am Rio Essequibo und am Meerbusen von Paria.
Nichts weist darauf hin, daß einmal letzterer Meerbusen süd-
wärts von der Boca de Manamo bis Vieja Guyana ins
Land hinein gereicht oder daß der Amazonenstrom die ganze
Bucht zwischen Villa Vistosa und Gran Para mit seinen Ge-
wässern gefüllt hat. Nicht alles, was an den Flüssen liegt,
ist ihr Werk. Meist haben sie sich in aufgeschwemmtem Lande
ein Bett gegraben, aber diese Anschwemmungen sind von
höherem geologischem Alter, hängen mit den großen Umwäl-
zungen zusammen, die unser Planet erlitten. Es ist zu er-
mitteln, ob zwischen den gegabelten Zweigen eines Flusses
der Schlick nicht auf einer Schicht von Geschieben liegt, wie
man sie sehr weit vom fließenden Wasser findet. Die Arme
des Orinoko weichen auf 87 km auseinander; es ist dies die
Breite des ozeanischen Deltas zwischen Punta Barima und
der am weitesten nach West gelegenen Boca chica. Dieser
Landstrich ist bis jetzt nicht genau aufgenommen, und so kennt
man auch nicht die Zahl der Mündungen. Nach der ge-
meinen Annahme hat der Orinoko ihrer sieben, und dies er-
innert an die im Altertume so berufenen septem ostia Nili.
Aber das ägyptische Delta war nicht immer auf diese Zahl
beschränkt, und an den überschwemmten Küsten von Guyana

negative Delta waren. Wenn einmal die Mündungen
des Ganges, des Indus, des Senegal, der Donau, des Ama-
zonenſtromes, des Orinoko und des Miſſiſſippi geologiſch ge-
nauer unterſucht ſind, wird ſich zeigen, daß nicht alle denſelben
Urſprung haben, man wird dann zwiſchen Küſten unterſchei-
den, die infolge der ſich häufenden Anſchwemmungen raſch in
die See hinaus vorrücken, und Küſten, die ſich innerhalb des
allgemeinen Umriſſes der Kontinente halten; man wird unter-
ſcheiden zwiſchen einem, von einem gegabelten Strome ge-
bildeten Landſtriche, und den von ein paar Seitenarmen durch-
zogenen Niederungen, die zu einem aufgeſchwemmten Lande
gehören, das mehrere tauſend Quadratmeilen Flächenraum hat.

Das Delta des Orinoko zwiſchen der Inſel Cangrejos
und der Boca de Manamo (der Landſtrich, wo die Guaraunen
wohnen) läßt ſich mit der Inſel Marajo oder Joanes an der
Mündung des Amazonenſtromes vergleichen. Dort liegt das
aufgeſchwemmte Land nördlich, hier ſüdlich vom Hauptſtamme
des Stromes. Aber die Inſel Joanes ſchließt ſich nach ihrer
Form der allgemeinen Bodenbildung in der Provinz Maranhãõ
gerade ſo an, wie die Küſte bei den Bocas chicas des Orinoko
den Küſten am Rio Eſſequibo und am Meerbuſen von Paria.
Nichts weiſt darauf hin, daß einmal letzterer Meerbuſen ſüd-
wärts von der Boca de Manamo bis Vieja Guyana ins
Land hinein gereicht oder daß der Amazonenſtrom die ganze
Bucht zwiſchen Villa Viſtoſa und Gran Para mit ſeinen Ge-
wäſſern gefüllt hat. Nicht alles, was an den Flüſſen liegt,
iſt ihr Werk. Meiſt haben ſie ſich in aufgeſchwemmtem Lande
ein Bett gegraben, aber dieſe Anſchwemmungen ſind von
höherem geologiſchem Alter, hängen mit den großen Umwäl-
zungen zuſammen, die unſer Planet erlitten. Es iſt zu er-
mitteln, ob zwiſchen den gegabelten Zweigen eines Fluſſes
der Schlick nicht auf einer Schicht von Geſchieben liegt, wie
man ſie ſehr weit vom fließenden Waſſer findet. Die Arme
des Orinoko weichen auf 87 km auseinander; es iſt dies die
Breite des ozeaniſchen Deltas zwiſchen Punta Barima und
der am weiteſten nach Weſt gelegenen Boca chica. Dieſer
Landſtrich iſt bis jetzt nicht genau aufgenommen, und ſo kennt
man auch nicht die Zahl der Mündungen. Nach der ge-
meinen Annahme hat der Orinoko ihrer ſieben, und dies er-
innert an die im Altertume ſo berufenen septem ostia Nili.
Aber das ägyptiſche Delta war nicht immer auf dieſe Zahl
beſchränkt, und an den überſchwemmten Küſten von Guyana

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[164/0172] negative Delta waren. Wenn einmal die Mündungen des Ganges, des Indus, des Senegal, der Donau, des Ama- zonenſtromes, des Orinoko und des Miſſiſſippi geologiſch ge- nauer unterſucht ſind, wird ſich zeigen, daß nicht alle denſelben Urſprung haben, man wird dann zwiſchen Küſten unterſchei- den, die infolge der ſich häufenden Anſchwemmungen raſch in die See hinaus vorrücken, und Küſten, die ſich innerhalb des allgemeinen Umriſſes der Kontinente halten; man wird unter- ſcheiden zwiſchen einem, von einem gegabelten Strome ge- bildeten Landſtriche, und den von ein paar Seitenarmen durch- zogenen Niederungen, die zu einem aufgeſchwemmten Lande gehören, das mehrere tauſend Quadratmeilen Flächenraum hat. Das Delta des Orinoko zwiſchen der Inſel Cangrejos und der Boca de Manamo (der Landſtrich, wo die Guaraunen wohnen) läßt ſich mit der Inſel Marajo oder Joanes an der Mündung des Amazonenſtromes vergleichen. Dort liegt das aufgeſchwemmte Land nördlich, hier ſüdlich vom Hauptſtamme des Stromes. Aber die Inſel Joanes ſchließt ſich nach ihrer Form der allgemeinen Bodenbildung in der Provinz Maranhãõ gerade ſo an, wie die Küſte bei den Bocas chicas des Orinoko den Küſten am Rio Eſſequibo und am Meerbuſen von Paria. Nichts weiſt darauf hin, daß einmal letzterer Meerbuſen ſüd- wärts von der Boca de Manamo bis Vieja Guyana ins Land hinein gereicht oder daß der Amazonenſtrom die ganze Bucht zwiſchen Villa Viſtoſa und Gran Para mit ſeinen Ge- wäſſern gefüllt hat. Nicht alles, was an den Flüſſen liegt, iſt ihr Werk. Meiſt haben ſie ſich in aufgeſchwemmtem Lande ein Bett gegraben, aber dieſe Anſchwemmungen ſind von höherem geologiſchem Alter, hängen mit den großen Umwäl- zungen zuſammen, die unſer Planet erlitten. Es iſt zu er- mitteln, ob zwiſchen den gegabelten Zweigen eines Fluſſes der Schlick nicht auf einer Schicht von Geſchieben liegt, wie man ſie ſehr weit vom fließenden Waſſer findet. Die Arme des Orinoko weichen auf 87 km auseinander; es iſt dies die Breite des ozeaniſchen Deltas zwiſchen Punta Barima und der am weiteſten nach Weſt gelegenen Boca chica. Dieſer Landſtrich iſt bis jetzt nicht genau aufgenommen, und ſo kennt man auch nicht die Zahl der Mündungen. Nach der ge- meinen Annahme hat der Orinoko ihrer ſieben, und dies er- innert an die im Altertume ſo berufenen septem ostia Nili. Aber das ägyptiſche Delta war nicht immer auf dieſe Zahl beſchränkt, und an den überſchwemmten Küſten von Guyana

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/172>, abgerufen am 24.11.2024.