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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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des Laufs des Orinoko nach sich. Diesen großen Strom läßt
man von seiner Mündung bis über den Meta hinauf, gleich
dem Magdalenenstrom, von Süd nach Nord laufen. Die
Nebenflüsse, die man aus dem See Cassipa kommen ließ, der
Carony, der Arui und der Caura, laufen damit in der Rich-
tung eines Parallels, während sie in der Wirklichkeit in der
Richtung eines Meridians liegen. Außer dem Parime und dem
Cassipa gab man auf den Karten einen dritten See an, aus
dem man den Aprouague (Apurwaca) kommen ließ. Es war
damals bei den Geographen allgemeiner Brauch, alle Flüsse
mit großen Seen in Verbindung zu bringen. Auf diese Weise
verband Ortelius den Nil mit dem Zaire oder Rio Kongo,
die Weichsel mit der Wolga und dem Dnjepr. Im nörd-
lichen Mexiko, in den angeblichen Königreichen Guivira und
Cibola, die durch die Lügen des Mönchs Marcos de Niza
berühmt geworden, hatte man ein großes Binnenmeer ein-
gezeichnet, aus dem man den kalifornischen Rio Colorado ent-
springen ließ. 1 Vom Rio Magdalena lief ein Arm in den
See Maracaybo, und der See Xarayes, in dessen Nähe man
einen südlichen Dorado setzte, stand mit dem Amazonen-
strom, mit dem Miari (Meary) und dem Rio San Francisco
in Verbindung. Die meisten dieser hydrographischen Träume
sind verschwunden; nur die Seen Cassipa und Dorado haben
sich lange nebeneinander auf unseren Karten erhalten.

Verfolgt man die Geschichte der Geographie, so sieht
man den Cassipa, der als ein rechtwinkeliges Viereck darge-
stellt wird, sich allmählich auf Kosten des Dorado vergrößern.
Letzterer wurde zuweilen ganz weggelassen, aber nie wagte
man es, sich am ersteren zu vergreifen, der nichts ist als der
durch periodische Ueberschwemmungen geschwellte Rio Para-
gua (ein Nebenfluß des Carony). Als d'Anville durch Solanos
Expedition in Erfahrung brachte, daß der Orinoko seine Quellen
keineswegs westwärts am Abhang der Anden von Pasto habe,

1 Es ist dies der mexikanische Dorado, wo man auf den
Küsten Schiffe voll Waren aus Catayo (China) gefunden haben
wollte und wo Fray Marcos (wie Hutten im Lande der Omagua)
die vergoldeten Dächer einer großen Stadt, einer der Siete Ciudades,
von weitem sah. Die Einwohner haben große Hunde, en los
quales quando se mudan cargan su menage.
Spätere Ent-
deckungen lassen übrigens keinen Zweifel, daß dieser Landstrich früher
ein Mittelpunkt der Kultur war.

des Laufs des Orinoko nach ſich. Dieſen großen Strom läßt
man von ſeiner Mündung bis über den Meta hinauf, gleich
dem Magdalenenſtrom, von Süd nach Nord laufen. Die
Nebenflüſſe, die man aus dem See Caſſipa kommen ließ, der
Carony, der Arui und der Caura, laufen damit in der Rich-
tung eines Parallels, während ſie in der Wirklichkeit in der
Richtung eines Meridians liegen. Außer dem Parime und dem
Caſſipa gab man auf den Karten einen dritten See an, aus
dem man den Aprouague (Apurwaca) kommen ließ. Es war
damals bei den Geographen allgemeiner Brauch, alle Flüſſe
mit großen Seen in Verbindung zu bringen. Auf dieſe Weiſe
verband Ortelius den Nil mit dem Zaire oder Rio Kongo,
die Weichſel mit der Wolga und dem Dnjepr. Im nörd-
lichen Mexiko, in den angeblichen Königreichen Guivira und
Cibola, die durch die Lügen des Mönchs Marcos de Niza
berühmt geworden, hatte man ein großes Binnenmeer ein-
gezeichnet, aus dem man den kaliforniſchen Rio Colorado ent-
ſpringen ließ. 1 Vom Rio Magdalena lief ein Arm in den
See Maracaybo, und der See Xarayes, in deſſen Nähe man
einen ſüdlichen Dorado ſetzte, ſtand mit dem Amazonen-
ſtrom, mit dem Miari (Meary) und dem Rio San Francisco
in Verbindung. Die meiſten dieſer hydrographiſchen Träume
ſind verſchwunden; nur die Seen Caſſipa und Dorado haben
ſich lange nebeneinander auf unſeren Karten erhalten.

Verfolgt man die Geſchichte der Geographie, ſo ſieht
man den Caſſipa, der als ein rechtwinkeliges Viereck darge-
ſtellt wird, ſich allmählich auf Koſten des Dorado vergrößern.
Letzterer wurde zuweilen ganz weggelaſſen, aber nie wagte
man es, ſich am erſteren zu vergreifen, der nichts iſt als der
durch periodiſche Ueberſchwemmungen geſchwellte Rio Para-
gua (ein Nebenfluß des Carony). Als d’Anville durch Solanos
Expedition in Erfahrung brachte, daß der Orinoko ſeine Quellen
keineswegs weſtwärts am Abhang der Anden von Paſto habe,

1 Es iſt dies der mexikaniſche Dorado, wo man auf den
Küſten Schiffe voll Waren aus Catayo (China) gefunden haben
wollte und wo Fray Marcos (wie Hutten im Lande der Omagua)
die vergoldeten Dächer einer großen Stadt, einer der Siete Ciudades,
von weitem ſah. Die Einwohner haben große Hunde, en los
quales quando se mudan cargan su menage.
Spätere Ent-
deckungen laſſen übrigens keinen Zweifel, daß dieſer Landſtrich früher
ein Mittelpunkt der Kultur war.
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[216/0224] des Laufs des Orinoko nach ſich. Dieſen großen Strom läßt man von ſeiner Mündung bis über den Meta hinauf, gleich dem Magdalenenſtrom, von Süd nach Nord laufen. Die Nebenflüſſe, die man aus dem See Caſſipa kommen ließ, der Carony, der Arui und der Caura, laufen damit in der Rich- tung eines Parallels, während ſie in der Wirklichkeit in der Richtung eines Meridians liegen. Außer dem Parime und dem Caſſipa gab man auf den Karten einen dritten See an, aus dem man den Aprouague (Apurwaca) kommen ließ. Es war damals bei den Geographen allgemeiner Brauch, alle Flüſſe mit großen Seen in Verbindung zu bringen. Auf dieſe Weiſe verband Ortelius den Nil mit dem Zaire oder Rio Kongo, die Weichſel mit der Wolga und dem Dnjepr. Im nörd- lichen Mexiko, in den angeblichen Königreichen Guivira und Cibola, die durch die Lügen des Mönchs Marcos de Niza berühmt geworden, hatte man ein großes Binnenmeer ein- gezeichnet, aus dem man den kaliforniſchen Rio Colorado ent- ſpringen ließ. 1 Vom Rio Magdalena lief ein Arm in den See Maracaybo, und der See Xarayes, in deſſen Nähe man einen ſüdlichen Dorado ſetzte, ſtand mit dem Amazonen- ſtrom, mit dem Miari (Meary) und dem Rio San Francisco in Verbindung. Die meiſten dieſer hydrographiſchen Träume ſind verſchwunden; nur die Seen Caſſipa und Dorado haben ſich lange nebeneinander auf unſeren Karten erhalten. Verfolgt man die Geſchichte der Geographie, ſo ſieht man den Caſſipa, der als ein rechtwinkeliges Viereck darge- ſtellt wird, ſich allmählich auf Koſten des Dorado vergrößern. Letzterer wurde zuweilen ganz weggelaſſen, aber nie wagte man es, ſich am erſteren zu vergreifen, der nichts iſt als der durch periodiſche Ueberſchwemmungen geſchwellte Rio Para- gua (ein Nebenfluß des Carony). Als d’Anville durch Solanos Expedition in Erfahrung brachte, daß der Orinoko ſeine Quellen keineswegs weſtwärts am Abhang der Anden von Paſto habe, 1 Es iſt dies der mexikaniſche Dorado, wo man auf den Küſten Schiffe voll Waren aus Catayo (China) gefunden haben wollte und wo Fray Marcos (wie Hutten im Lande der Omagua) die vergoldeten Dächer einer großen Stadt, einer der Siete Ciudades, von weitem ſah. Die Einwohner haben große Hunde, en los quales quando se mudan cargan su menage. Spätere Ent- deckungen laſſen übrigens keinen Zweifel, daß dieſer Landſtrich früher ein Mittelpunkt der Kultur war.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/224>, abgerufen am 24.11.2024.