Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.beim Aufstellen der Instrumente zu den nächtlichen Beobach- 1 Abd-Allatif, Medecin, de Bagdad, Relation de l'Egypte,
traduite par Silvestre de Sacy. -- "Als die Armen anfingen beim Aufſtellen der Inſtrumente zu den nächtlichen Beobach- 1 Abd-Allatif, Médecin, de Bagdad, Relation de l’Égypte,
traduite par Silvestre de Sacy. — „Als die Armen anfingen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0026" n="18"/> beim Aufſtellen der Inſtrumente zu den nächtlichen Beobach-<lb/> tungen gute Dienſte leiſten konnte. Er ſchien ſo gutmütig<lb/> als geſcheit und wir hatten nicht übel Luſt, ihn in unſeren<lb/> Dienſt zu nehmen. Wie groß war unſer Verdruß, als wir<lb/> im Geſpräch mittels eines Dolmetſchers von ihm hören<lb/> mußten, „das Fleiſch der Manimodasaffen ſei allerdings<lb/> ſchwärzer, er meine aber doch, es ſchmecke wie Menſchen-<lb/> fleiſch“. Er verſicherte, „ſeine <hi rendition="#g">Verwandten</hi> (das heißt<lb/> ſeine Stammverwandten) eſſen vom Menſchen wie vom Bären<lb/> die Handflächen am liebſten“. Und bei dieſem Ausſpruch äußerte<lb/> er durch Gebärden ſeine rohe Luſt. Wir ließen den ſonſt ſehr<lb/> ruhigen und bei den kleinen Dienſten, die er uns leiſtete, ſehr<lb/> gefälligen jungen Mann fragen, ob er hie und da noch Luſt<lb/> ſpüre, „Cheruvichahenafleiſch zu eſſen“; er erwiderte ganz un-<lb/> befangen, in der Miſſion werde er nur eſſen, was er <hi rendition="#aq">los<lb/> padres</hi> eſſen ſehe. Den Eingeborenen wegen des abſcheulichen<lb/> Brauchs, von dem hier die Rede iſt, Vorwürfe zu machen,<lb/> hilft rein zu nichts; es iſt gerade, als ob ein Brahmane<lb/> vom Ganges, der in Europa reiſte, uns darüber anließe, daß<lb/> wir das Fleiſch der Tiere eſſen. In den Augen des Indianers<lb/> vom Rio Guaiſia war der Cheruvichahena ein von ihm ſelbſt<lb/> völlig verſchiedenes Weſen; ihn umzubringen war ihm kein<lb/> größeres Unrecht, als die Jaguare im Walde umzubringen.<lb/> Es war nur Gefühl für Anſtand, wenn er, ſolange er in<lb/> der Miſſion war, nur eſſen wollte, was <hi rendition="#aq">los padres</hi> genoſſen.<lb/> Entlaufen die Eingeborenen zu den Ihrigen (<hi rendition="#aq">al monte</hi>), oder<lb/> treibt ſie der Hunger, ſo werden ſie alsbald wieder Menſchen-<lb/> freſſer wie zuvor. Und wie ſollten wir uns über dieſen Un-<lb/> beſtand der Völker am Orinoko wundern, da uns aufs glaub-<lb/> würdigſte bezeugt iſt, was ſich in Hungersnot bei civiliſierten<lb/> Völkern ſchon Gräßliches ereignet hat? In Aegypten griff im<lb/> 13. Jahrhundert die Sucht, Menſchenfleiſch zu eſſen, unter<lb/> allen Ständen um ſich; beſonders aber ſtellte man den Aerzten<lb/> nach. Hatte einer Hunger, ſo gab er ſich für krank aus und<lb/> ließ einen Arzt rufen, aber nicht, um ſich bei ihm Rats zu<lb/> erholen, ſondern um ihn zu verzehren. Ein ſehr glaub-<lb/> würdiger Schriftſteller, Abd-Allatif, erzählt uns, „wie eine<lb/> Sitte, die anfangs Abſcheu und Entſetzen einflößte, bald gar<lb/> nicht mehr auffiel“. <note xml:id="seg2pn_1_1" next="#seg2pn_1_2" place="foot" n="1"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Abd-Allatif</hi>, Médecin, de Bagdad, Relation de l’Égypte,<lb/> traduite par Silvestre de Sacy.</hi> — „Als die Armen anfingen</note></p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [18/0026]
beim Aufſtellen der Inſtrumente zu den nächtlichen Beobach-
tungen gute Dienſte leiſten konnte. Er ſchien ſo gutmütig
als geſcheit und wir hatten nicht übel Luſt, ihn in unſeren
Dienſt zu nehmen. Wie groß war unſer Verdruß, als wir
im Geſpräch mittels eines Dolmetſchers von ihm hören
mußten, „das Fleiſch der Manimodasaffen ſei allerdings
ſchwärzer, er meine aber doch, es ſchmecke wie Menſchen-
fleiſch“. Er verſicherte, „ſeine Verwandten (das heißt
ſeine Stammverwandten) eſſen vom Menſchen wie vom Bären
die Handflächen am liebſten“. Und bei dieſem Ausſpruch äußerte
er durch Gebärden ſeine rohe Luſt. Wir ließen den ſonſt ſehr
ruhigen und bei den kleinen Dienſten, die er uns leiſtete, ſehr
gefälligen jungen Mann fragen, ob er hie und da noch Luſt
ſpüre, „Cheruvichahenafleiſch zu eſſen“; er erwiderte ganz un-
befangen, in der Miſſion werde er nur eſſen, was er los
padres eſſen ſehe. Den Eingeborenen wegen des abſcheulichen
Brauchs, von dem hier die Rede iſt, Vorwürfe zu machen,
hilft rein zu nichts; es iſt gerade, als ob ein Brahmane
vom Ganges, der in Europa reiſte, uns darüber anließe, daß
wir das Fleiſch der Tiere eſſen. In den Augen des Indianers
vom Rio Guaiſia war der Cheruvichahena ein von ihm ſelbſt
völlig verſchiedenes Weſen; ihn umzubringen war ihm kein
größeres Unrecht, als die Jaguare im Walde umzubringen.
Es war nur Gefühl für Anſtand, wenn er, ſolange er in
der Miſſion war, nur eſſen wollte, was los padres genoſſen.
Entlaufen die Eingeborenen zu den Ihrigen (al monte), oder
treibt ſie der Hunger, ſo werden ſie alsbald wieder Menſchen-
freſſer wie zuvor. Und wie ſollten wir uns über dieſen Un-
beſtand der Völker am Orinoko wundern, da uns aufs glaub-
würdigſte bezeugt iſt, was ſich in Hungersnot bei civiliſierten
Völkern ſchon Gräßliches ereignet hat? In Aegypten griff im
13. Jahrhundert die Sucht, Menſchenfleiſch zu eſſen, unter
allen Ständen um ſich; beſonders aber ſtellte man den Aerzten
nach. Hatte einer Hunger, ſo gab er ſich für krank aus und
ließ einen Arzt rufen, aber nicht, um ſich bei ihm Rats zu
erholen, ſondern um ihn zu verzehren. Ein ſehr glaub-
würdiger Schriftſteller, Abd-Allatif, erzählt uns, „wie eine
Sitte, die anfangs Abſcheu und Entſetzen einflößte, bald gar
nicht mehr auffiel“. 1
1 Abd-Allatif, Médecin, de Bagdad, Relation de l’Égypte,
traduite par Silvestre de Sacy. — „Als die Armen anfingen
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