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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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und Merida bis zur Mündung des Orinoko hintereinander
liegen, so fragt man sich, ob diese ungeheuren Landstrecken
von der Natur dazu bestimmt sind, ewig als Weideland zu
dienen, oder ob Pflug und Hacke sie eines Tages für den
Ackerbau erobern werden? Diese Frage ist um so wichtiger,
da die an beiden Enden von Südamerika gelegenen Llanos
der politischen Verbindung der Provinzen, die sie auseinander
halten, Hindernisse in den Weg legen. Sie machen, daß der
Ackerbau sich nicht von den Küsten von Venezuela Guyana
zu, sich nicht von Potosi gegen die Mündung des Rio de la
Plata ausbreiten kann. Die dazwischen geschobenen Steppen
behalten mit dem Hirtenleben einen Charakter von Roheit
und Wildheit, der sie isoliert und von der Kultur der schon
lange urbar gemachten Landstriche fern hält. Aus demselben
Grunde wurden sie im Freiheitskriege der Schauplatz des
Kampfes zwischen den feindlichen Parteien und sahen die
Einwohner von Calabozo fast unter ihren Mauern das Ge-
schick der verbündeten Provinzen Venezuela und Cundinamarca
sich entscheiden. Ich will wünschen, daß man bei den Grenz-
bestimmungen der neuen Staaten und ihrer Unterabteilungen
nicht zuweilen zu bereuen habe, die Bedeutung der Llanos
außer Augen gesetzt zu haben, sofern sie dahin wirken, Ge-
meinheiten auseinander zu halten, welche durch gemeinsame
Interessen aufeinander angewiesen sind. Die Steppen würden,
wie Meere oder die Urwälder unter den Tropen, als natür-
liche Grenzen dienen, wenn sie nicht von Heeren um so leichter
durchzogen würden, da sie mit ihren unzähligen Pferde-,
Maultier- und Viehherden Transport- und Unterhaltsmittel
aller Art bieten.

Nirgends in der Welt ist die Bodenbildung und die Be-
schaffenheit der Oberfläche so fest ausgeprägt; nirgends äußern
sie aber auch so bedeutenden Einfluß auf die Spaltung des
Gesellschaftskörpers, der durch die Ungleichheit nach Abstam-
mung, Farbe und persönlicher Freiheit schon genug zerrissen
ist. Es steht nicht in der Macht des Menschen, die klima-
tischen Unterschiede zu ändern, die aus der auf kleinem Flächen-
raum rasch wechselnden Bodenhöhe hervorgehen, und welche
die Quelle des Widerwillens sind, der zwischen den Bewoh-
nern der Terra caliente und denen der Terra fria
besteht, eines Widerwillens, der auf Gegensätzen im Charakter,
in Sitten und Gebräuchen beruht. Diese moralischen und
politischen Einflüsse machen sich besonders in Ländern geltend,

A. v. Humboldt, Reise. IV. 17

und Merida bis zur Mündung des Orinoko hintereinander
liegen, ſo fragt man ſich, ob dieſe ungeheuren Landſtrecken
von der Natur dazu beſtimmt ſind, ewig als Weideland zu
dienen, oder ob Pflug und Hacke ſie eines Tages für den
Ackerbau erobern werden? Dieſe Frage iſt um ſo wichtiger,
da die an beiden Enden von Südamerika gelegenen Llanos
der politiſchen Verbindung der Provinzen, die ſie auseinander
halten, Hinderniſſe in den Weg legen. Sie machen, daß der
Ackerbau ſich nicht von den Küſten von Venezuela Guyana
zu, ſich nicht von Potoſi gegen die Mündung des Rio de la
Plata ausbreiten kann. Die dazwiſchen geſchobenen Steppen
behalten mit dem Hirtenleben einen Charakter von Roheit
und Wildheit, der ſie iſoliert und von der Kultur der ſchon
lange urbar gemachten Landſtriche fern hält. Aus demſelben
Grunde wurden ſie im Freiheitskriege der Schauplatz des
Kampfes zwiſchen den feindlichen Parteien und ſahen die
Einwohner von Calabozo faſt unter ihren Mauern das Ge-
ſchick der verbündeten Provinzen Venezuela und Cundinamarca
ſich entſcheiden. Ich will wünſchen, daß man bei den Grenz-
beſtimmungen der neuen Staaten und ihrer Unterabteilungen
nicht zuweilen zu bereuen habe, die Bedeutung der Llanos
außer Augen geſetzt zu haben, ſofern ſie dahin wirken, Ge-
meinheiten auseinander zu halten, welche durch gemeinſame
Intereſſen aufeinander angewieſen ſind. Die Steppen würden,
wie Meere oder die Urwälder unter den Tropen, als natür-
liche Grenzen dienen, wenn ſie nicht von Heeren um ſo leichter
durchzogen würden, da ſie mit ihren unzähligen Pferde-,
Maultier- und Viehherden Transport- und Unterhaltsmittel
aller Art bieten.

Nirgends in der Welt iſt die Bodenbildung und die Be-
ſchaffenheit der Oberfläche ſo feſt ausgeprägt; nirgends äußern
ſie aber auch ſo bedeutenden Einfluß auf die Spaltung des
Geſellſchaftskörpers, der durch die Ungleichheit nach Abſtam-
mung, Farbe und perſönlicher Freiheit ſchon genug zerriſſen
iſt. Es ſteht nicht in der Macht des Menſchen, die klima-
tiſchen Unterſchiede zu ändern, die aus der auf kleinem Flächen-
raum raſch wechſelnden Bodenhöhe hervorgehen, und welche
die Quelle des Widerwillens ſind, der zwiſchen den Bewoh-
nern der Terra caliente und denen der Terra fria
beſteht, eines Widerwillens, der auf Gegenſätzen im Charakter,
in Sitten und Gebräuchen beruht. Dieſe moraliſchen und
politiſchen Einflüſſe machen ſich beſonders in Ländern geltend,

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[257/0265] und Merida bis zur Mündung des Orinoko hintereinander liegen, ſo fragt man ſich, ob dieſe ungeheuren Landſtrecken von der Natur dazu beſtimmt ſind, ewig als Weideland zu dienen, oder ob Pflug und Hacke ſie eines Tages für den Ackerbau erobern werden? Dieſe Frage iſt um ſo wichtiger, da die an beiden Enden von Südamerika gelegenen Llanos der politiſchen Verbindung der Provinzen, die ſie auseinander halten, Hinderniſſe in den Weg legen. Sie machen, daß der Ackerbau ſich nicht von den Küſten von Venezuela Guyana zu, ſich nicht von Potoſi gegen die Mündung des Rio de la Plata ausbreiten kann. Die dazwiſchen geſchobenen Steppen behalten mit dem Hirtenleben einen Charakter von Roheit und Wildheit, der ſie iſoliert und von der Kultur der ſchon lange urbar gemachten Landſtriche fern hält. Aus demſelben Grunde wurden ſie im Freiheitskriege der Schauplatz des Kampfes zwiſchen den feindlichen Parteien und ſahen die Einwohner von Calabozo faſt unter ihren Mauern das Ge- ſchick der verbündeten Provinzen Venezuela und Cundinamarca ſich entſcheiden. Ich will wünſchen, daß man bei den Grenz- beſtimmungen der neuen Staaten und ihrer Unterabteilungen nicht zuweilen zu bereuen habe, die Bedeutung der Llanos außer Augen geſetzt zu haben, ſofern ſie dahin wirken, Ge- meinheiten auseinander zu halten, welche durch gemeinſame Intereſſen aufeinander angewieſen ſind. Die Steppen würden, wie Meere oder die Urwälder unter den Tropen, als natür- liche Grenzen dienen, wenn ſie nicht von Heeren um ſo leichter durchzogen würden, da ſie mit ihren unzähligen Pferde-, Maultier- und Viehherden Transport- und Unterhaltsmittel aller Art bieten. Nirgends in der Welt iſt die Bodenbildung und die Be- ſchaffenheit der Oberfläche ſo feſt ausgeprägt; nirgends äußern ſie aber auch ſo bedeutenden Einfluß auf die Spaltung des Geſellſchaftskörpers, der durch die Ungleichheit nach Abſtam- mung, Farbe und perſönlicher Freiheit ſchon genug zerriſſen iſt. Es ſteht nicht in der Macht des Menſchen, die klima- tiſchen Unterſchiede zu ändern, die aus der auf kleinem Flächen- raum raſch wechſelnden Bodenhöhe hervorgehen, und welche die Quelle des Widerwillens ſind, der zwiſchen den Bewoh- nern der Terra caliente und denen der Terra fria beſteht, eines Widerwillens, der auf Gegenſätzen im Charakter, in Sitten und Gebräuchen beruht. Dieſe moraliſchen und politiſchen Einflüſſe machen ſich beſonders in Ländern geltend, A. v. Humboldt, Reiſe. IV. 17

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/265>, abgerufen am 22.11.2024.