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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Allgemeine Bemerkungen über das Verhältnis des neuen zum alten
Kontinent. -- Ueberfahrt von den Küsten von Venezuela nach der
Havana.

Als ich nach meiner Rückkehr nach Deutschland den "Essai
politique sur la nouvelle Espagne"
herausgab,
veröffentlichte ich zugleich einen Teil des von mir über den
Bodenreichtum von Südamerika gesammelten Materials. Diese
vergleichende Schilderung der Bevölkerung, des Ackerbaues und
des Handels aller spanischen Kolonieen wurde zu einer Zeit
entworfen, wo große Mängel in der gesellschaftlichen Ver-
fassung, das Prohibitivsystem und andere gleich verderbliche
Mißgriffe in der Regierungskunst die Entwickelung der Kultur
niederhielten. Seit ich auseinandergesetzt, welch unermeßliche
Hilfsmittel den Völkern des gedoppelten Amerika durch ihre
Lage an sich und durch ihren Handelsverkehr mit Europa
und Asien in Aussicht ständen, sobald sie der Segnungen
einer vernünftigen Freiheit genößen, hat eine der großen Um-
wälzungen, welche von Zeit zu Zeit das Menschengeschlecht
aufrütteln, die gesellschaftlichen Zustände in den von mir
durchreisten gewaltigen Ländern umgewandelt. Gegenwärtig
teilen sich, kann man wohl sagen, drei Völker europäischer
Abkunft in das Festland der Neuen Welt: das eine, das
mächtigste, ist germanischen Stammes, die beiden anderen ge-
hören nach Sprache, Litteratur und Sitten dem lateinischen
Europa an. Die Teile der Alten Welt, die am weitesten ge-
gen Westen vorspringen, die Iberische Halbinsel und die Briti-
schen Inseln, sind auch diejenigen, deren Kolonieen die be-
deutendste Ausdehnung haben; aber ein 18000 km langer,
nur von Nachkommen von Spaniern und Portugiesen bewohnter
Küstenstrich legt Zeugnis dafür ab, wie hoch sich die Völker
der Halbinsel im 15. und 16. Jahrhundert durch ihre Unter-

Siebenundzwanzigſtes Kapitel.

Allgemeine Bemerkungen über das Verhältnis des neuen zum alten
Kontinent. — Ueberfahrt von den Küſten von Venezuela nach der
Havana.

Als ich nach meiner Rückkehr nach Deutſchland den „Essai
politique sur la nouvelle Espagne“
herausgab,
veröffentlichte ich zugleich einen Teil des von mir über den
Bodenreichtum von Südamerika geſammelten Materials. Dieſe
vergleichende Schilderung der Bevölkerung, des Ackerbaues und
des Handels aller ſpaniſchen Kolonieen wurde zu einer Zeit
entworfen, wo große Mängel in der geſellſchaftlichen Ver-
faſſung, das Prohibitivſyſtem und andere gleich verderbliche
Mißgriffe in der Regierungskunſt die Entwickelung der Kultur
niederhielten. Seit ich auseinandergeſetzt, welch unermeßliche
Hilfsmittel den Völkern des gedoppelten Amerika durch ihre
Lage an ſich und durch ihren Handelsverkehr mit Europa
und Aſien in Ausſicht ſtänden, ſobald ſie der Segnungen
einer vernünftigen Freiheit genößen, hat eine der großen Um-
wälzungen, welche von Zeit zu Zeit das Menſchengeſchlecht
aufrütteln, die geſellſchaftlichen Zuſtände in den von mir
durchreiſten gewaltigen Ländern umgewandelt. Gegenwärtig
teilen ſich, kann man wohl ſagen, drei Völker europäiſcher
Abkunft in das Feſtland der Neuen Welt: das eine, das
mächtigſte, iſt germaniſchen Stammes, die beiden anderen ge-
hören nach Sprache, Litteratur und Sitten dem lateiniſchen
Europa an. Die Teile der Alten Welt, die am weiteſten ge-
gen Weſten vorſpringen, die Iberiſche Halbinſel und die Briti-
ſchen Inſeln, ſind auch diejenigen, deren Kolonieen die be-
deutendſte Ausdehnung haben; aber ein 18000 km langer,
nur von Nachkommen von Spaniern und Portugieſen bewohnter
Küſtenſtrich legt Zeugnis dafür ab, wie hoch ſich die Völker
der Halbinſel im 15. und 16. Jahrhundert durch ihre Unter-

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[[286]/0294] Siebenundzwanzigſtes Kapitel. Allgemeine Bemerkungen über das Verhältnis des neuen zum alten Kontinent. — Ueberfahrt von den Küſten von Venezuela nach der Havana. Als ich nach meiner Rückkehr nach Deutſchland den „Essai politique sur la nouvelle Espagne“ herausgab, veröffentlichte ich zugleich einen Teil des von mir über den Bodenreichtum von Südamerika geſammelten Materials. Dieſe vergleichende Schilderung der Bevölkerung, des Ackerbaues und des Handels aller ſpaniſchen Kolonieen wurde zu einer Zeit entworfen, wo große Mängel in der geſellſchaftlichen Ver- faſſung, das Prohibitivſyſtem und andere gleich verderbliche Mißgriffe in der Regierungskunſt die Entwickelung der Kultur niederhielten. Seit ich auseinandergeſetzt, welch unermeßliche Hilfsmittel den Völkern des gedoppelten Amerika durch ihre Lage an ſich und durch ihren Handelsverkehr mit Europa und Aſien in Ausſicht ſtänden, ſobald ſie der Segnungen einer vernünftigen Freiheit genößen, hat eine der großen Um- wälzungen, welche von Zeit zu Zeit das Menſchengeſchlecht aufrütteln, die geſellſchaftlichen Zuſtände in den von mir durchreiſten gewaltigen Ländern umgewandelt. Gegenwärtig teilen ſich, kann man wohl ſagen, drei Völker europäiſcher Abkunft in das Feſtland der Neuen Welt: das eine, das mächtigſte, iſt germaniſchen Stammes, die beiden anderen ge- hören nach Sprache, Litteratur und Sitten dem lateiniſchen Europa an. Die Teile der Alten Welt, die am weiteſten ge- gen Weſten vorſpringen, die Iberiſche Halbinſel und die Briti- ſchen Inſeln, ſind auch diejenigen, deren Kolonieen die be- deutendſte Ausdehnung haben; aber ein 18000 km langer, nur von Nachkommen von Spaniern und Portugieſen bewohnter Küſtenſtrich legt Zeugnis dafür ab, wie hoch ſich die Völker der Halbinſel im 15. und 16. Jahrhundert durch ihre Unter-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. [286]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/294>, abgerufen am 22.11.2024.