Humboldt, Alexander von: Ansichten der Natur [Ankündigung des Erscheinens der 3. Aufl.]. In: Allgemeine Zeitung, Nr. 258, Beilage (1849), S. 3993.Beilage zu Nr. 258 der Allgemeinen Zeitung vom 15 September 1849. [Spaltenumbruch] Humboldts Ansichten der Natur. Stuttgart. J. G. Cotta'scher Verlag. Dritte Auflage * Die Schrift von der es mir noch vergönnt ist wieder eine Auflage [irrelevantes Material - 53 Zeilen fehlen] Beilage zu Nr. 258 der Allgemeinen Zeitung vom 15 September 1849. [Spaltenumbruch] Humboldts Anſichten der Natur. Stuttgart. J. G. Cotta’ſcher Verlag. Dritte Auflage * Die Schrift von der es mir noch vergönnt iſt wieder eine Auflage [irrelevantes Material – 53 Zeilen fehlen] <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0001" n="[3993]"/><lb/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Beilage zu Nr. 258 der Allgemeinen Zeitung vom 15 September 1849.</hi> </fw><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <div n="1"> <head><hi rendition="#b">Humboldts Anſichten der Natur.</hi><lb/> Stuttgart. J. G. Cotta’ſcher Verlag. Dritte Auflage</head><lb/> <p>* Die Schrift von der es mir noch vergönnt iſt wieder eine Auflage<lb/> zu erleben, iſt zuerſt im Jahr 1807 erſchienen. Sie enthält eine Reihe<lb/> von Arbeiten, die, im Angeſicht großer Naturgegenſtände, auf dem Ocean,<lb/> in den Weltgegenden des Orinoco und des Amazonenſtromes, in den<lb/> Steppen von Venezuela wie in der Einöde mexicaniſcher und peruaniſcher<lb/> Cordilleren entſtanden ſind. Die zwiefache Richtung dieſer Schrift iſt das<lb/> Beſtreben durch lebendige Darſtellungen den Naturgenuß zu erhöhen und<lb/> zugleich, nach dem dermaligen Stande unſeres Naturwiſſens, die Einſicht<lb/> in das harmoniſche Zuſammenwirken der Kräfte zu vermehren. Die<lb/> zweite Ausgabe habe ich zu Paris beſorgt im Jahr 1826. Zwei Aufſätze:<lb/><hi rendition="#g">ein Verſuch über den Bau und die Wirkungsart der Vulcane<lb/> in den verſchiedenen Erdſtrichen</hi>, und der früher in Schillers<lb/><hi rendition="#g">Horen</hi> erſchienene <hi rendition="#g">Rhodiſche Genius</hi> (die Entwicklung einer phyſio-<lb/> logiſchen Jdee von der Lebenskraft) wurden damals hinzugefügt. Die Ex-<lb/> pedition welche ich auf Befehl des Kaiſers von Rußland im Jahr 1829,<lb/> in Gemeinſchaft mit Ehrenberg und Guſtav Roſe, in das nördliche Aſien<lb/> (in den Ural, den Altai und an die Ufer des caſpiſchen Meeres) gemacht,<lb/> fällt zwiſchen die Epochen der zweiten und dritten Ausgabe der <hi rendition="#g">Anſichten<lb/> der Natur</hi>. Sie hat weſentlich zur Erweiterung meiner Betrachtungen<lb/> über die Geſtaltung der Bodenfläche, die Richtung der Gebirgsketten, den<lb/> Zuſammenhang der Steppen und Wüſten, die geographiſche Verbreitung<lb/> der Pflanzen nach gemeſſenen Temperatur-Einflüſſen (Krümmung der iſo-<lb/> thermen Linien) beigetragen. Die Unkenntniß in welcher man ſo lange<lb/> über die zwei mit ewigem Schnee bedeckten Gebirgszüge zwiſchen dem<lb/> Altai und dem Himalaya geweſen iſt, hat bei der ungerechten Vernach-<lb/> läſſigung reichhaltiger <choice><sic>chineſicher</sic><corr>chineſiſcher</corr></choice> Quellen die Geographie von Jnner-Aſien<lb/> verdunkelt und Phantaſien als Reſultate der Beobachtung in vielgeleſenen<lb/> Schriften und vielgebrauchten Karten verbreitet. Seit kurzem ſind, faſt<lb/> unerwartet, der hypſometriſchen Vergleichung <hi rendition="#g">der höchſten Gipfel<lb/> beider Continente</hi>, wichtige und berichtigende Erweiterungen zuge-<lb/> kommen. Die von frühern Jrrthümern befreite Höhenbeſtimmung zweier<lb/> Berge in der öſtlichen Andeskette von Bolivia (der Sorata war um 3718,<lb/> der Jllimani um 2675 Pariſer Fuß zu hoch angegeben worden) hat<lb/> dennoch dem Chimborazo ſeinen lange behaupteten erſten Rang unter den<lb/> Schneebergen des neuen Continents nicht ganz wieder ertheilt. Der von<lb/> den Officieren der Fitz-Roy’ſchen Expedition von Adventure und Beagle<lb/> gemeſſene Aconcagua (an der Küſte des ſüdlichen Chili) ſoll die Höhe von<lb/> 21,767 Pariſer Fuß erreichen, und demnach (als der höchſte Gipfel des<lb/> amerikaniſchen Continents) faſt um 1670 Pariſer Fuß die Höhe des Chim-<lb/> borazo übertreffen. Briefe meines jungen Freundes Joſeph Hooker, des<lb/> vortrefflichen Botanikers der letzten Südpol-Expedition, jetzt in Dorjiling<lb/> und an der äußerſten tübetaniſchen Gränze von Jndoſtan, haben mir zu-<lb/> erſt die Nachricht von der trigonometriſchen Meſſung des koloſſalen Kin-<lb/> chinjinga durch Oberſt Waugk, <hi rendition="#aq">Director of the trigonometrical Survey<lb/> of India</hi>, gebracht. Dieſer Gipfel des Himalaya iſt 26.438 Pariſer Fuß<lb/> hoch, und mit den neuerdings wieder gemeſſenen Dhawalagiri und Deo-<lb/> danghi der höchſte Berg der Welt. Aber nicht bloß die erweiterte geogno-<lb/> ſtiſche Kenntniß von Jnner-Aſien, wie die der Geſtaltung des nordweſt-<lb/> lichen Amerika, über welche Charles Frémont, Wislizenus und Abert ſo<lb/> viel Licht verbreitet haben, mußte zu neuen Anſichten führen, auch der<lb/> meteorologiſche, pflanzengeographiſche und pflanzenphyſiognomiſche Theil<lb/> der <hi rendition="#g">wiſſenſchaftlichen Erläuterungen</hi> mußte völlig umgeſchmolzen<lb/> werden, gemäß der Fortſchritte unſeres Naturwiſſens in den 23 Jahren,<lb/> welche ſeit der Erſcheinung der letzten Ausgabe verfloſſen ſind. Jch habe<lb/> gehofft den Trieb zum Studium der Natur dadurch zu beleben daß in<lb/> dem kleinſten Raume die mannichfaltigſten Reſultate gründlicher Beob-<lb/> achtung zuſammengedrängt, die Wichtigkeit genauer numeriſcher An-<lb/> gaben und ihrer Vergleichung unter einander erkannt und dem dogma-<lb/> tiſchen Halbwiſſen, wie der vornehmen Zweifelſucht geſteuert werde,<lb/> welche in den ſogenannten höheren Kreiſen des geſellig<supplied>e</supplied>n Lebens einen<lb/> langen Beſitz haben. Mehr als die Hälfte dieſer dritten Ausgabe<lb/> der Anſichten der Natur iſt als neu zu betrachten. Auch habe ich vor-<lb/> her nicht erſchienene beſchreibende Aufſätze: Das <hi rendition="#g">nächtliche Thierle-<lb/> ben im Walde, das Hochland von Caxamarca, der alten<lb/> Reſidenzſtadt des Jnca Atahuallpa, und den erſten Anblick<lb/> der Südſee von dem Rücken der Andeskette</hi> hinzugefügt. Man<lb/> hat es oft, wie ich ſchon an einem andern Orte erinnert, eine nicht er-<lb/> freuliche Betrachtung genannt daß, indem rein litterariſche Geiſtespro-<lb/><cb/> ducte gewurzelt ſind in den Tiefen der Gefühle und der ſchaffenden Ein-<lb/> bildungskraft, alles was mit der bloßen Empirie, mit Ergründung von<lb/> Naturerſcheinungen und phyſiſcher Geſetze zuſammenhängt, in wenigen<lb/> Jahrzehenden, bei allmählicher Erweiterung des Horizonts der Beobach-<lb/> tung, eine andere Geſtaltung annimmt, ja daß, wie man ſich auszudrü-<lb/> cken pflegt, veraltete naturwiſſenſchaftliche Schriften als unlesbar der<lb/> Vergeſſenheit übergeben ſind. Jn meinen <hi rendition="#g">Anſichten der Natur</hi>, die<lb/> ich als <hi rendition="#g">Compoſition</hi> nicht zu rechtfertigen unternehme, könnte das<lb/> beſchreibende, darſtellende Element (wenn es mir einigermaßen gelungen<lb/> wäre das vorgeſetzte Ziel zu erreichen) ſich einiger Dauer erfreuen; das<lb/> wiſſenſchaftlich erläuternde Element bedarf, als das fortſchreitend be-<lb/> wegliche, ſeiner Natur nach ſorgſam umformender Hülfe. Da ich nun<lb/> ſchon durch meine Arbeiten 60 Jahre mit dem deutſchen Publicum im<lb/> Verkehr ſtehe, ſo habe ich, neben dem Fortſchritte, auch den wellenartig<lb/> wiederkehrenden Wechſel der Meinungen beobachten können. <space dim="horizontal"/> Potsdam<lb/> den 24 Auguſt 1849. <space dim="horizontal"/> <hi rendition="#g">Alexander v. Humboldt.</hi></p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <gap reason="insignificant" unit="lines" quantity="53"/> </body> </text> </TEI> [[3993]/0001]
Beilage zu Nr. 258 der Allgemeinen Zeitung vom 15 September 1849.
Humboldts Anſichten der Natur.
Stuttgart. J. G. Cotta’ſcher Verlag. Dritte Auflage
* Die Schrift von der es mir noch vergönnt iſt wieder eine Auflage
zu erleben, iſt zuerſt im Jahr 1807 erſchienen. Sie enthält eine Reihe
von Arbeiten, die, im Angeſicht großer Naturgegenſtände, auf dem Ocean,
in den Weltgegenden des Orinoco und des Amazonenſtromes, in den
Steppen von Venezuela wie in der Einöde mexicaniſcher und peruaniſcher
Cordilleren entſtanden ſind. Die zwiefache Richtung dieſer Schrift iſt das
Beſtreben durch lebendige Darſtellungen den Naturgenuß zu erhöhen und
zugleich, nach dem dermaligen Stande unſeres Naturwiſſens, die Einſicht
in das harmoniſche Zuſammenwirken der Kräfte zu vermehren. Die
zweite Ausgabe habe ich zu Paris beſorgt im Jahr 1826. Zwei Aufſätze:
ein Verſuch über den Bau und die Wirkungsart der Vulcane
in den verſchiedenen Erdſtrichen, und der früher in Schillers
Horen erſchienene Rhodiſche Genius (die Entwicklung einer phyſio-
logiſchen Jdee von der Lebenskraft) wurden damals hinzugefügt. Die Ex-
pedition welche ich auf Befehl des Kaiſers von Rußland im Jahr 1829,
in Gemeinſchaft mit Ehrenberg und Guſtav Roſe, in das nördliche Aſien
(in den Ural, den Altai und an die Ufer des caſpiſchen Meeres) gemacht,
fällt zwiſchen die Epochen der zweiten und dritten Ausgabe der Anſichten
der Natur. Sie hat weſentlich zur Erweiterung meiner Betrachtungen
über die Geſtaltung der Bodenfläche, die Richtung der Gebirgsketten, den
Zuſammenhang der Steppen und Wüſten, die geographiſche Verbreitung
der Pflanzen nach gemeſſenen Temperatur-Einflüſſen (Krümmung der iſo-
thermen Linien) beigetragen. Die Unkenntniß in welcher man ſo lange
über die zwei mit ewigem Schnee bedeckten Gebirgszüge zwiſchen dem
Altai und dem Himalaya geweſen iſt, hat bei der ungerechten Vernach-
läſſigung reichhaltiger chineſiſcher Quellen die Geographie von Jnner-Aſien
verdunkelt und Phantaſien als Reſultate der Beobachtung in vielgeleſenen
Schriften und vielgebrauchten Karten verbreitet. Seit kurzem ſind, faſt
unerwartet, der hypſometriſchen Vergleichung der höchſten Gipfel
beider Continente, wichtige und berichtigende Erweiterungen zuge-
kommen. Die von frühern Jrrthümern befreite Höhenbeſtimmung zweier
Berge in der öſtlichen Andeskette von Bolivia (der Sorata war um 3718,
der Jllimani um 2675 Pariſer Fuß zu hoch angegeben worden) hat
dennoch dem Chimborazo ſeinen lange behaupteten erſten Rang unter den
Schneebergen des neuen Continents nicht ganz wieder ertheilt. Der von
den Officieren der Fitz-Roy’ſchen Expedition von Adventure und Beagle
gemeſſene Aconcagua (an der Küſte des ſüdlichen Chili) ſoll die Höhe von
21,767 Pariſer Fuß erreichen, und demnach (als der höchſte Gipfel des
amerikaniſchen Continents) faſt um 1670 Pariſer Fuß die Höhe des Chim-
borazo übertreffen. Briefe meines jungen Freundes Joſeph Hooker, des
vortrefflichen Botanikers der letzten Südpol-Expedition, jetzt in Dorjiling
und an der äußerſten tübetaniſchen Gränze von Jndoſtan, haben mir zu-
erſt die Nachricht von der trigonometriſchen Meſſung des koloſſalen Kin-
chinjinga durch Oberſt Waugk, Director of the trigonometrical Survey
of India, gebracht. Dieſer Gipfel des Himalaya iſt 26.438 Pariſer Fuß
hoch, und mit den neuerdings wieder gemeſſenen Dhawalagiri und Deo-
danghi der höchſte Berg der Welt. Aber nicht bloß die erweiterte geogno-
ſtiſche Kenntniß von Jnner-Aſien, wie die der Geſtaltung des nordweſt-
lichen Amerika, über welche Charles Frémont, Wislizenus und Abert ſo
viel Licht verbreitet haben, mußte zu neuen Anſichten führen, auch der
meteorologiſche, pflanzengeographiſche und pflanzenphyſiognomiſche Theil
der wiſſenſchaftlichen Erläuterungen mußte völlig umgeſchmolzen
werden, gemäß der Fortſchritte unſeres Naturwiſſens in den 23 Jahren,
welche ſeit der Erſcheinung der letzten Ausgabe verfloſſen ſind. Jch habe
gehofft den Trieb zum Studium der Natur dadurch zu beleben daß in
dem kleinſten Raume die mannichfaltigſten Reſultate gründlicher Beob-
achtung zuſammengedrängt, die Wichtigkeit genauer numeriſcher An-
gaben und ihrer Vergleichung unter einander erkannt und dem dogma-
tiſchen Halbwiſſen, wie der vornehmen Zweifelſucht geſteuert werde,
welche in den ſogenannten höheren Kreiſen des geſelligen Lebens einen
langen Beſitz haben. Mehr als die Hälfte dieſer dritten Ausgabe
der Anſichten der Natur iſt als neu zu betrachten. Auch habe ich vor-
her nicht erſchienene beſchreibende Aufſätze: Das nächtliche Thierle-
ben im Walde, das Hochland von Caxamarca, der alten
Reſidenzſtadt des Jnca Atahuallpa, und den erſten Anblick
der Südſee von dem Rücken der Andeskette hinzugefügt. Man
hat es oft, wie ich ſchon an einem andern Orte erinnert, eine nicht er-
freuliche Betrachtung genannt daß, indem rein litterariſche Geiſtespro-
ducte gewurzelt ſind in den Tiefen der Gefühle und der ſchaffenden Ein-
bildungskraft, alles was mit der bloßen Empirie, mit Ergründung von
Naturerſcheinungen und phyſiſcher Geſetze zuſammenhängt, in wenigen
Jahrzehenden, bei allmählicher Erweiterung des Horizonts der Beobach-
tung, eine andere Geſtaltung annimmt, ja daß, wie man ſich auszudrü-
cken pflegt, veraltete naturwiſſenſchaftliche Schriften als unlesbar der
Vergeſſenheit übergeben ſind. Jn meinen Anſichten der Natur, die
ich als Compoſition nicht zu rechtfertigen unternehme, könnte das
beſchreibende, darſtellende Element (wenn es mir einigermaßen gelungen
wäre das vorgeſetzte Ziel zu erreichen) ſich einiger Dauer erfreuen; das
wiſſenſchaftlich erläuternde Element bedarf, als das fortſchreitend be-
wegliche, ſeiner Natur nach ſorgſam umformender Hülfe. Da ich nun
ſchon durch meine Arbeiten 60 Jahre mit dem deutſchen Publicum im
Verkehr ſtehe, ſo habe ich, neben dem Fortſchritte, auch den wellenartig
wiederkehrenden Wechſel der Meinungen beobachten können. Potsdam
den 24 Auguſt 1849. Alexander v. Humboldt.
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