nommen, der Staat wäre im Stande, diese auf eine, seinen Ab- sichten bequeme Weise umzuformen -- wovon doch die Unmög- lichkeit wohl unläugbar ist so wäre ich in der Rechtfertigung der, in dem ganzen bisherigen Vortrage aufgestellten Behaup- tungen sehr unglücklich gewesen, wenn ich hier noch alle die Gründe wiederholen müsste, welche es dem Staate überall ver- bieten, sich des Menschen, mit Uebersehung der individuellen Zwecke desselben, eigenmächtig zu seinen Absichten zu bedie- nen. Dass auch hier nicht absolute Nothwendigkeit eintritt, welche allein vielleicht eine Ausnahme zu rechtfertigen ver- möchte, zeigt die Unabhängigkeit der Moralität von der Reli- gion, die ich darzuthun versucht habe, und werden diejenigen Gründe noch in ein helleres Licht stellen, durch die ich bald zu zeigen gedenke, dass die Erhaltung der innerlichen Sicher- heit in einem Staate keineswegs es erfordert, den Sitten über- haupt eine eigene bestimmte Richtung zu geben. Wenn aber irgend etwas in den Seelen der Bürger einen fruchtbaren Boden für die Religion zu bereiten vermag, wenn irgend etwas die fest aufgenommene und in das Gedanken- wie in das Empfindungs- system übergegangene Religion wohlthätig auf die Sittlichkeit zurückwirken lässt; so ist es die Freiheit, welche doch immer, wie wenig es auch sei, durch eine positive Sorgfalt des Staats leidet. Denn je mannigfaltiger und eigenthümlicher der Mensch sich ausbildet, je höher sein Gefühl sich emporschwingt; desto leichter richtet sich auch sein Blick von dem engen, wechseln- den Kreise, der ihn umgiebt, auf das hin, dessen Unendlichkeit und Einheit den Grund jener Schranken und jenes Wechsels enthält, er mag nun ein solches Wesen zu finden, oder nicht zu finden vermeinen. Je freier ferner der Mensch ist, desto selbst- ständiger wird er in sich, und desto wohlwollender gegen andere. Nun aber führt nichts so der Gottheit zu, als wohlwollende Liebe; und macht nichts so das Entbehren der Gottheit der Sittlichkeit unschädlich, als Selbstständigkeit, die Kraft, die
nommen, der Staat wäre im Stande, diese auf eine, seinen Ab- sichten bequeme Weise umzuformen — wovon doch die Unmög- lichkeit wohl unläugbar ist so wäre ich in der Rechtfertigung der, in dem ganzen bisherigen Vortrage aufgestellten Behaup- tungen sehr unglücklich gewesen, wenn ich hier noch alle die Gründe wiederholen müsste, welche es dem Staate überall ver- bieten, sich des Menschen, mit Uebersehung der individuellen Zwecke desselben, eigenmächtig zu seinen Absichten zu bedie- nen. Dass auch hier nicht absolute Nothwendigkeit eintritt, welche allein vielleicht eine Ausnahme zu rechtfertigen ver- möchte, zeigt die Unabhängigkeit der Moralität von der Reli- gion, die ich darzuthun versucht habe, und werden diejenigen Gründe noch in ein helleres Licht stellen, durch die ich bald zu zeigen gedenke, dass die Erhaltung der innerlichen Sicher- heit in einem Staate keineswegs es erfordert, den Sitten über- haupt eine eigene bestimmte Richtung zu geben. Wenn aber irgend etwas in den Seelen der Bürger einen fruchtbaren Boden für die Religion zu bereiten vermag, wenn irgend etwas die fest aufgenommene und in das Gedanken- wie in das Empfindungs- system übergegangene Religion wohlthätig auf die Sittlichkeit zurückwirken lässt; so ist es die Freiheit, welche doch immer, wie wenig es auch sei, durch eine positive Sorgfalt des Staats leidet. Denn je mannigfaltiger und eigenthümlicher der Mensch sich ausbildet, je höher sein Gefühl sich emporschwingt; desto leichter richtet sich auch sein Blick von dem engen, wechseln- den Kreise, der ihn umgiebt, auf das hin, dessen Unendlichkeit und Einheit den Grund jener Schranken und jenes Wechsels enthält, er mag nun ein solches Wesen zu finden, oder nicht zu finden vermeinen. Je freier ferner der Mensch ist, desto selbst- ständiger wird er in sich, und desto wohlwollender gegen andere. Nun aber führt nichts so der Gottheit zu, als wohlwollende Liebe; und macht nichts so das Entbehren der Gottheit der Sittlichkeit unschädlich, als Selbstständigkeit, die Kraft, die
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nommen, der Staat wäre im Stande, diese auf eine, seinen Ab-
sichten bequeme Weise umzuformen — wovon doch die Unmög-
lichkeit wohl unläugbar ist so wäre ich in der Rechtfertigung
der, in dem ganzen bisherigen Vortrage aufgestellten Behaup-
tungen sehr unglücklich gewesen, wenn ich hier noch alle die
Gründe wiederholen müsste, welche es dem Staate überall ver-
bieten, sich des Menschen, mit Uebersehung der individuellen
Zwecke desselben, eigenmächtig zu seinen Absichten zu bedie-
nen. Dass auch hier nicht absolute Nothwendigkeit eintritt,
welche allein vielleicht eine Ausnahme zu rechtfertigen ver-
möchte, zeigt die Unabhängigkeit der Moralität von der Reli-
gion, die ich darzuthun versucht habe, und werden diejenigen
Gründe noch in ein helleres Licht stellen, durch die ich bald
zu zeigen gedenke, dass die Erhaltung der innerlichen Sicher-
heit in einem Staate keineswegs es erfordert, den Sitten über-
haupt eine eigene bestimmte Richtung zu geben. Wenn aber
irgend etwas in den Seelen der Bürger einen fruchtbaren Boden
für die Religion zu bereiten vermag, wenn irgend etwas die fest
aufgenommene und in das Gedanken- wie in das Empfindungs-
system übergegangene Religion wohlthätig auf die Sittlichkeit
zurückwirken lässt; so ist es die Freiheit, welche doch immer,
wie wenig es auch sei, durch eine positive Sorgfalt des Staats
leidet. Denn je mannigfaltiger und eigenthümlicher der Mensch
sich ausbildet, je höher sein Gefühl sich emporschwingt; desto
leichter richtet sich auch sein Blick von dem engen, wechseln-
den Kreise, der ihn umgiebt, auf das hin, dessen Unendlichkeit
und Einheit den Grund jener Schranken und jenes Wechsels
enthält, er mag nun ein solches Wesen zu finden, oder nicht zu
finden vermeinen. Je freier ferner der Mensch ist, desto selbst-
ständiger wird er in sich, und desto wohlwollender gegen andere.
Nun aber führt nichts so der Gottheit zu, als wohlwollende
Liebe; und macht nichts so das Entbehren der Gottheit der
Sittlichkeit unschädlich, als Selbstständigkeit, die Kraft, die
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/118>, abgerufen am 16.02.2025.
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