X. Sorgfalt des Staats für die Sicherheit durch Bestimmung solcher Handlungen der Bürger, welche sich unmittelbar und geradezu nur auf den Handlenden selbst beziehen. (Polizeigesetze.)
Ueber den Ausdruck Polizeigesetze. -- Der einzige Grund, welcher den Staat hier zu Beschränkungen berechtigt, ist, wenn die Folgen solcher Handlungen die Rechte andrer schmälern. -- Beschaffenheit der Folgen, welche eine solche Schmälerung enthalten. -- Erläuterung durch das Beispiel Aergerniss erregender Handlungen. -- Vorsichtsregeln für den Staat für den Fall solcher Handlungen, deren Folgen dadurch den Rechten andrer gefährlich werden können, weil ein seltner Grad der Beurtheilungskraft und der Kenntnisse erfordert wird, um der Gefahr zu entgehen, -- Welche Nähe der Verbindung jener Folgen mit der Handlung selbst nothwendig ist, um Beschränkungen zu begründen? -- Höchster aus dem Vorigen gezogener Grundsatz. -- Ausnahmen desselben. -- Vortheile, wenn die Bürger freiwillig durch Verträge bewirken, was der Staat sonst durch Gesetze bewirken muss. -- Prüfung der Frage: ob der Staat zu positiven Handlungen zwingen kann. -- Verneinung, weil -- ein solcher Zwang schäd- lich, -- zur Erhaltung der Sicherheit nicht nothwendig ist. -- Ausnahmen des Nothrechts. -- Handlungen, welche auf gemeinschaftlichem Eigenthum geschehen, oder dasselbe betreffen.
Um -- wie es jetzt geschehen muss -- dem Menschen durch alle die mannigfaltigen Verhältnisse des Lebens zu folgen, wird es gut sein, bei demjenigen zuerst anzufangen, welches unter allen das einfachste ist, bei dem Falle nämlich, wo der Mensch, wenn gleich in Verbindung mit andern lebend, doch völlig innerhalb der Schranken seines Eigenthums bleibt, und nichts vornimmt, was sich unmittelbar und geradezu auf andre bezieht. Von diesem Fall handeln die meisten der sogenannten Polizeigesetze. Denn so schwankend auch dieser Ausdruck ist; so ist dennoch wohl die wichtigste und allgemeinste Bedeu- tung die, dass diese Gesetze, ohne selbst Handlungen zu betref- fen, wodurch fremdes Recht unmittelbar gekränkt wird, nur von Mitteln reden, dergleichen Kränkungen vorzubeugen; sie mögen nun entweder solche Handlungen beschränken, deren Folgen selbst dem fremden Rechte leicht gefährlich werden können, oder solche, welche gewöhnlich zu Uebertretungen der
X. Sorgfalt des Staats für die Sicherheit durch Bestimmung solcher Handlungen der Bürger, welche sich unmittelbar und geradezu nur auf den Handlenden selbst beziehen. (Polizeigesetze.)
Ueber den Ausdruck Polizeigesetze. — Der einzige Grund, welcher den Staat hier zu Beschränkungen berechtigt, ist, wenn die Folgen solcher Handlungen die Rechte andrer schmälern. — Beschaffenheit der Folgen, welche eine solche Schmälerung enthalten. — Erläuterung durch das Beispiel Aergerniss erregender Handlungen. — Vorsichtsregeln für den Staat für den Fall solcher Handlungen, deren Folgen dadurch den Rechten andrer gefährlich werden können, weil ein seltner Grad der Beurtheilungskraft und der Kenntnisse erfordert wird, um der Gefahr zu entgehen, — Welche Nähe der Verbindung jener Folgen mit der Handlung selbst nothwendig ist, um Beschränkungen zu begründen? — Höchster aus dem Vorigen gezogener Grundsatz. — Ausnahmen desselben. — Vortheile, wenn die Bürger freiwillig durch Verträge bewirken, was der Staat sonst durch Gesetze bewirken muss. — Prüfung der Frage: ob der Staat zu positiven Handlungen zwingen kann. — Verneinung, weil — ein solcher Zwang schäd- lich, — zur Erhaltung der Sicherheit nicht nothwendig ist. — Ausnahmen des Nothrechts. — Handlungen, welche auf gemeinschaftlichem Eigenthum geschehen, oder dasselbe betreffen.
Um — wie es jetzt geschehen muss — dem Menschen durch alle die mannigfaltigen Verhältnisse des Lebens zu folgen, wird es gut sein, bei demjenigen zuerst anzufangen, welches unter allen das einfachste ist, bei dem Falle nämlich, wo der Mensch, wenn gleich in Verbindung mit andern lebend, doch völlig innerhalb der Schranken seines Eigenthums bleibt, und nichts vornimmt, was sich unmittelbar und geradezu auf andre bezieht. Von diesem Fall handeln die meisten der sogenannten Polizeigesetze. Denn so schwankend auch dieser Ausdruck ist; so ist dennoch wohl die wichtigste und allgemeinste Bedeu- tung die, dass diese Gesetze, ohne selbst Handlungen zu betref- fen, wodurch fremdes Recht unmittelbar gekränkt wird, nur von Mitteln reden, dergleichen Kränkungen vorzubeugen; sie mögen nun entweder solche Handlungen beschränken, deren Folgen selbst dem fremden Rechte leicht gefährlich werden können, oder solche, welche gewöhnlich zu Uebertretungen der
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X.
Sorgfalt des Staats für die Sicherheit durch Bestimmung solcher
Handlungen der Bürger, welche sich unmittelbar und geradezu
nur auf den Handlenden selbst beziehen. (Polizeigesetze.)
Ueber den Ausdruck Polizeigesetze. — Der einzige Grund, welcher den Staat
hier zu Beschränkungen berechtigt, ist, wenn die Folgen solcher Handlungen die
Rechte andrer schmälern. — Beschaffenheit der Folgen, welche eine solche
Schmälerung enthalten. — Erläuterung durch das Beispiel Aergerniss erregender
Handlungen. — Vorsichtsregeln für den Staat für den Fall solcher Handlungen,
deren Folgen dadurch den Rechten andrer gefährlich werden können, weil ein
seltner Grad der Beurtheilungskraft und der Kenntnisse erfordert wird, um der
Gefahr zu entgehen, — Welche Nähe der Verbindung jener Folgen mit der
Handlung selbst nothwendig ist, um Beschränkungen zu begründen? — Höchster
aus dem Vorigen gezogener Grundsatz. — Ausnahmen desselben. — Vortheile,
wenn die Bürger freiwillig durch Verträge bewirken, was der Staat sonst durch
Gesetze bewirken muss. — Prüfung der Frage: ob der Staat zu positiven
Handlungen zwingen kann. — Verneinung, weil — ein solcher Zwang schäd-
lich, — zur Erhaltung der Sicherheit nicht nothwendig ist. — Ausnahmen des
Nothrechts. — Handlungen, welche auf gemeinschaftlichem Eigenthum
geschehen, oder dasselbe betreffen.
Um — wie es jetzt geschehen muss — dem Menschen durch
alle die mannigfaltigen Verhältnisse des Lebens zu folgen,
wird es gut sein, bei demjenigen zuerst anzufangen, welches
unter allen das einfachste ist, bei dem Falle nämlich, wo der
Mensch, wenn gleich in Verbindung mit andern lebend, doch
völlig innerhalb der Schranken seines Eigenthums bleibt, und
nichts vornimmt, was sich unmittelbar und geradezu auf andre
bezieht. Von diesem Fall handeln die meisten der sogenannten
Polizeigesetze. Denn so schwankend auch dieser Ausdruck
ist; so ist dennoch wohl die wichtigste und allgemeinste Bedeu-
tung die, dass diese Gesetze, ohne selbst Handlungen zu betref-
fen, wodurch fremdes Recht unmittelbar gekränkt wird, nur
von Mitteln reden, dergleichen Kränkungen vorzubeugen; sie
mögen nun entweder solche Handlungen beschränken, deren
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/142>, abgerufen am 16.02.2025.
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