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Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

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weg, was man von Aergerniss erregenden Handlungen in Ab-
sicht auf Religion und Sitten besonders sagt. Wer Dinge
äussert, oder Handlungen vornimmt, welche das Gewissen und
die Sittlichkeit des andern beleidigen, mag allerdings unmo-
ralisch handeln, allein, so fern er sich keine Zudringlichkeit zu
Schulden kommen lässt, kränkt er kein Recht. Es bleibt dem
andern unbenommen, sich von ihm zu entfernen, oder macht
die Lage dies unmöglich, so trägt er die unvermeidliche Unbe-
quemlichkeit der Verbindung mit ungleichen Charakteren, und
darf nicht vergessen, dass vielleicht auch jener durch den An-
blick von Seiten gestört wird, die ihm eigenthümlich sind, da,
auf wessen Seite sich das Recht befinde? immer nur da
wichtig ist, wo es nicht an einem Rechte zu entscheiden fehlt.
Selbst der doch gewiss weit schlimmere Fall, wenn der Anblick
dieser oder jener Handlung, das Anhören dieses oder jenen
Raisonnements die Tugend oder die Vernunft und den gesun-
den Verstand andrer verführte, würde keine Einschränkung der
Freiheit erlauben. Wer so handelte, oder sprach, beleidigte
dadurch an sich Niemandes Recht, und es stand dem andren
frei, dem üblen Eindruck bei sich selbst Stärke des Willens,
oder Gründe der Vernunft entgegenzusetzen. Daher denn
auch, wie gross sehr oft das hieraus entspringende Uebel sein
mag, wiederum auf der andren Seite nie der gute Erfolg aus-
bleibt, dass in diesem Fall die Stärke des Charakters, in dem
vorigen die Toleranz und die Vielseitigkeit der Ansicht geprüft
wird und gewinnt. Ich brauche hier wohl nicht zu erinnern,
dass ich an diesen Fällen hier nichts weiter betrachte, als ob sie
die Sicherheit der Bürger stören? Denn ihr Verhältniss zur
Sittlichkeit der Nation, und was dem Staat in dieser Hinsicht
erlaubt sein kann, oder nicht? habe ich schon im Vorigen aus-
einanderzusetzen versucht.

Da es indess mehrere Dinge giebt, deren Beurtheilung posi-
tive, nicht jedem eigne Kenntnisse erfordert, und wo daher die

weg, was man von Aergerniss erregenden Handlungen in Ab-
sicht auf Religion und Sitten besonders sagt. Wer Dinge
äussert, oder Handlungen vornimmt, welche das Gewissen und
die Sittlichkeit des andern beleidigen, mag allerdings unmo-
ralisch handeln, allein, so fern er sich keine Zudringlichkeit zu
Schulden kommen lässt, kränkt er kein Recht. Es bleibt dem
andern unbenommen, sich von ihm zu entfernen, oder macht
die Lage dies unmöglich, so trägt er die unvermeidliche Unbe-
quemlichkeit der Verbindung mit ungleichen Charakteren, und
darf nicht vergessen, dass vielleicht auch jener durch den An-
blick von Seiten gestört wird, die ihm eigenthümlich sind, da,
auf wessen Seite sich das Recht befinde? immer nur da
wichtig ist, wo es nicht an einem Rechte zu entscheiden fehlt.
Selbst der doch gewiss weit schlimmere Fall, wenn der Anblick
dieser oder jener Handlung, das Anhören dieses oder jenen
Raisonnements die Tugend oder die Vernunft und den gesun-
den Verstand andrer verführte, würde keine Einschränkung der
Freiheit erlauben. Wer so handelte, oder sprach, beleidigte
dadurch an sich Niemandes Recht, und es stand dem andren
frei, dem üblen Eindruck bei sich selbst Stärke des Willens,
oder Gründe der Vernunft entgegenzusetzen. Daher denn
auch, wie gross sehr oft das hieraus entspringende Uebel sein
mag, wiederum auf der andren Seite nie der gute Erfolg aus-
bleibt, dass in diesem Fall die Stärke des Charakters, in dem
vorigen die Toleranz und die Vielseitigkeit der Ansicht geprüft
wird und gewinnt. Ich brauche hier wohl nicht zu erinnern,
dass ich an diesen Fällen hier nichts weiter betrachte, als ob sie
die Sicherheit der Bürger stören? Denn ihr Verhältniss zur
Sittlichkeit der Nation, und was dem Staat in dieser Hinsicht
erlaubt sein kann, oder nicht? habe ich schon im Vorigen aus-
einanderzusetzen versucht.

Da es indess mehrere Dinge giebt, deren Beurtheilung posi-
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[108/0144] weg, was man von Aergerniss erregenden Handlungen in Ab- sicht auf Religion und Sitten besonders sagt. Wer Dinge äussert, oder Handlungen vornimmt, welche das Gewissen und die Sittlichkeit des andern beleidigen, mag allerdings unmo- ralisch handeln, allein, so fern er sich keine Zudringlichkeit zu Schulden kommen lässt, kränkt er kein Recht. Es bleibt dem andern unbenommen, sich von ihm zu entfernen, oder macht die Lage dies unmöglich, so trägt er die unvermeidliche Unbe- quemlichkeit der Verbindung mit ungleichen Charakteren, und darf nicht vergessen, dass vielleicht auch jener durch den An- blick von Seiten gestört wird, die ihm eigenthümlich sind, da, auf wessen Seite sich das Recht befinde? immer nur da wichtig ist, wo es nicht an einem Rechte zu entscheiden fehlt. Selbst der doch gewiss weit schlimmere Fall, wenn der Anblick dieser oder jener Handlung, das Anhören dieses oder jenen Raisonnements die Tugend oder die Vernunft und den gesun- den Verstand andrer verführte, würde keine Einschränkung der Freiheit erlauben. Wer so handelte, oder sprach, beleidigte dadurch an sich Niemandes Recht, und es stand dem andren frei, dem üblen Eindruck bei sich selbst Stärke des Willens, oder Gründe der Vernunft entgegenzusetzen. Daher denn auch, wie gross sehr oft das hieraus entspringende Uebel sein mag, wiederum auf der andren Seite nie der gute Erfolg aus- bleibt, dass in diesem Fall die Stärke des Charakters, in dem vorigen die Toleranz und die Vielseitigkeit der Ansicht geprüft wird und gewinnt. Ich brauche hier wohl nicht zu erinnern, dass ich an diesen Fällen hier nichts weiter betrachte, als ob sie die Sicherheit der Bürger stören? Denn ihr Verhältniss zur Sittlichkeit der Nation, und was dem Staat in dieser Hinsicht erlaubt sein kann, oder nicht? habe ich schon im Vorigen aus- einanderzusetzen versucht. Da es indess mehrere Dinge giebt, deren Beurtheilung posi- tive, nicht jedem eigne Kenntnisse erfordert, und wo daher die

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/144>, abgerufen am 21.11.2024.