Humboldt selbst, indem er sich der Uebereinstimmung rühmt, in der er mit seiner Jugend geblieben sei, unterscheidet doch eben diese Jugend sehr nachdrücklich von allen anderen Lebens- epochen: "Die Gefühle, die heiligten der Jugend Blüthen- weihe. -- -- -- Denn von den duft'gen Lebenskränzen allen Am duftigsten der Kranz der Jugend schwillet." Diese Weihezeit in Humboldts Leben, die er selbst im Alter in so schönen und rührenden Worten feierte, war uns bisher so gut wie verschlossen. Hier bietet sich uns nun eine duftige Blüthe aus dem Kranze seiner Jugend dar.
Varnhagen 1) hat an die Spitze der Charakteristik, die er uns von Humboldt giebt, ein Wort Rahels gestellt, Humboldt sei von keinem Alter gewesen und er hat seinerseits bestätigt, dass die verschiednen Lebensalter in ihm von geringer Kraft ge- wesen seien. Ich wage es ungern, dem Urtheil eines so bewährten Darstellers und eines Humboldt so nahe stehenden Mannes entgegenzutreten. Aber ich gestehe, dass, so wie uns jetzt Humboldts Geistesleben in einer langen Reihe von Documen- ten vorliegt, ich die Thatsachen doch damit einigermaassen im Widerspruche finde. Die Einheit in Humboldt's Wesen wäre nicht so sehr zu bewundern, wenn sie nicht in einer so grossen Mannigfaltigkeit von Erscheinungsformen und Ent- wickelungsphasen zur Darstellung gekommen wäre. Der Kampf gegen die Hemmungen, die in der Enge, Unfreiheit und Ein- förmigkeit unsrer modernen Zustände für die energische und allseitige Entfaltung der Individualitäten liegen, ist das grosse Grundthema des vorliegenden Aufsatzes. Man darf sagen, dass kaum einer der Neueren diese Hemmungen an sich selbst weniger erfahren hat, als Humboldt, dass kaum in einem Zwei- ten eine gleich edle und tiefe Anlage gleich sehr und dauernd von allen Bedingungen des Gedeihens begünstigt war, dass
1) Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. V. p. 118 ff.
b*
Humboldt selbst, indem er sich der Uebereinstimmung rühmt, in der er mit seiner Jugend geblieben sei, unterscheidet doch eben diese Jugend sehr nachdrücklich von allen anderen Lebens- epochen: „Die Gefühle, die heiligten der Jugend Blüthen- weihe. — — — Denn von den duft’gen Lebenskränzen allen Am duftigsten der Kranz der Jugend schwillet.“ Diese Weihezeit in Humboldts Leben, die er selbst im Alter in so schönen und rührenden Worten feierte, war uns bisher so gut wie verschlossen. Hier bietet sich uns nun eine duftige Blüthe aus dem Kranze seiner Jugend dar.
Varnhagen 1) hat an die Spitze der Charakteristik, die er uns von Humboldt giebt, ein Wort Rahels gestellt, Humboldt sei von keinem Alter gewesen und er hat seinerseits bestätigt, dass die verschiednen Lebensalter in ihm von geringer Kraft ge- wesen seien. Ich wage es ungern, dem Urtheil eines so bewährten Darstellers und eines Humboldt so nahe stehenden Mannes entgegenzutreten. Aber ich gestehe, dass, so wie uns jetzt Humboldts Geistesleben in einer langen Reihe von Documen- ten vorliegt, ich die Thatsachen doch damit einigermaassen im Widerspruche finde. Die Einheit in Humboldt’s Wesen wäre nicht so sehr zu bewundern, wenn sie nicht in einer so grossen Mannigfaltigkeit von Erscheinungsformen und Ent- wickelungsphasen zur Darstellung gekommen wäre. Der Kampf gegen die Hemmungen, die in der Enge, Unfreiheit und Ein- förmigkeit unsrer modernen Zustände für die energische und allseitige Entfaltung der Individualitäten liegen, ist das grosse Grundthema des vorliegenden Aufsatzes. Man darf sagen, dass kaum einer der Neueren diese Hemmungen an sich selbst weniger erfahren hat, als Humboldt, dass kaum in einem Zwei- ten eine gleich edle und tiefe Anlage gleich sehr und dauernd von allen Bedingungen des Gedeihens begünstigt war, dass
1) Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. V. p. 118 ff.
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[XIX/0027]
Humboldt selbst, indem er sich der Uebereinstimmung rühmt,
in der er mit seiner Jugend geblieben sei, unterscheidet doch
eben diese Jugend sehr nachdrücklich von allen anderen Lebens-
epochen: „Die Gefühle, die heiligten der Jugend Blüthen-
weihe. — — — Denn von den duft’gen Lebenskränzen allen
Am duftigsten der Kranz der Jugend schwillet.“ Diese
Weihezeit in Humboldts Leben, die er selbst im Alter in so
schönen und rührenden Worten feierte, war uns bisher so gut
wie verschlossen. Hier bietet sich uns nun eine duftige Blüthe
aus dem Kranze seiner Jugend dar.
Varnhagen 1) hat an die Spitze der Charakteristik, die er
uns von Humboldt giebt, ein Wort Rahels gestellt, Humboldt
sei von keinem Alter gewesen und er hat seinerseits bestätigt,
dass die verschiednen Lebensalter in ihm von geringer Kraft ge-
wesen seien. Ich wage es ungern, dem Urtheil eines so bewährten
Darstellers und eines Humboldt so nahe stehenden Mannes
entgegenzutreten. Aber ich gestehe, dass, so wie uns jetzt
Humboldts Geistesleben in einer langen Reihe von Documen-
ten vorliegt, ich die Thatsachen doch damit einigermaassen
im Widerspruche finde. Die Einheit in Humboldt’s Wesen
wäre nicht so sehr zu bewundern, wenn sie nicht in einer so
grossen Mannigfaltigkeit von Erscheinungsformen und Ent-
wickelungsphasen zur Darstellung gekommen wäre. Der Kampf
gegen die Hemmungen, die in der Enge, Unfreiheit und Ein-
förmigkeit unsrer modernen Zustände für die energische und
allseitige Entfaltung der Individualitäten liegen, ist das grosse
Grundthema des vorliegenden Aufsatzes. Man darf sagen,
dass kaum einer der Neueren diese Hemmungen an sich selbst
weniger erfahren hat, als Humboldt, dass kaum in einem Zwei-
ten eine gleich edle und tiefe Anlage gleich sehr und dauernd
von allen Bedingungen des Gedeihens begünstigt war, dass
1) Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. V. p. 118 ff.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. XIX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/27>, abgerufen am 16.07.2024.
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