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Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

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gewesen 1); und der selbst 2), welcher die Moralität in ihrer
höchsten Reinheit sah und darstellte, glaubt, durch eine sehr
künstliche Maschinerie seinem Ideal des Menschen die Glück-
seligkeit, wahrlich mehr, wie eine fremde Belohnung, als wie
ein eigen errungenes Gut, zuführen zu müssen. Ich verliere
kein Wort über diese Verschiedenheit. Ich schliesse nur mit
einer Stelle aus Aristoteles Ethik: "Was einem Jeden, seiner
"Natur nach, eigenthümlich ist, ist ihm das Beste und Süsseste.
"Daher auch den Menschen das Leben nach der Vernunft,
"wenn nämlich darin am meisten der Mensch besteht, am mei-
"sten beseligt 3)."

Schon mehr als Einmal ist unter den Staatsrechtslehrern
gestritten worden, ob der Staat allein Sicherheit, oder über-
haupt das ganze physische und moralische Wohl der Nation
beabsichten müsse? Sorgfalt für die Freiheit des Privatlebens
hat vorzüglich auf die erstere Behauptung geführt; indess die
natürliche Idee, dass der Staat mehr, als allein Sicherheit
gewähren könne, und ein Missbrauch in der Beschrän-
kung der Freiheit wohl möglich, aber nicht nothwen-
dig sei, der letzteren das Wort redete. Auch ist diese

1) Nie ist dieser Unterschied auffallender, als wenn alte Philosophen von
neueren beurtheilt werden. Ich führe als ein Beispiel eine Stelle Tiede-
manns über eins der schönsten Stücke aus Platos Republik an: Quanquam
autem per se sit iustitia grata nobis: tamen si exercitium eius nullam omnino
afferret utilitatem, si iusto ea omnia essent patienda, quae fratres commemorant;
iniustitia iustitiae foret praeferenda; quae enim ad felicitatem maxime faciunt
nostram, sunt absque dubio aliis praeponenda. Jam corporis cruciatus, omnium
rerum inopia, fames, infamia, quaeque alia evenire iusto fratres dixerunt, animi
illam e iustitia manantem voluptatem dubio procul longe superant, essetque adeo
iniustitia iustitiae antehabenda et in virtutum numero collocanda. Tiedemann
in argumentis dialogorum Platonis. Ad 1. 2. de republica.
2) Kant über das höchste Gut in den Anfangsgründen der Metaphysik der
Sitten [genauer: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Riga 1785], und in
der Kritik der praktischen Vernunft.
3) To oikeion ekasto te phusei, kratiston kai ediston esth ekasto kai
to anthropo de o kata ton noun bios, eiper malista touto anthropos, outos
ara kai eudaimonestatos. Aristotelis Ethikon Nikomakh. l. X. c. 7. in fin.

gewesen 1); und der selbst 2), welcher die Moralität in ihrer
höchsten Reinheit sah und darstellte, glaubt, durch eine sehr
künstliche Maschinerie seinem Ideal des Menschen die Glück-
seligkeit, wahrlich mehr, wie eine fremde Belohnung, als wie
ein eigen errungenes Gut, zuführen zu müssen. Ich verliere
kein Wort über diese Verschiedenheit. Ich schliesse nur mit
einer Stelle aus Aristoteles Ethik: „Was einem Jeden, seiner
„Natur nach, eigenthümlich ist, ist ihm das Beste und Süsseste.
„Daher auch den Menschen das Leben nach der Vernunft,
„wenn nämlich darin am meisten der Mensch besteht, am mei-
„sten beseligt 3).“

Schon mehr als Einmal ist unter den Staatsrechtslehrern
gestritten worden, ob der Staat allein Sicherheit, oder über-
haupt das ganze physische und moralische Wohl der Nation
beabsichten müsse? Sorgfalt für die Freiheit des Privatlebens
hat vorzüglich auf die erstere Behauptung geführt; indess die
natürliche Idee, dass der Staat mehr, als allein Sicherheit
gewähren könne, und ein Missbrauch in der Beschrän-
kung der Freiheit wohl möglich, aber nicht nothwen-
dig sei, der letzteren das Wort redete. Auch ist diese

1) Nie ist dieser Unterschied auffallender, als wenn alte Philosophen von
neueren beurtheilt werden. Ich führe als ein Beispiel eine Stelle Tiede-
manns über eins der schönsten Stücke aus Platos Republik an: Quanquam
autem per se sit iustitia grata nobis: tamen si exercitium eius nullam omnino
afferret utilitatem, si iusto ea omnia essent patienda, quae fratres commemorant;
iniustitia iustitiae foret praeferenda; quae enim ad felicitatem maxime faciunt
nostram, sunt absque dubio aliis praeponenda. Jam corporis cruciatus, omnium
rerum inopia, fames, infamia, quaeque alia evenire iusto fratres dixerunt, animi
illam e iustitia manantem voluptatem dubio procul longe superant, essetque adeo
iniustitia iustitiae antehabenda et in virtutum numero collocanda. Tiedemann
in argumentis dialogorum Platonis. Ad 1. 2. de republica.
2) Kant über das höchste Gut in den Anfangsgründen der Metaphysik der
Sitten [genauer: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Riga 1785], und in
der Kritik der praktischen Vernunft.
3) Το οικειον ἑκαστῳ τῃ φυσει, κϱατιστον και ἡδιστον εσϑ̕ ἑκαστῳ και
τῳ ανϑρωπῳ δη ὁ κατα τον νουν βιος, ειπερ μαλιστα τουτο ανϑρωπος, οὑτος
αρα και ευδαιμονεστατος. Aristotelis Ηϑικων Νικομαχ. l. X. c. 7. in fin.
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[8/0044] gewesen 1); und der selbst 2), welcher die Moralität in ihrer höchsten Reinheit sah und darstellte, glaubt, durch eine sehr künstliche Maschinerie seinem Ideal des Menschen die Glück- seligkeit, wahrlich mehr, wie eine fremde Belohnung, als wie ein eigen errungenes Gut, zuführen zu müssen. Ich verliere kein Wort über diese Verschiedenheit. Ich schliesse nur mit einer Stelle aus Aristoteles Ethik: „Was einem Jeden, seiner „Natur nach, eigenthümlich ist, ist ihm das Beste und Süsseste. „Daher auch den Menschen das Leben nach der Vernunft, „wenn nämlich darin am meisten der Mensch besteht, am mei- „sten beseligt 3).“ Schon mehr als Einmal ist unter den Staatsrechtslehrern gestritten worden, ob der Staat allein Sicherheit, oder über- haupt das ganze physische und moralische Wohl der Nation beabsichten müsse? Sorgfalt für die Freiheit des Privatlebens hat vorzüglich auf die erstere Behauptung geführt; indess die natürliche Idee, dass der Staat mehr, als allein Sicherheit gewähren könne, und ein Missbrauch in der Beschrän- kung der Freiheit wohl möglich, aber nicht nothwen- dig sei, der letzteren das Wort redete. Auch ist diese 1) Nie ist dieser Unterschied auffallender, als wenn alte Philosophen von neueren beurtheilt werden. Ich führe als ein Beispiel eine Stelle Tiede- manns über eins der schönsten Stücke aus Platos Republik an: Quanquam autem per se sit iustitia grata nobis: tamen si exercitium eius nullam omnino afferret utilitatem, si iusto ea omnia essent patienda, quae fratres commemorant; iniustitia iustitiae foret praeferenda; quae enim ad felicitatem maxime faciunt nostram, sunt absque dubio aliis praeponenda. Jam corporis cruciatus, omnium rerum inopia, fames, infamia, quaeque alia evenire iusto fratres dixerunt, animi illam e iustitia manantem voluptatem dubio procul longe superant, essetque adeo iniustitia iustitiae antehabenda et in virtutum numero collocanda. Tiedemann in argumentis dialogorum Platonis. Ad 1. 2. de republica. 2) Kant über das höchste Gut in den Anfangsgründen der Metaphysik der Sitten [genauer: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Riga 1785], und in der Kritik der praktischen Vernunft. 3) Το οικειον ἑκαστῳ τῃ φυσει, κϱατιστον και ἡδιστον εσϑ̕ ἑκαστῳ και τῳ ανϑρωπῳ δη ὁ κατα τον νουν βιος, ειπερ μαλιστα τουτο ανϑρωπος, οὑτος αρα και ευδαιμονεστατος. Aristotelis Ηϑικων Νικομαχ. l. X. c. 7. in fin.

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/44>, abgerufen am 23.11.2024.