Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

"Große Abweichungen von der mittleren Temperaturvertheilung treten selten local auf, sie sind meist über große Länderstrecken gleichmäßig vertheilt. Die Größe der Abweichung ist an einer bestimmten Stelle ein Maximum und nimmt dann nach den Grenzen hin ab. Werden diese Grenzen überschritten, so findet man starke Abweichungen im entgegengesetzten Sinne. Gleichartige Witterungsverhältnisse finden sich häufiger von Süden nach Norden als von Westen nach Osten. Am Ende des Jahres 1829 (als ich meine sibirische Reise vollendete) fiel das Maximum der Kälte nach Berlin, während Nordamerika sich einer ungewöhnlichen Wärme erfreute. Es ist eine ganz willkührliche Annahme, daß auf einen strengen Winter ein heißer Sommer, auf einen milden Winter ein kühler Sommer folge." Die so verschiedenartig entgegengesetzten Witterungsverhältnisse neben einander liegender Länder oder zweier kornbauenden Continente bringen eine wohlthätige Ausgleichung in den Preisen vieler Producte des Wein- und Ackerbaues hervor. Man hat mit Recht bemerkt, daß das Barometer allein uns andeute, was in allen89 Luftschichten über dem Beobachtungsorte bis zur äußersten Grenze der Atmosphäre in der Veränderung des Druckes vorgeht, während das Thermometer und Psychrometer uns nur über die örtliche Wärme und Feuchtigkeit der unteren, dem Boden nahen Schicht unterrichtet. Die gleichzeitigen thermischen und hygrometrischen Modificationen der oberen Luftregionen ergründen wir, wo unmittelbare Beobachtungen auf Bergen oder in aerostatischen Reisen fehlen, nur aus hypothetischen Combinationen, da das Barometer allerdings auch als Thermometer und Feuchtig-

„Große Abweichungen von der mittleren Temperaturvertheilung treten selten local auf, sie sind meist über große Länderstrecken gleichmäßig vertheilt. Die Größe der Abweichung ist an einer bestimmten Stelle ein Maximum und nimmt dann nach den Grenzen hin ab. Werden diese Grenzen überschritten, so findet man starke Abweichungen im entgegengesetzten Sinne. Gleichartige Witterungsverhältnisse finden sich häufiger von Süden nach Norden als von Westen nach Osten. Am Ende des Jahres 1829 (als ich meine sibirische Reise vollendete) fiel das Maximum der Kälte nach Berlin, während Nordamerika sich einer ungewöhnlichen Wärme erfreute. Es ist eine ganz willkührliche Annahme, daß auf einen strengen Winter ein heißer Sommer, auf einen milden Winter ein kühler Sommer folge.“ Die so verschiedenartig entgegengesetzten Witterungsverhältnisse neben einander liegender Länder oder zweier kornbauenden Continente bringen eine wohlthätige Ausgleichung in den Preisen vieler Producte des Wein- und Ackerbaues hervor. Man hat mit Recht bemerkt, daß das Barometer allein uns andeute, was in allen89 Luftschichten über dem Beobachtungsorte bis zur äußersten Grenze der Atmosphäre in der Veränderung des Druckes vorgeht, während das Thermometer und Psychrometer uns nur über die örtliche Wärme und Feuchtigkeit der unteren, dem Boden nahen Schicht unterrichtet. Die gleichzeitigen thermischen und hygrometrischen Modificationen der oberen Luftregionen ergründen wir, wo unmittelbare Beobachtungen auf Bergen oder in aerostatischen Reisen fehlen, nur aus hypothetischen Combinationen, da das Barometer allerdings auch als Thermometer und Feuchtig-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0384" n="365"/>
          <p>&#x201E;Große Abweichungen von der mittleren Temperaturvertheilung treten selten local auf, sie sind meist über große Länderstrecken gleichmäßig vertheilt. Die Größe der Abweichung ist an einer bestimmten Stelle ein Maximum und nimmt dann nach den Grenzen hin ab. Werden diese Grenzen überschritten, so findet man starke Abweichungen <hi rendition="#g">im entgegengesetzten Sinne.</hi> Gleichartige Witterungsverhältnisse finden sich häufiger von Süden nach Norden als von Westen nach Osten. Am Ende des Jahres 1829 (als ich meine sibirische Reise vollendete) fiel das Maximum der Kälte nach Berlin, während Nordamerika sich einer ungewöhnlichen Wärme erfreute. Es ist eine ganz willkührliche Annahme, daß auf einen strengen Winter ein heißer Sommer, auf einen milden Winter ein kühler Sommer folge.&#x201C; Die so verschiedenartig entgegengesetzten Witterungsverhältnisse neben einander liegender Länder oder zweier kornbauenden Continente bringen eine wohlthätige Ausgleichung in den Preisen vieler Producte des Wein- und Ackerbaues hervor. Man hat mit Recht bemerkt, daß das Barometer allein uns andeute, was in allen<note place="end" n="89" xml:id="ftn419" next="#ftn419-text"/> Luftschichten über dem Beobachtungsorte bis zur äußersten Grenze der Atmosphäre in der Veränderung des Druckes vorgeht, während das Thermometer und Psychrometer uns nur über die örtliche Wärme und Feuchtigkeit der unteren, dem Boden nahen Schicht unterrichtet. Die gleichzeitigen thermischen und hygrometrischen Modificationen der oberen Luftregionen ergründen wir, wo unmittelbare Beobachtungen auf Bergen oder in aerostatischen Reisen fehlen, nur aus hypothetischen Combinationen, da das Barometer allerdings auch als Thermometer und Feuchtig-
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[365/0384] „Große Abweichungen von der mittleren Temperaturvertheilung treten selten local auf, sie sind meist über große Länderstrecken gleichmäßig vertheilt. Die Größe der Abweichung ist an einer bestimmten Stelle ein Maximum und nimmt dann nach den Grenzen hin ab. Werden diese Grenzen überschritten, so findet man starke Abweichungen im entgegengesetzten Sinne. Gleichartige Witterungsverhältnisse finden sich häufiger von Süden nach Norden als von Westen nach Osten. Am Ende des Jahres 1829 (als ich meine sibirische Reise vollendete) fiel das Maximum der Kälte nach Berlin, während Nordamerika sich einer ungewöhnlichen Wärme erfreute. Es ist eine ganz willkührliche Annahme, daß auf einen strengen Winter ein heißer Sommer, auf einen milden Winter ein kühler Sommer folge.“ Die so verschiedenartig entgegengesetzten Witterungsverhältnisse neben einander liegender Länder oder zweier kornbauenden Continente bringen eine wohlthätige Ausgleichung in den Preisen vieler Producte des Wein- und Ackerbaues hervor. Man hat mit Recht bemerkt, daß das Barometer allein uns andeute, was in allen ⁸⁹ Luftschichten über dem Beobachtungsorte bis zur äußersten Grenze der Atmosphäre in der Veränderung des Druckes vorgeht, während das Thermometer und Psychrometer uns nur über die örtliche Wärme und Feuchtigkeit der unteren, dem Boden nahen Schicht unterrichtet. Die gleichzeitigen thermischen und hygrometrischen Modificationen der oberen Luftregionen ergründen wir, wo unmittelbare Beobachtungen auf Bergen oder in aerostatischen Reisen fehlen, nur aus hypothetischen Combinationen, da das Barometer allerdings auch als Thermometer und Feuchtig-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen (2013-04-18T11:04:31Z)



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos01_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos01_1845/384
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos01_1845/384>, abgerufen am 22.11.2024.