Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

Der unmittelbaren Anschauung der Naturkörper, die sie erheischen, müssen wir in unserer nördlichen Zone oft lange entbehren; und ist unser Interesse auf eine bestimmte Classe von Gegenständen beschränkt, so gewähren uns selbst die trefflichsten Berichte reisender Naturforscher keinen Genuß, wenn darin gerade solche Gegenstände unberührt bleiben, auf welche unsere Studien gerichtet sind.

Wie die Weltgeschichte, wo es ihr gelingt, den wahren ursachlichen Zusammenhang der Begebenheiten darzustellen, viele Räthsel in den Schicksalen der Völker und ihrem intellectuellen, bald gehemmten, bald beschleunigten Fortschreiten löset; so würde auch eine physische Weltbeschreibung, geistreich und mit gründlicher Kenntniß des bereits Entdeckten aufgefaßt, einen Theil der Widersprüche heben, welche die streitenden Naturkräfte in ihrer zusammengesetzten Wirkung dem ersten Anschauen darbieten. Generelle Ansichten erhöhen den Begriff von der Würde und der Größe der Natur; sie wirken läuternd und beruhigend auf den Geist, weil sie gleichsam den Zwiespalt der Elemente durch Auffindung von Gesetzen zu schlichten streben, von Gesetzen, die in dem zarten Gewebe irdischer Stoffe, wie in dem Archipel dichtgedrängter Nebelflecke und in der schauderhaften Leere weltenarmer Wüsten walten. Generelle Ansichten gewöhnen uns, jeden Organismus als Theil des Ganzen zu betrachten, in der Pflanze und im Thier minder das Individuum oder die abgeschlossene Art, als die mit der Gesammtheit der Bildungen verkettete Naturform zu erkennen; sie erweitern unsere geistige Existenz und setzen uns, auch wenn wir in ländlicher Abgeschiedenheit leben, in Berührung mit dem ganzen Erdkreise. Durch sie erhält die Kunde

Der unmittelbaren Anschauung der Naturkörper, die sie erheischen, müssen wir in unserer nördlichen Zone oft lange entbehren; und ist unser Interesse auf eine bestimmte Classe von Gegenständen beschränkt, so gewähren uns selbst die trefflichsten Berichte reisender Naturforscher keinen Genuß, wenn darin gerade solche Gegenstände unberührt bleiben, auf welche unsere Studien gerichtet sind.

Wie die Weltgeschichte, wo es ihr gelingt, den wahren ursachlichen Zusammenhang der Begebenheiten darzustellen, viele Räthsel in den Schicksalen der Völker und ihrem intellectuellen, bald gehemmten, bald beschleunigten Fortschreiten löset; so würde auch eine physische Weltbeschreibung, geistreich und mit gründlicher Kenntniß des bereits Entdeckten aufgefaßt, einen Theil der Widersprüche heben, welche die streitenden Naturkräfte in ihrer zusammengesetzten Wirkung dem ersten Anschauen darbieten. Generelle Ansichten erhöhen den Begriff von der Würde und der Größe der Natur; sie wirken läuternd und beruhigend auf den Geist, weil sie gleichsam den Zwiespalt der Elemente durch Auffindung von Gesetzen zu schlichten streben, von Gesetzen, die in dem zarten Gewebe irdischer Stoffe, wie in dem Archipel dichtgedrängter Nebelflecke und in der schauderhaften Leere weltenarmer Wüsten walten. Generelle Ansichten gewöhnen uns, jeden Organismus als Theil des Ganzen zu betrachten, in der Pflanze und im Thier minder das Individuum oder die abgeschlossene Art, als die mit der Gesammtheit der Bildungen verkettete Naturform zu erkennen; sie erweitern unsere geistige Existenz und setzen uns, auch wenn wir in ländlicher Abgeschiedenheit leben, in Berührung mit dem ganzen Erdkreise. Durch sie erhält die Kunde

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0042" n="23"/>
Der unmittelbaren Anschauung der Naturkörper, die sie erheischen, müssen wir in unserer nördlichen Zone oft lange entbehren; und ist unser Interesse auf eine bestimmte Classe von Gegenständen beschränkt, so gewähren uns selbst die trefflichsten Berichte reisender Naturforscher keinen Genuß, wenn darin gerade solche Gegenstände unberührt bleiben, auf welche unsere Studien gerichtet sind.</p>
          <p>Wie die <hi rendition="#g">Weltgeschichte,</hi> wo es ihr gelingt, den wahren ursachlichen Zusammenhang der Begebenheiten darzustellen, viele Räthsel in den Schicksalen der Völker und ihrem intellectuellen, bald gehemmten, bald beschleunigten Fortschreiten löset; so würde auch eine <hi rendition="#g">physische Weltbeschreibung,</hi> geistreich und mit gründlicher Kenntniß des bereits Entdeckten aufgefaßt, einen Theil der Widersprüche heben, welche die streitenden Naturkräfte in ihrer zusammengesetzten Wirkung dem ersten Anschauen darbieten. Generelle Ansichten erhöhen den Begriff von der Würde und der Größe der Natur; sie wirken läuternd und beruhigend auf den Geist, weil sie gleichsam den Zwiespalt der Elemente durch Auffindung von Gesetzen zu schlichten streben, von Gesetzen, die in dem zarten Gewebe irdischer Stoffe, wie in dem Archipel dichtgedrängter Nebelflecke und in der schauderhaften Leere weltenarmer Wüsten walten. Generelle Ansichten gewöhnen uns, jeden Organismus als Theil des Ganzen zu betrachten, in der Pflanze und im Thier minder das Individuum oder die abgeschlossene Art, als die mit der Gesammtheit der Bildungen verkettete Naturform zu erkennen; sie erweitern unsere geistige Existenz und setzen uns, auch wenn wir in ländlicher Abgeschiedenheit leben, in Berührung mit dem ganzen Erdkreise. Durch sie erhält die Kunde
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0042] Der unmittelbaren Anschauung der Naturkörper, die sie erheischen, müssen wir in unserer nördlichen Zone oft lange entbehren; und ist unser Interesse auf eine bestimmte Classe von Gegenständen beschränkt, so gewähren uns selbst die trefflichsten Berichte reisender Naturforscher keinen Genuß, wenn darin gerade solche Gegenstände unberührt bleiben, auf welche unsere Studien gerichtet sind. Wie die Weltgeschichte, wo es ihr gelingt, den wahren ursachlichen Zusammenhang der Begebenheiten darzustellen, viele Räthsel in den Schicksalen der Völker und ihrem intellectuellen, bald gehemmten, bald beschleunigten Fortschreiten löset; so würde auch eine physische Weltbeschreibung, geistreich und mit gründlicher Kenntniß des bereits Entdeckten aufgefaßt, einen Theil der Widersprüche heben, welche die streitenden Naturkräfte in ihrer zusammengesetzten Wirkung dem ersten Anschauen darbieten. Generelle Ansichten erhöhen den Begriff von der Würde und der Größe der Natur; sie wirken läuternd und beruhigend auf den Geist, weil sie gleichsam den Zwiespalt der Elemente durch Auffindung von Gesetzen zu schlichten streben, von Gesetzen, die in dem zarten Gewebe irdischer Stoffe, wie in dem Archipel dichtgedrängter Nebelflecke und in der schauderhaften Leere weltenarmer Wüsten walten. Generelle Ansichten gewöhnen uns, jeden Organismus als Theil des Ganzen zu betrachten, in der Pflanze und im Thier minder das Individuum oder die abgeschlossene Art, als die mit der Gesammtheit der Bildungen verkettete Naturform zu erkennen; sie erweitern unsere geistige Existenz und setzen uns, auch wenn wir in ländlicher Abgeschiedenheit leben, in Berührung mit dem ganzen Erdkreise. Durch sie erhält die Kunde

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen (2013-04-18T11:04:31Z)



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos01_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos01_1845/42
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos01_1845/42>, abgerufen am 03.12.2024.