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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845.

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digkeit der Meteorsteine im Mittel von 5 geographischen Meilen, über 114000 Fuß, in der Secunde ist, so müßte die ursprüngliche Wurfgeschwindigkeit im Monde von fast 110000 Fuß, also 14mal größer sein, als sie Laplace annimmt." (Olbers in Schum. Jahrb. 1837 S. 52-58 und in Gehler's Neuem physik. Wörterbuche Bd. VI. Abth. 3. S. 2129-2136.) Der Mangel des Widerstandes der Luft würde allerdings, wenn vulkanische Kräfte noch jetzt als thätig angenommen werden dürften, der Wurfkraft von Mondvulkanen einen Vorzug vor der Wurfkraft der Erdvulkane geben; aber auch über das Maaß der Kräfte der letzteren fehlt es an allen sicheren Beobachtungen. Es ist sogar wahrscheinlich, daß dies Maaß sehr überschätzt wird. Ein sehr genauer und messender Beobachter der Aetna-Phänomene, Dr. Peters, hat die größte Geschwindigkeit der aus dem Krater ausgeworfenen Steine nur 1250 Fuß in der Secunde gefunden. Beobachtungen am Pic von Teneriffa 1798 gaben 3000 Fuß. Wenn Laplace auch am Ende seines Werkes (Expos. du Syst. du Monde, ed. de 1824 p. 399) von den Aerolithen sehr vorsichtig sagt: "que selon toutes les vraisemblances elles viennent des profondeurs de l'espace celeste"; so sieht man doch an einer andern Stelle (chap. VI. p. 233), daß er, wahrscheinlich mit der ungeheuren planetarischen Geschwindigkeit der Meteorsteine unbekannt, sich zu der selenitischen Hypothese mit einiger Vorliebe hinneigte, aber immer voraussetzte, daß die vom Monde ausgeworfenen Steine "deviennent des satellites de la terre, decrivant autour d'elle une orbite plus ou moins allongee, de sorte qu'ils n'atteignent l'atmosphere de la terre qu'apres plusieurs et meme un tresgrand nombre de revolutions". So wie ein Italiäner in Tortona den Einfall hatte, die Aerolithen kämen aus dem Monde, so hatten griechische Physiker auch den Einfall gehabt, sie kämen aus der Sonne. Einer solchen Meinung erwähnt Diogenes Laertius II, 9 von dem Ursprunge der bei Aegos Potamoi niedergefallenen Masse (s. oben Note 32). Der alles registrirende Plinius (II, 58) wiederholt die Meinung, und bespöttelt sie um so lieber, weil er, mit Früheren (Diog. Laert. II, 3 und 5 p. 99, Hübner), den Anaxagoras beschuldigt, den Aerolithenfall aus der Sonne vorhergesagt zu haben: "celebrant Graeci Anaxagoram Clazomenium Olympiadis septuagesimae octavae secundo
digkeit der Meteorsteine im Mittel von 5 geographischen Meilen, über 114000 Fuß, in der Secunde ist, so müßte die ursprüngliche Wurfgeschwindigkeit im Monde von fast 110000 Fuß, also 14mal größer sein, als sie Laplace annimmt.“ (Olbers in Schum. Jahrb. 1837 S. 52–58 und in Gehler's Neuem physik. Wörterbuche Bd. VI. Abth. 3. S. 2129–2136.) Der Mangel des Widerstandes der Luft würde allerdings, wenn vulkanische Kräfte noch jetzt als thätig angenommen werden dürften, der Wurfkraft von Mondvulkanen einen Vorzug vor der Wurfkraft der Erdvulkane geben; aber auch über das Maaß der Kräfte der letzteren fehlt es an allen sicheren Beobachtungen. Es ist sogar wahrscheinlich, daß dies Maaß sehr überschätzt wird. Ein sehr genauer und messender Beobachter der Aetna-Phänomene, Dr. Peters, hat die größte Geschwindigkeit der aus dem Krater ausgeworfenen Steine nur 1250 Fuß in der Secunde gefunden. Beobachtungen am Pic von Teneriffa 1798 gaben 3000 Fuß. Wenn Laplace auch am Ende seines Werkes (Expos. du Syst. du Monde, éd. de 1824 p. 399) von den Aërolithen sehr vorsichtig sagt: „que selon toutes les vraisemblances elles viennent des profondeurs de l'espace céleste“; so sieht man doch an einer andern Stelle (chap. VI. p. 233), daß er, wahrscheinlich mit der ungeheuren planetarischen Geschwindigkeit der Meteorsteine unbekannt, sich zu der selenitischen Hypothese mit einiger Vorliebe hinneigte, aber immer voraussetzte, daß die vom Monde ausgeworfenen Steine „deviennent des satellites de la terre, décrivant autour d'elle une orbite plus ou moins allongée, de sorte qu'ils n'atteignent l'atmosphère de la terre qu'après plusieurs et même un trèsgrand nombre de révolutions“. So wie ein Italiäner in Tortona den Einfall hatte, die Aërolithen kämen aus dem Monde, so hatten griechische Physiker auch den Einfall gehabt, sie kämen aus der Sonne. Einer solchen Meinung erwähnt Diogenes Laertius II, 9 von dem Ursprunge der bei Aegos Potamoi niedergefallenen Masse (s. oben Note 32). Der alles registrirende Plinius (II, 58) wiederholt die Meinung, und bespöttelt sie um so lieber, weil er, mit Früheren (Diog. Laert. II, 3 und 5 p. 99, Hübner), den Anaxagoras beschuldigt, den Aërolithenfall aus der Sonne vorhergesagt zu haben: „celebrant Græci Anaxagoram Clazomenium Olympiadis septuagesimæ octavæ secundo
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[401/0420] ³⁹ digkeit der Meteorsteine im Mittel von 5 geographischen Meilen, über 114000 Fuß, in der Secunde ist, so müßte die ursprüngliche Wurfgeschwindigkeit im Monde von fast 110000 Fuß, also 14mal größer sein, als sie Laplace annimmt.“ (Olbers in Schum. Jahrb. 1837 S. 52–58 und in Gehler's Neuem physik. Wörterbuche Bd. VI. Abth. 3. S. 2129–2136.) Der Mangel des Widerstandes der Luft würde allerdings, wenn vulkanische Kräfte noch jetzt als thätig angenommen werden dürften, der Wurfkraft von Mondvulkanen einen Vorzug vor der Wurfkraft der Erdvulkane geben; aber auch über das Maaß der Kräfte der letzteren fehlt es an allen sicheren Beobachtungen. Es ist sogar wahrscheinlich, daß dies Maaß sehr überschätzt wird. Ein sehr genauer und messender Beobachter der Aetna-Phänomene, Dr. Peters, hat die größte Geschwindigkeit der aus dem Krater ausgeworfenen Steine nur 1250 Fuß in der Secunde gefunden. Beobachtungen am Pic von Teneriffa 1798 gaben 3000 Fuß. Wenn Laplace auch am Ende seines Werkes (Expos. du Syst. du Monde, éd. de 1824 p. 399) von den Aërolithen sehr vorsichtig sagt: „que selon toutes les vraisemblances elles viennent des profondeurs de l'espace céleste“; so sieht man doch an einer andern Stelle (chap. VI. p. 233), daß er, wahrscheinlich mit der ungeheuren planetarischen Geschwindigkeit der Meteorsteine unbekannt, sich zu der selenitischen Hypothese mit einiger Vorliebe hinneigte, aber immer voraussetzte, daß die vom Monde ausgeworfenen Steine „deviennent des satellites de la terre, décrivant autour d'elle une orbite plus ou moins allongée, de sorte qu'ils n'atteignent l'atmosphère de la terre qu'après plusieurs et même un trèsgrand nombre de révolutions“. So wie ein Italiäner in Tortona den Einfall hatte, die Aërolithen kämen aus dem Monde, so hatten griechische Physiker auch den Einfall gehabt, sie kämen aus der Sonne. Einer solchen Meinung erwähnt Diogenes Laertius II, 9 von dem Ursprunge der bei Aegos Potamoi niedergefallenen Masse (s. oben Note 32). Der alles registrirende Plinius (II, 58) wiederholt die Meinung, und bespöttelt sie um so lieber, weil er, mit Früheren (Diog. Laert. II, 3 und 5 p. 99, Hübner), den Anaxagoras beschuldigt, den Aërolithenfall aus der Sonne vorhergesagt zu haben: „celebrant Græci Anaxagoram Clazomenium Olympiadis septuagesimæ octavæ secundo

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos01_1845/420>, abgerufen am 24.11.2024.