Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845.um den Geist mit Ideen zu bereichern und die Einbildungskraft lebendig und fruchtbar anzuregen. Man hat vielleicht mit einigem Rechte wissenschaftlichen Werken unserer Litteratur vorgeworfen, das Allgemeine nicht genugsam von dem Einzelnen, die Uebersicht des bereits Ergründeten nicht von der Herzählung der Mittel zu trennen, durch welche die Resultate erlangt worden sind. Dieser Vorwurf hat sogar den größten Dichter15 unsrer Zeit zu dem humoristischen Ausruf verleitet: "die Deutschen besitzen die Gabe, die Wissenschaften unzugänglich zu machen". Bleibt das Gerüste stehen, so wird uns durch dasselbe der Anblick des Gebäudes entzogen. Wer kann zweifeln, daß das physische Gesetz in der Vertheilung der Continental-Massen, welche gegen Süden hin eine pyramidale Form annehmen, indem sie sich gegen Norden in der Breite ausdehnen (ein Gesetz, welches die Vertheilung der Klimate, die vorherrschende Richtung der Luftströme, das weite Vordringen tropischer Pflanzenformen in die gemäßigte südliche Zone so wesentlich bedingt), auf das klarste erkannt werden kann, ohne die geodätischen Messungen und die astronomischen Ortsbestimmungen der Küsten zu erläutern, durch welche jene Pyramidal-Formen in ihren Dimensionen bestimmt worden sind? Eben so lehrt uns die physische Weltbeschreibung, um wie viel Meilen die Aequatorial-Achse unseres Planeten größer als die Polar-Achse ist; daß die südliche Hemisphäre keine größere Abplattung als die nördliche hat; ohne daß es nöthig ist, speciell zu erzählen, wie durch Gradmessungen und Pendel-Versuche die wahre Gestalt der Erde, als eines nicht regelmäßigen, elliptischen Revolutions-Sphäroids, gefunden ist um den Geist mit Ideen zu bereichern und die Einbildungskraft lebendig und fruchtbar anzuregen. Man hat vielleicht mit einigem Rechte wissenschaftlichen Werken unserer Litteratur vorgeworfen, das Allgemeine nicht genugsam von dem Einzelnen, die Uebersicht des bereits Ergründeten nicht von der Herzählung der Mittel zu trennen, durch welche die Resultate erlangt worden sind. Dieser Vorwurf hat sogar den größten Dichter15 unsrer Zeit zu dem humoristischen Ausruf verleitet: „die Deutschen besitzen die Gabe, die Wissenschaften unzugänglich zu machen“. Bleibt das Gerüste stehen, so wird uns durch dasselbe der Anblick des Gebäudes entzogen. Wer kann zweifeln, daß das physische Gesetz in der Vertheilung der Continental-Massen, welche gegen Süden hin eine pyramidale Form annehmen, indem sie sich gegen Norden in der Breite ausdehnen (ein Gesetz, welches die Vertheilung der Klimate, die vorherrschende Richtung der Luftströme, das weite Vordringen tropischer Pflanzenformen in die gemäßigte südliche Zone so wesentlich bedingt), auf das klarste erkannt werden kann, ohne die geodätischen Messungen und die astronomischen Ortsbestimmungen der Küsten zu erläutern, durch welche jene Pyramidal-Formen in ihren Dimensionen bestimmt worden sind? Eben so lehrt uns die physische Weltbeschreibung, um wie viel Meilen die Aequatorial-Achse unseres Planeten größer als die Polar-Achse ist; daß die südliche Hemisphäre keine größere Abplattung als die nördliche hat; ohne daß es nöthig ist, speciell zu erzählen, wie durch Gradmessungen und Pendel-Versuche die wahre Gestalt der Erde, als eines nicht regelmäßigen, elliptischen Revolutions-Sphäroids, gefunden ist <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0048" n="29"/> um den Geist mit Ideen zu bereichern und die Einbildungskraft lebendig und fruchtbar anzuregen.</p> <p>Man hat vielleicht mit einigem Rechte wissenschaftlichen Werken unserer Litteratur vorgeworfen, das Allgemeine nicht genugsam von dem Einzelnen, die Uebersicht des bereits Ergründeten nicht von der Herzählung der Mittel zu trennen, durch welche die Resultate erlangt worden sind. 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Eben so lehrt uns die physische Weltbeschreibung, um wie viel Meilen die Aequatorial-Achse unseres Planeten größer als die Polar-Achse ist; daß die südliche Hemisphäre keine größere Abplattung als die nördliche hat; ohne daß es nöthig ist, speciell zu erzählen, wie durch Gradmessungen und Pendel-Versuche die wahre Gestalt der Erde, als eines nicht regelmäßigen, elliptischen Revolutions-Sphäroids, gefunden ist </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [29/0048]
um den Geist mit Ideen zu bereichern und die Einbildungskraft lebendig und fruchtbar anzuregen.
Man hat vielleicht mit einigem Rechte wissenschaftlichen Werken unserer Litteratur vorgeworfen, das Allgemeine nicht genugsam von dem Einzelnen, die Uebersicht des bereits Ergründeten nicht von der Herzählung der Mittel zu trennen, durch welche die Resultate erlangt worden sind. Dieser Vorwurf hat sogar den größten Dichter
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unsrer Zeit zu dem humoristischen Ausruf verleitet: „die Deutschen besitzen die Gabe, die Wissenschaften unzugänglich zu machen“. Bleibt das Gerüste stehen, so wird uns durch dasselbe der Anblick des Gebäudes entzogen. Wer kann zweifeln, daß das physische Gesetz in der Vertheilung der Continental-Massen, welche gegen Süden hin eine pyramidale Form annehmen, indem sie sich gegen Norden in der Breite ausdehnen (ein Gesetz, welches die Vertheilung der Klimate, die vorherrschende Richtung der Luftströme, das weite Vordringen tropischer Pflanzenformen in die gemäßigte südliche Zone so wesentlich bedingt), auf das klarste erkannt werden kann, ohne die geodätischen Messungen und die astronomischen Ortsbestimmungen der Küsten zu erläutern, durch welche jene Pyramidal-Formen in ihren Dimensionen bestimmt worden sind? Eben so lehrt uns die physische Weltbeschreibung, um wie viel Meilen die Aequatorial-Achse unseres Planeten größer als die Polar-Achse ist; daß die südliche Hemisphäre keine größere Abplattung als die nördliche hat; ohne daß es nöthig ist, speciell zu erzählen, wie durch Gradmessungen und Pendel-Versuche die wahre Gestalt der Erde, als eines nicht regelmäßigen, elliptischen Revolutions-Sphäroids, gefunden ist
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