Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845.der Materie. In der Beobachtung einer anfangs isolirt stehenden Erscheinung liegt oft der Keim einer großen Entdeckung. Als Galvani die sensible Nervenfaser durch Berührung ungleichartiger Metalle reizte, konnten seine nächsten Zeitgenossen nicht hoffen, daß die Contact-Electricität der Voltaischen Säule uns in den Alkalien silber-glänzende, auf dem Wasser schwimmende, leicht entzündliche Metalle offenbaren, daß die Säule selbst das wichtigste Instrument für die zerlegende Chemie, ein Thermoscop und ein Magnet werden würde. Als Huyghens die Lichterscheinungen des Doppelspaths zu enträthseln anfing, ahnete man nicht, daß durch den bewunderungswürdigen Scharfsinn eines Physikers unserer Zeit16 farbige Polarisations-Phänomene dahin leiten würden, mittelst des kleinsten Fragments eines Minerals zu erkennen, ob das Licht der Sonne aus einer festen Masse, oder aus einer gasförmigen Umhüllung ausströme, ob Cometen selbstleuchtend sind, oder fremdes Licht wiedergeben. Gleichmäßige Würdigung aller Theile des Naturstudiums ist aber vorzüglich ein Bedürfniß der gegenwärtigen Zeit, wo der materielle Reichthum und der wachsende Wohlstand der Nationen in einer sorgfältigeren Benutzung von Naturproducten und Naturkräften gegründet sind. Der oberflächlichste Blick auf den Zustand des heutigen Europa's lehrt, daß bei ungleichem Weltkampfe oder dauernder Zögerung nothwendig partielle Verminderung und endlich Vernichtung des National-Reichthums eintreten müsse; denn in dem Lebensgeschick der Staaten ist es, wie in der Natur, für die, nach dem sinnvollen Ausspruche Göthe's17 "es im Bewegen und Werden kein Bleiben giebt und die ihren der Materie. In der Beobachtung einer anfangs isolirt stehenden Erscheinung liegt oft der Keim einer großen Entdeckung. Als Galvani die sensible Nervenfaser durch Berührung ungleichartiger Metalle reizte, konnten seine nächsten Zeitgenossen nicht hoffen, daß die Contact-Electricität der Voltaischen Säule uns in den Alkalien silber-glänzende, auf dem Wasser schwimmende, leicht entzündliche Metalle offenbaren, daß die Säule selbst das wichtigste Instrument für die zerlegende Chemie, ein Thermoscop und ein Magnet werden würde. Als Huyghens die Lichterscheinungen des Doppelspaths zu enträthseln anfing, ahnete man nicht, daß durch den bewunderungswürdigen Scharfsinn eines Physikers unserer Zeit16 farbige Polarisations-Phänomene dahin leiten würden, mittelst des kleinsten Fragments eines Minerals zu erkennen, ob das Licht der Sonne aus einer festen Masse, oder aus einer gasförmigen Umhüllung ausströme, ob Cometen selbstleuchtend sind, oder fremdes Licht wiedergeben. Gleichmäßige Würdigung aller Theile des Naturstudiums ist aber vorzüglich ein Bedürfniß der gegenwärtigen Zeit, wo der materielle Reichthum und der wachsende Wohlstand der Nationen in einer sorgfältigeren Benutzung von Naturproducten und Naturkräften gegründet sind. Der oberflächlichste Blick auf den Zustand des heutigen Europa's lehrt, daß bei ungleichem Weltkampfe oder dauernder Zögerung nothwendig partielle Verminderung und endlich Vernichtung des National-Reichthums eintreten müsse; denn in dem Lebensgeschick der Staaten ist es, wie in der Natur, für die, nach dem sinnvollen Ausspruche Göthe's17 „es im Bewegen und Werden kein Bleiben giebt und die ihren <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0054" n="35"/> der Materie. In der Beobachtung einer anfangs isolirt stehenden Erscheinung liegt oft der Keim einer großen Entdeckung. Als Galvani die sensible Nervenfaser durch Berührung ungleichartiger Metalle reizte, konnten seine nächsten Zeitgenossen nicht hoffen, daß die Contact-Electricität der Voltaischen Säule uns in den Alkalien silber-glänzende, auf dem Wasser schwimmende, leicht entzündliche Metalle offenbaren, daß die Säule selbst das wichtigste Instrument für die zerlegende Chemie, ein Thermoscop und ein Magnet werden würde. 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Der oberflächlichste Blick auf den Zustand des heutigen Europa's lehrt, daß bei ungleichem Weltkampfe oder dauernder Zögerung nothwendig partielle Verminderung und endlich Vernichtung des National-Reichthums eintreten müsse; denn in dem Lebensgeschick der Staaten ist es, wie in der Natur, für die, nach dem sinnvollen Ausspruche Göthe's<note place="end" n="17" xml:id="ftn17" next="#ftn17-text"/> „es im Bewegen und Werden kein Bleiben giebt und die ihren </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [35/0054]
der Materie. In der Beobachtung einer anfangs isolirt stehenden Erscheinung liegt oft der Keim einer großen Entdeckung. Als Galvani die sensible Nervenfaser durch Berührung ungleichartiger Metalle reizte, konnten seine nächsten Zeitgenossen nicht hoffen, daß die Contact-Electricität der Voltaischen Säule uns in den Alkalien silber-glänzende, auf dem Wasser schwimmende, leicht entzündliche Metalle offenbaren, daß die Säule selbst das wichtigste Instrument für die zerlegende Chemie, ein Thermoscop und ein Magnet werden würde. Als Huyghens die Lichterscheinungen des Doppelspaths zu enträthseln anfing, ahnete man nicht, daß durch den bewunderungswürdigen Scharfsinn eines Physikers unserer Zeit
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farbige Polarisations-Phänomene dahin leiten würden, mittelst des kleinsten Fragments eines Minerals zu erkennen, ob das Licht der Sonne aus einer festen Masse, oder aus einer gasförmigen Umhüllung ausströme, ob Cometen selbstleuchtend sind, oder fremdes Licht wiedergeben.
Gleichmäßige Würdigung aller Theile des Naturstudiums ist aber vorzüglich ein Bedürfniß der gegenwärtigen Zeit, wo der materielle Reichthum und der wachsende Wohlstand der Nationen in einer sorgfältigeren Benutzung von Naturproducten und Naturkräften gegründet sind. Der oberflächlichste Blick auf den Zustand des heutigen Europa's lehrt, daß bei ungleichem Weltkampfe oder dauernder Zögerung nothwendig partielle Verminderung und endlich Vernichtung des National-Reichthums eintreten müsse; denn in dem Lebensgeschick der Staaten ist es, wie in der Natur, für die, nach dem sinnvollen Ausspruche Göthe's
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„es im Bewegen und Werden kein Bleiben giebt und die ihren
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