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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845.

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9 (S. 62.) kosmos war in der ältesten und eigentlichen Bedeutung wohl nur Schmuck (Männer-, Frauen- oder Pferdeschmuck); bildlich Ordnung, für eutaxia , und Schmuck der Rede. Daß Pythagoras zuerst das Wort für Weltordnung und Welt gebraucht, wird von den Alten einstimmig versichert. Da er selbst nicht geschrieben, so sind die ältesten Beweisstellen die Bruchstücke des Philolaus (Stob. Eclog. p. 360 und 460. Heeren; Philolaos von Böckh S. 62 und 90). Wir führen nicht mit Näke den Timäus von Locri an, weil seine Aechtheit zu bezweifeln ist. Plutarch (de plac. phil. II, 1.) sagt auf das bestimmteste, daß Pythagoras zuerst den Inbegriff des Universums Kosmos nannte wegen der darin herrschenden Ordnung. (Ebenso Galen. Hist. phil. p. 429.) Das Wort ging in der neuen Bedeutung aus der philosophischen Schule in die Sprache der Naturdichter und der Prosaiker über. Plato fährt fort die Weltkörper selbst Uranos zu nennen; die Weltordnung ist ihm aber auch Kosmos, und im Timäus (p. 30. B.) heißt das Weltall ein mit Seele begabtes Thier ( kosmon zoon empsukhon ). Vergl. über den von allem Stoff gesonderten weltordnenden Geist Anaxag. Claz. ed. Schaubach. p. 111, und Plut. de plac. phil. II, 3. Bei Aristoteles (de Coelo I, 9.) ist Kosmos "Welt und Weltordnung"; er wird aber auch betrachtet als räumlich zerfallend in die sublunarische Welt und die höhere, über dem Monde (Meteor. I, 2, 1. und I, 3, 13. p. 339, a. und 340, b. Bekk.). Die von mir oben im Text citirte Definition des Kosmos aus dem Pseudo-Aristoteles de Mundo cap. 2. (p. 391) lautet also: kosmos esti sustema ex ouranou kai ges kai ton en toutois periekhomenon phuseon. legetai de kai eteros kosmos e ton olon taxis te kai diaköoksmesis, upo theon te kai dia theon phulattomene. . Die meisten Stellen der griechischen Schriftsteller über Kosmos finde ich gesammelt 1) in der Streitschrift von Richard Bentley gegen Charles Boyle (Opuscula philologica 1781, p. 347, 445; Dissertation upon the Epistles of Phalaris 1817 p. 254) über die historische Existenz des Zaleucus, Gesetzgebers von Locri; 2) in Näke's vortrefflichen Sched. crit. 1812 p. 9-15 und 3) in Theoph. Schmidt ad Cleom. cycl. theor. met. I, 1. (p. IX, 1. und 99.) Kosmos wurde in engerer Bedeutung auch in der Mehrzahl (Plut. I, 5.) gebraucht, indem entweder jeder Stern (Weltkörper) so genannt wird (Stob. I, p. 514. Plut.
9 (S. 62.) κόσμος war in der ältesten und eigentlichen Bedeutung wohl nur Schmuck (Männer-, Frauen- oder Pferdeschmuck); bildlich Ordnung, für εὐταξία , und Schmuck der Rede. Daß Pythagoras zuerst das Wort für Weltordnung und Welt gebraucht, wird von den Alten einstimmig versichert. Da er selbst nicht geschrieben, so sind die ältesten Beweisstellen die Bruchstücke des Philolaus (Stob. Eclog. p. 360 und 460. Heeren; Philolaos von Böckh S. 62 und 90). Wir führen nicht mit Näke den Timäus von Locri an, weil seine Aechtheit zu bezweifeln ist. Plutarch (de plac. phil. II, 1.) sagt auf das bestimmteste, daß Pythagoras zuerst den Inbegriff des Universums Kosmos nannte wegen der darin herrschenden Ordnung. (Ebenso Galen. Hist. phil. p. 429.) Das Wort ging in der neuen Bedeutung aus der philosophischen Schule in die Sprache der Naturdichter und der Prosaiker über. Plato fährt fort die Weltkörper selbst Uranos zu nennen; die Weltordnung ist ihm aber auch Kosmos, und im Timäus (p. 30. B.) heißt das Weltall ein mit Seele begabtes Thier ( κόσμον ζῶον ἔμψυχον ). Vergl. über den von allem Stoff gesonderten weltordnenden Geist Anaxag. Claz. ed. Schaubach. p. 111, und Plut. de plac. phil. II, 3. Bei Aristoteles (de Coelo I, 9.) ist Kosmos „Welt und Weltordnung“; er wird aber auch betrachtet als räumlich zerfallend in die sublunarische Welt und die höhere, über dem Monde (Meteor. I, 2, 1. und I, 3, 13. p. 339, a. und 340, b. Bekk.). Die von mir oben im Text citirte Definition des Kosmos aus dem Pseudo-Aristoteles de Mundo cap. 2. (p. 391) lautet also: κόσμος ἐστὶ σύστημα ἐξ οὐρανοῦ καὶ γὴς καὶ τῶν ἐν τούτοις περιεχομένων φύσεων. λέγεται δὲ καὶ ἐτέρως κόσμος ἡ τῶν ὅλων τάξις τε καὶ διακöoκσμησις, ὑπό θεῶν τε καὶ διὰ θεῶν φυλαττομένη. . Die meisten Stellen der griechischen Schriftsteller über Kosmos finde ich gesammelt 1) in der Streitschrift von Richard Bentley gegen Charles Boyle (Opuscula philologica 1781, p. 347, 445; Dissertation upon the Epistles of Phalaris 1817 p. 254) über die historische Existenz des Zaleucus, Gesetzgebers von Locri; 2) in Näke's vortrefflichen Sched. crit. 1812 p. 9–15 und 3) in Theoph. Schmidt ad Cleom. cycl. theor. met. I, 1. (p. IX, 1. und 99.) Kosmos wurde in engerer Bedeutung auch in der Mehrzahl (Plut. I, 5.) gebraucht, indem entweder jeder Stern (Weltkörper) so genannt wird (Stob. I, p. 514. Plut.
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[76/0095] ⁹ (S. 62.) κόσμος war in der ältesten und eigentlichen Bedeutung wohl nur Schmuck (Männer-, Frauen- oder Pferdeschmuck); bildlich Ordnung, für εὐταξία , und Schmuck der Rede. Daß Pythagoras zuerst das Wort für Weltordnung und Welt gebraucht, wird von den Alten einstimmig versichert. Da er selbst nicht geschrieben, so sind die ältesten Beweisstellen die Bruchstücke des Philolaus (Stob. Eclog. p. 360 und 460. Heeren; Philolaos von Böckh S. 62 und 90). Wir führen nicht mit Näke den Timäus von Locri an, weil seine Aechtheit zu bezweifeln ist. Plutarch (de plac. phil. II, 1.) sagt auf das bestimmteste, daß Pythagoras zuerst den Inbegriff des Universums Kosmos nannte wegen der darin herrschenden Ordnung. (Ebenso Galen. Hist. phil. p. 429.) Das Wort ging in der neuen Bedeutung aus der philosophischen Schule in die Sprache der Naturdichter und der Prosaiker über. Plato fährt fort die Weltkörper selbst Uranos zu nennen; die Weltordnung ist ihm aber auch Kosmos, und im Timäus (p. 30. B.) heißt das Weltall ein mit Seele begabtes Thier ( κόσμον ζῶον ἔμψυχον ). Vergl. über den von allem Stoff gesonderten weltordnenden Geist Anaxag. Claz. ed. Schaubach. p. 111, und Plut. de plac. phil. II, 3. Bei Aristoteles (de Coelo I, 9.) ist Kosmos „Welt und Weltordnung“; er wird aber auch betrachtet als räumlich zerfallend in die sublunarische Welt und die höhere, über dem Monde (Meteor. I, 2, 1. und I, 3, 13. p. 339, a. und 340, b. Bekk.). Die von mir oben im Text citirte Definition des Kosmos aus dem Pseudo-Aristoteles de Mundo cap. 2. (p. 391) lautet also: κόσμος ἐστὶ σύστημα ἐξ οὐρανοῦ καὶ γὴς καὶ τῶν ἐν τούτοις περιεχομένων φύσεων. λέγεται δὲ καὶ ἐτέρως κόσμος ἡ τῶν ὅλων τάξις τε καὶ διακöoκσμησις, ὑπό θεῶν τε καὶ διὰ θεῶν φυλαττομένη. . Die meisten Stellen der griechischen Schriftsteller über Kosmos finde ich gesammelt 1) in der Streitschrift von Richard Bentley gegen Charles Boyle (Opuscula philologica 1781, p. 347, 445; Dissertation upon the Epistles of Phalaris 1817 p. 254) über die historische Existenz des Zaleucus, Gesetzgebers von Locri; 2) in Näke's vortrefflichen Sched. crit. 1812 p. 9–15 und 3) in Theoph. Schmidt ad Cleom. cycl. theor. met. I, 1. (p. IX, 1. und 99.) Kosmos wurde in engerer Bedeutung auch in der Mehrzahl (Plut. I, 5.) gebraucht, indem entweder jeder Stern (Weltkörper) so genannt wird (Stob. I, p. 514. Plut.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1845, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos01_1845/95>, abgerufen am 04.12.2024.