Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.sichrere Deutung derselben sich der Blick des Geschichtsforschers täglich erweitert, daß schichtweise sich ein höheres Alterthum unseren Augen zu offenbaren beginnt. Neben den Culturvölkern des Mittelmeers, die wir oben aufgeführt, zeigen noch manche andere Stämme Spuren alter Bildung: in Vorder-Asien die Phrygier und Lycier, im äußersten Westen die Turduler und Turdetaner49. Von diesen sagt Strabo: "sie sind die gebildetsten aller Iberer, bedienen sich der Schreibkunst und haben Schriftbücher alter Denkzeit, auch Gedichte und Gesetze in Versmaaß, denen sie ein Alter von sechstausend Jahren beilegen." Ich habe bei diesem einzelnen Beispiele verweilt, um daran zu erinnern, wie vieles von einer alten Cultur selbst bei europäischen Nationen für uns spurlos verschwunden ist, wie die Geschichte der frühesten Weltanschauung auf einen engen Kreis beschränkt bleibt. Ueber den 48sten Breitengrad hinaus, nördlich vom asowschen und caspischen Meere, zwischen dem Don, der nahen Wolga und dem Jaik, wo dieser dem goldreichen südlichen Ural entquillt, sind Europa und Asien durch flache Steppenländer wie in einander verflossen. Auch betrachtet Herodot wie schon Pherecydes von Syros das ganze nördliche scythische Asien (Sibirien) als zum sarmatischen Europa gehörig,50 ja als Europa selbst. Gegen Süden ist unser Erdtheil von Asien scharf getrennt; aber die weit vorgestreckte kleinasiatische Halbinsel wie der formreiche Archipelagus des ägäischen Meeres (gleichsam eine Völkerbrücke zwischen zwei Welttheilen) haben den Menschenstämmen, den Sprachen und der Gesittung leichten Uebergang gewährt. Vorder-Asien ist seit der frühesten Zeit die große Heerstraße von Osten her einwandernder Völker gewesen, wie der sichrere Deutung derselben sich der Blick des Geschichtsforschers täglich erweitert, daß schichtweise sich ein höheres Alterthum unseren Augen zu offenbaren beginnt. Neben den Culturvölkern des Mittelmeers, die wir oben aufgeführt, zeigen noch manche andere Stämme Spuren alter Bildung: in Vorder-Asien die Phrygier und Lycier, im äußersten Westen die Turduler und Turdetaner49. Von diesen sagt Strabo: „sie sind die gebildetsten aller Iberer, bedienen sich der Schreibkunst und haben Schriftbücher alter Denkzeit, auch Gedichte und Gesetze in Versmaaß, denen sie ein Alter von sechstausend Jahren beilegen." Ich habe bei diesem einzelnen Beispiele verweilt, um daran zu erinnern, wie vieles von einer alten Cultur selbst bei europäischen Nationen für uns spurlos verschwunden ist, wie die Geschichte der frühesten Weltanschauung auf einen engen Kreis beschränkt bleibt. Ueber den 48sten Breitengrad hinaus, nördlich vom asowschen und caspischen Meere, zwischen dem Don, der nahen Wolga und dem Jaik, wo dieser dem goldreichen südlichen Ural entquillt, sind Europa und Asien durch flache Steppenländer wie in einander verflossen. Auch betrachtet Herodot wie schon Pherecydes von Syros das ganze nördliche scythische Asien (Sibirien) als zum sarmatischen Europa gehörig,50 ja als Europa selbst. Gegen Süden ist unser Erdtheil von Asien scharf getrennt; aber die weit vorgestreckte kleinasiatische Halbinsel wie der formreiche Archipelagus des ägäischen Meeres (gleichsam eine Völkerbrücke zwischen zwei Welttheilen) haben den Menschenstämmen, den Sprachen und der Gesittung leichten Uebergang gewährt. Vorder-Asien ist seit der frühesten Zeit die große Heerstraße von Osten her einwandernder Völker gewesen, wie der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0176" n="171"/> sichrere Deutung derselben sich der Blick des Geschichtsforschers täglich erweitert, daß schichtweise sich ein höheres Alterthum unseren Augen zu offenbaren beginnt. Neben den Culturvölkern des Mittelmeers, die wir oben aufgeführt, zeigen noch manche andere Stämme Spuren alter Bildung: in Vorder-Asien die Phrygier und Lycier, im äußersten Westen die Turduler und Turdetaner<note xml:id="ftn188" next="#ftn188-text" place="end" n="49"/>. Von diesen sagt Strabo: „sie sind die gebildetsten aller Iberer, bedienen sich der Schreibkunst und haben Schriftbücher alter Denkzeit, auch Gedichte und Gesetze in Versmaaß, denen sie ein Alter von sechstausend Jahren beilegen." Ich habe bei diesem einzelnen Beispiele verweilt, um daran zu erinnern, wie vieles von einer alten Cultur selbst bei europäischen Nationen für uns spurlos verschwunden ist, wie die Geschichte der frühesten Weltanschauung auf einen engen Kreis beschränkt bleibt.</p> <p>Ueber den 48sten Breitengrad hinaus, nördlich vom asowschen und caspischen Meere, zwischen dem Don, der nahen Wolga und dem Jaik, wo dieser dem goldreichen südlichen Ural entquillt, sind Europa und Asien durch flache Steppenländer wie in einander verflossen. Auch betrachtet Herodot wie schon Pherecydes von Syros das ganze nördliche scythische Asien (Sibirien) als zum sarmatischen Europa gehörig,<note xml:id="ftn189" next="#ftn189-text" place="end" n="50"/> ja als Europa selbst. Gegen Süden ist unser Erdtheil von Asien scharf getrennt; aber die weit vorgestreckte kleinasiatische Halbinsel wie der formreiche Archipelagus des ägäischen Meeres (gleichsam eine Völkerbrücke zwischen zwei Welttheilen) haben den Menschenstämmen, den Sprachen und der Gesittung leichten Uebergang gewährt. Vorder-Asien ist seit der frühesten Zeit die große Heerstraße von Osten her einwandernder Völker gewesen, wie der </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [171/0176]
sichrere Deutung derselben sich der Blick des Geschichtsforschers täglich erweitert, daß schichtweise sich ein höheres Alterthum unseren Augen zu offenbaren beginnt. Neben den Culturvölkern des Mittelmeers, die wir oben aufgeführt, zeigen noch manche andere Stämme Spuren alter Bildung: in Vorder-Asien die Phrygier und Lycier, im äußersten Westen die Turduler und Turdetaner
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. Von diesen sagt Strabo: „sie sind die gebildetsten aller Iberer, bedienen sich der Schreibkunst und haben Schriftbücher alter Denkzeit, auch Gedichte und Gesetze in Versmaaß, denen sie ein Alter von sechstausend Jahren beilegen." Ich habe bei diesem einzelnen Beispiele verweilt, um daran zu erinnern, wie vieles von einer alten Cultur selbst bei europäischen Nationen für uns spurlos verschwunden ist, wie die Geschichte der frühesten Weltanschauung auf einen engen Kreis beschränkt bleibt.
Ueber den 48sten Breitengrad hinaus, nördlich vom asowschen und caspischen Meere, zwischen dem Don, der nahen Wolga und dem Jaik, wo dieser dem goldreichen südlichen Ural entquillt, sind Europa und Asien durch flache Steppenländer wie in einander verflossen. Auch betrachtet Herodot wie schon Pherecydes von Syros das ganze nördliche scythische Asien (Sibirien) als zum sarmatischen Europa gehörig,
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ja als Europa selbst. Gegen Süden ist unser Erdtheil von Asien scharf getrennt; aber die weit vorgestreckte kleinasiatische Halbinsel wie der formreiche Archipelagus des ägäischen Meeres (gleichsam eine Völkerbrücke zwischen zwei Welttheilen) haben den Menschenstämmen, den Sprachen und der Gesittung leichten Uebergang gewährt. Vorder-Asien ist seit der frühesten Zeit die große Heerstraße von Osten her einwandernder Völker gewesen, wie der
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