Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.begeisterte Naturgedicht des Lucretius. Es umfaßt den ganzen Kosmos; dem Empedocles und Parmenides verwandt, erhöht die archaistische Diction den Ernst der Darstellung. Die Poesie ist hier tief mit der Philosophie verwachsen, ohne deshalb in die "Frostigkeit" der Composition zu verfallen, die, gegen die phantasiereiche Naturansicht Plato's abstechend, schon von dem Rhetor Menander in dem über die physischen Hymnen gefällten Urtheil so bitter getadelt wird.22 Mein Bruder hat mit vielem Scharfsinn die auffallenden Analogien und Verschiedenheiten entwickelt, welche aus der Verwachsung metaphysischer Abstractionen mit der Poesie in den alten griechischen Lehrgedichten, in dem des Lucretius und in der Episode Bhagavad-Gita, aus dem indischen Epos Mahabharata23, entstanden sind. Das große physische Weltgemälde des römischen Dichters contrastirt in seiner erkältenden Atomistik und seinen oft wilden geognostischen Träumen mit seiner lebensfrischen Schilderung von dem Uebergange des Menschengeschlechts aus dem Dickicht der Wälder zum Feldbau, zur Beherrschung der Naturkräfte, zur erhöhten Cultur des Geistes und also auch der Sprache, zur bürgerlichen Gesittung.24 Wenn bei einem Staatsmann, in einem bewegten und vielbeschäftigten Leben, in einem durch politische Leidenschaft aufgeregten Gemüthe lebendiges Naturgefühl und Liebe zu ländlicher Einsamkeit sich erhalten, so liegt die Quelle davon in den Tiefen eines großen und edlen Charakters. Cicero's eigene Schriften bezeugen die Wahrheit dieser Behauptung. Allerdings ist, wie allgemein bekannt, in dem Buche von den Gesetzen und in dem vom Redner manches dem Phädrus des Plato25 nachgebildet; das italische Naturbild begeisterte Naturgedicht des Lucretius. Es umfaßt den ganzen Kosmos; dem Empedocles und Parmenides verwandt, erhöht die archaistische Diction den Ernst der Darstellung. Die Poesie ist hier tief mit der Philosophie verwachsen, ohne deshalb in die „Frostigkeit" der Composition zu verfallen, die, gegen die phantasiereiche Naturansicht Plato's abstechend, schon von dem Rhetor Menander in dem über die physischen Hymnen gefällten Urtheil so bitter getadelt wird.22 Mein Bruder hat mit vielem Scharfsinn die auffallenden Analogien und Verschiedenheiten entwickelt, welche aus der Verwachsung metaphysischer Abstractionen mit der Poesie in den alten griechischen Lehrgedichten, in dem des Lucretius und in der Episode Bhagavad-Gita, aus dem indischen Epos Mahabharata23, entstanden sind. Das große physische Weltgemälde des römischen Dichters contrastirt in seiner erkältenden Atomistik und seinen oft wilden geognostischen Träumen mit seiner lebensfrischen Schilderung von dem Uebergange des Menschengeschlechts aus dem Dickicht der Wälder zum Feldbau, zur Beherrschung der Naturkräfte, zur erhöhten Cultur des Geistes und also auch der Sprache, zur bürgerlichen Gesittung.24 Wenn bei einem Staatsmann, in einem bewegten und vielbeschäftigten Leben, in einem durch politische Leidenschaft aufgeregten Gemüthe lebendiges Naturgefühl und Liebe zu ländlicher Einsamkeit sich erhalten, so liegt die Quelle davon in den Tiefen eines großen und edlen Charakters. Cicero's eigene Schriften bezeugen die Wahrheit dieser Behauptung. 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begeisterte Naturgedicht des Lucretius. Es umfaßt den ganzen Kosmos; dem Empedocles und Parmenides verwandt, erhöht die archaistische Diction den Ernst der Darstellung. Die Poesie ist hier tief mit der Philosophie verwachsen, ohne deshalb in die „Frostigkeit" der Composition zu verfallen, die, gegen die phantasiereiche Naturansicht Plato's abstechend, schon von dem Rhetor Menander in dem über die physischen Hymnen gefällten Urtheil so bitter getadelt wird.
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Mein Bruder hat mit vielem Scharfsinn die auffallenden Analogien und Verschiedenheiten entwickelt, welche aus der Verwachsung metaphysischer Abstractionen mit der Poesie in den alten griechischen Lehrgedichten, in dem des Lucretius und in der Episode Bhagavad-Gita, aus dem indischen Epos Mahabharata
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, entstanden sind. Das große physische Weltgemälde des römischen Dichters contrastirt in seiner erkältenden Atomistik und seinen oft wilden geognostischen Träumen mit seiner lebensfrischen Schilderung von dem Uebergange des Menschengeschlechts aus dem Dickicht der Wälder zum Feldbau, zur Beherrschung der Naturkräfte, zur erhöhten Cultur des Geistes und also auch der Sprache, zur bürgerlichen Gesittung.
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Wenn bei einem Staatsmann, in einem bewegten und vielbeschäftigten Leben, in einem durch politische Leidenschaft aufgeregten Gemüthe lebendiges Naturgefühl und Liebe zu ländlicher Einsamkeit sich erhalten, so liegt die Quelle davon in den Tiefen eines großen und edlen Charakters. Cicero's eigene Schriften bezeugen die Wahrheit dieser Behauptung. Allerdings ist, wie allgemein bekannt, in dem Buche von den Gesetzen und in dem vom Redner manches dem Phädrus des Plato
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nachgebildet; das italische Naturbild
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