Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

Algebrist Diophantus44 gehört einer späteren Zeit an), sind alle griechischen Stammes. Bei dem Zwiespalt der Bildung, den die römischen Weltherrschaft darbietet, blieb dem älteren, glücklicher organisirten Culturvolke, den Hellenen, die Palme; aber es zerstreuten sich nach dem allmäligen Untergange der ägyptisch-alexandrinischen Schule die geschwächten Lichtpunkte des Wissens und des rationellen Forschens: sie erscheinen erst später wieder in Griechenland und Kleinasien. Wie in allen unumschränkten Monarchien, welche bei einem ungeheuren Umfange aus den heterogensten Elementen zusammengesetzt sind, war das Streben der Regierung hauptsächlich darauf gerichtet durch militärischen Zwang und durch die innere Rivalität einer vielfach getheilten Administration die drohende Zerstückelung des Länderverbandes abzuwenden, durch Wechsel von Strenge und Milde den Familienzwist im Hause der Cäsaren zu verdecken, unter edeln Herrschern den Völkern die Ruhe zu geben, welche der ungehinderte, still ertragene Despotismus periodenweise gewähren kann.

Das Erringen der römischen Weltherrschaft ist allerdings ein Werk gewesen der Größe des römischen Charakters, einer lang bewährten Sittenstrenge, einer ausschließlichen, mit hohem Selbstgefühl gepaarten Vaterlandsliebe. Nachdem aber die Weltherrschaft errungen war, fanden sich nach dem unvermeidlichen Einflusse der hervorgerufenen Verhältnisse jene herrlichen Eigenschaften allmälig geschwächt und umgewandelt. Mit dem Nationalgeiste erlosch die volksthümliche Beweglichkeit der Einzelnen. Es verschwanden Oeffentlichkeit und Bewahrung der Individualität der Menschen, die zwei Hauptstützen freier Verfassungen.

Algebrist Diophantus44 gehört einer späteren Zeit an), sind alle griechischen Stammes. Bei dem Zwiespalt der Bildung, den die römischen Weltherrschaft darbietet, blieb dem älteren, glücklicher organisirten Culturvolke, den Hellenen, die Palme; aber es zerstreuten sich nach dem allmäligen Untergange der ägyptisch-alexandrinischen Schule die geschwächten Lichtpunkte des Wissens und des rationellen Forschens: sie erscheinen erst später wieder in Griechenland und Kleinasien. Wie in allen unumschränkten Monarchien, welche bei einem ungeheuren Umfange aus den heterogensten Elementen zusammengesetzt sind, war das Streben der Regierung hauptsächlich darauf gerichtet durch militärischen Zwang und durch die innere Rivalität einer vielfach getheilten Administration die drohende Zerstückelung des Länderverbandes abzuwenden, durch Wechsel von Strenge und Milde den Familienzwist im Hause der Cäsaren zu verdecken, unter edeln Herrschern den Völkern die Ruhe zu geben, welche der ungehinderte, still ertragene Despotismus periodenweise gewähren kann.

Das Erringen der römischen Weltherrschaft ist allerdings ein Werk gewesen der Größe des römischen Charakters, einer lang bewährten Sittenstrenge, einer ausschließlichen, mit hohem Selbstgefühl gepaarten Vaterlandsliebe. Nachdem aber die Weltherrschaft errungen war, fanden sich nach dem unvermeidlichen Einflusse der hervorgerufenen Verhältnisse jene herrlichen Eigenschaften allmälig geschwächt und umgewandelt. Mit dem Nationalgeiste erlosch die volksthümliche Beweglichkeit der Einzelnen. Es verschwanden Oeffentlichkeit und Bewahrung der Individualität der Menschen, die zwei Hauptstützen freier Verfassungen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0222" n="217"/>
Algebrist Diophantus<note xml:id="ftn283" next="#ftn283-text" place="end" n="44"/> gehört einer späteren Zeit an), sind alle griechischen Stammes. Bei dem Zwiespalt der Bildung, den die römischen Weltherrschaft darbietet, blieb dem älteren, glücklicher organisirten Culturvolke, den Hellenen, die Palme; aber es zerstreuten sich nach dem allmäligen Untergange der ägyptisch-alexandrinischen Schule die geschwächten Lichtpunkte des Wissens und des rationellen Forschens: sie erscheinen erst später wieder in Griechenland und Kleinasien. Wie in allen unumschränkten Monarchien, welche bei einem ungeheuren Umfange aus den heterogensten Elementen zusammengesetzt sind, war das Streben der Regierung hauptsächlich darauf gerichtet durch militärischen Zwang und durch die innere Rivalität einer vielfach getheilten Administration die drohende Zerstückelung des Länderverbandes abzuwenden, durch Wechsel von Strenge und Milde den Familienzwist im Hause der Cäsaren zu verdecken, unter edeln Herrschern den Völkern die Ruhe zu geben, welche der ungehinderte, still ertragene Despotismus periodenweise gewähren kann.</p>
              <p>Das Erringen der römischen Weltherrschaft ist allerdings ein Werk gewesen der Größe des römischen Charakters, einer lang bewährten Sittenstrenge, einer ausschließlichen, mit hohem Selbstgefühl gepaarten Vaterlandsliebe. Nachdem aber die Weltherrschaft errungen war, fanden sich nach dem unvermeidlichen Einflusse der hervorgerufenen Verhältnisse jene herrlichen Eigenschaften allmälig geschwächt und umgewandelt. Mit dem Nationalgeiste erlosch die volksthümliche Beweglichkeit der Einzelnen. Es verschwanden Oeffentlichkeit und Bewahrung der Individualität der Menschen, die zwei Hauptstützen freier Verfassungen.
</p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[217/0222] Algebrist Diophantus ⁴⁴ gehört einer späteren Zeit an), sind alle griechischen Stammes. Bei dem Zwiespalt der Bildung, den die römischen Weltherrschaft darbietet, blieb dem älteren, glücklicher organisirten Culturvolke, den Hellenen, die Palme; aber es zerstreuten sich nach dem allmäligen Untergange der ägyptisch-alexandrinischen Schule die geschwächten Lichtpunkte des Wissens und des rationellen Forschens: sie erscheinen erst später wieder in Griechenland und Kleinasien. Wie in allen unumschränkten Monarchien, welche bei einem ungeheuren Umfange aus den heterogensten Elementen zusammengesetzt sind, war das Streben der Regierung hauptsächlich darauf gerichtet durch militärischen Zwang und durch die innere Rivalität einer vielfach getheilten Administration die drohende Zerstückelung des Länderverbandes abzuwenden, durch Wechsel von Strenge und Milde den Familienzwist im Hause der Cäsaren zu verdecken, unter edeln Herrschern den Völkern die Ruhe zu geben, welche der ungehinderte, still ertragene Despotismus periodenweise gewähren kann. Das Erringen der römischen Weltherrschaft ist allerdings ein Werk gewesen der Größe des römischen Charakters, einer lang bewährten Sittenstrenge, einer ausschließlichen, mit hohem Selbstgefühl gepaarten Vaterlandsliebe. Nachdem aber die Weltherrschaft errungen war, fanden sich nach dem unvermeidlichen Einflusse der hervorgerufenen Verhältnisse jene herrlichen Eigenschaften allmälig geschwächt und umgewandelt. Mit dem Nationalgeiste erlosch die volksthümliche Beweglichkeit der Einzelnen. Es verschwanden Oeffentlichkeit und Bewahrung der Individualität der Menschen, die zwei Hauptstützen freier Verfassungen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen (2013-04-18T11:04:31Z)



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/222
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/222>, abgerufen am 21.11.2024.