Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.gehabt haben, wenn Carthago Rom besiegt und das europäische Abendland beherrscht hätte. "Man kann mit gleichem Rechte fragen", sagt Wilhelm von Humboldt20, "in welchem Zustande sich unsere heutige Cultur befinden würde, wenn die Araber, wie sie es eine lange Zeit hindurch waren, im alleinigen Besitz der Wissenschaft geblieben wären und sich über das Abendland dauernd verbreitet hätten? Ein weniger günstiger Erfolg scheint mir in beiden Fällen nicht zweifelhaft. Derselben Ursache, welche die römische Weltherrschaft hervorbrachte, dem römischen Geist und Charakter, nicht äußeren mehr zufälligen Schicksalen, verdanken wir den Einfluß der Römer auf unsere bürgerlichen Einrichtungen, auf unsere Gesetze, Sprache und Cultur. Durch diesen wohlthätigen Einfluß und durch innere Stammverwandtschaft wurden wir für griechischen Geist und griechische Sprache empfänglich, da die Araber vorzugsweise nur an den wissenschaftlichen Resultaten griechischer Forschung (den naturbeschreibenden, physischen, astronomischen, rein mathematischen) hingen." Die Araber haben, bei sorgsamer Bewahrung der reinsten heimischen Mundart und des Scharfsinnes ihrer bildlichen Reden, dem Ausdruck der Gefühle und edeln Weisheitssprüchen allerdings die Anmuth dichterischer Färbung zu geben gewußt; aber sie würden, nach dem zu urtheilen, was sie unter den Abbassiden waren, auch auf der Grundlage desselben Alterthums, mit dem wir sie vertraut finden, wohl nie vermocht haben die Werke erhabener Dichtung und bildendschaffenden Kunstsinnes ins Leben zu rufen, deren sich in harmonischer Verschmelzung die Blüthezeit unserer europäischen Cultur zu rühmen hat. gehabt haben, wenn Carthago Rom besiegt und das europäische Abendland beherrscht hätte. „Man kann mit gleichem Rechte fragen", sagt Wilhelm von Humboldt20, „in welchem Zustande sich unsere heutige Cultur befinden würde, wenn die Araber, wie sie es eine lange Zeit hindurch waren, im alleinigen Besitz der Wissenschaft geblieben wären und sich über das Abendland dauernd verbreitet hätten? Ein weniger günstiger Erfolg scheint mir in beiden Fällen nicht zweifelhaft. Derselben Ursache, welche die römische Weltherrschaft hervorbrachte, dem römischen Geist und Charakter, nicht äußeren mehr zufälligen Schicksalen, verdanken wir den Einfluß der Römer auf unsere bürgerlichen Einrichtungen, auf unsere Gesetze, Sprache und Cultur. Durch diesen wohlthätigen Einfluß und durch innere Stammverwandtschaft wurden wir für griechischen Geist und griechische Sprache empfänglich, da die Araber vorzugsweise nur an den wissenschaftlichen Resultaten griechischer Forschung (den naturbeschreibenden, physischen, astronomischen, rein mathematischen) hingen." Die Araber haben, bei sorgsamer Bewahrung der reinsten heimischen Mundart und des Scharfsinnes ihrer bildlichen Reden, dem Ausdruck der Gefühle und edeln Weisheitssprüchen allerdings die Anmuth dichterischer Färbung zu geben gewußt; aber sie würden, nach dem zu urtheilen, was sie unter den Abbassiden waren, auch auf der Grundlage desselben Alterthums, mit dem wir sie vertraut finden, wohl nie vermocht haben die Werke erhabener Dichtung und bildendschaffenden Kunstsinnes ins Leben zu rufen, deren sich in harmonischer Verschmelzung die Blüthezeit unserer europäischen Cultur zu rühmen hat. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0270" n="265"/> gehabt haben, wenn <hi rendition="#g">Carthago Rom</hi> besiegt und das europäische Abendland beherrscht hätte. „Man kann mit gleichem Rechte fragen", sagt Wilhelm von Humboldt<note xml:id="ftn359" next="#ftn359-text" place="end" n="20"/>, „in welchem Zustande sich unsere heutige Cultur befinden würde, wenn die <hi rendition="#g">Araber,</hi> wie sie es eine lange Zeit hindurch waren, im alleinigen Besitz der Wissenschaft geblieben wären und sich über das Abendland dauernd verbreitet hätten? Ein weniger günstiger Erfolg scheint mir in beiden Fällen nicht zweifelhaft. Derselben Ursache, welche die römische Weltherrschaft hervorbrachte, dem <hi rendition="#g">römischen Geist und Charakter,</hi> nicht äußeren mehr zufälligen Schicksalen, verdanken wir den Einfluß der Römer auf unsere bürgerlichen Einrichtungen, auf unsere Gesetze, Sprache und Cultur. Durch diesen wohlthätigen Einfluß und durch innere Stammverwandtschaft wurden wir für griechischen Geist und griechische Sprache empfänglich, da die Araber vorzugsweise nur an den <hi rendition="#g">wissenschaftlichen</hi> Resultaten griechischer Forschung (den naturbeschreibenden, physischen, astronomischen, rein mathematischen) hingen." Die Araber haben, bei sorgsamer Bewahrung der reinsten heimischen Mundart und des Scharfsinnes ihrer bildlichen Reden, dem Ausdruck der Gefühle und edeln Weisheitssprüchen allerdings die Anmuth dichterischer Färbung zu geben gewußt; aber sie würden, nach dem zu urtheilen, was sie unter den Abbassiden waren, auch auf der Grundlage desselben Alterthums, mit dem wir sie vertraut finden, wohl nie vermocht haben die Werke erhabener Dichtung und bildendschaffenden Kunstsinnes ins Leben zu rufen, deren sich in harmonischer Verschmelzung die Blüthezeit unserer europäischen Cultur zu rühmen hat.</p> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [265/0270]
gehabt haben, wenn Carthago Rom besiegt und das europäische Abendland beherrscht hätte. „Man kann mit gleichem Rechte fragen", sagt Wilhelm von Humboldt
²⁰
, „in welchem Zustande sich unsere heutige Cultur befinden würde, wenn die Araber, wie sie es eine lange Zeit hindurch waren, im alleinigen Besitz der Wissenschaft geblieben wären und sich über das Abendland dauernd verbreitet hätten? Ein weniger günstiger Erfolg scheint mir in beiden Fällen nicht zweifelhaft. Derselben Ursache, welche die römische Weltherrschaft hervorbrachte, dem römischen Geist und Charakter, nicht äußeren mehr zufälligen Schicksalen, verdanken wir den Einfluß der Römer auf unsere bürgerlichen Einrichtungen, auf unsere Gesetze, Sprache und Cultur. Durch diesen wohlthätigen Einfluß und durch innere Stammverwandtschaft wurden wir für griechischen Geist und griechische Sprache empfänglich, da die Araber vorzugsweise nur an den wissenschaftlichen Resultaten griechischer Forschung (den naturbeschreibenden, physischen, astronomischen, rein mathematischen) hingen." Die Araber haben, bei sorgsamer Bewahrung der reinsten heimischen Mundart und des Scharfsinnes ihrer bildlichen Reden, dem Ausdruck der Gefühle und edeln Weisheitssprüchen allerdings die Anmuth dichterischer Färbung zu geben gewußt; aber sie würden, nach dem zu urtheilen, was sie unter den Abbassiden waren, auch auf der Grundlage desselben Alterthums, mit dem wir sie vertraut finden, wohl nie vermocht haben die Werke erhabener Dichtung und bildendschaffenden Kunstsinnes ins Leben zu rufen, deren sich in harmonischer Verschmelzung die Blüthezeit unserer europäischen Cultur zu rühmen hat.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen
(2013-04-18T11:04:31Z)
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |