Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.Der Pabst Leo X las seiner Schwester und den Cardinälen "bis in die tiefe Nacht" die Oceanica des Anghiera vor. "Spanien", sagt dieser, "möchte ich von jetzt an nicht wieder verlassen, weil ich hier an der Quelle der Nachrichten aus den neu entdeckten Ländern stehe und als Geschichtsschreiber so großer Begebenheiten hoffen darf meinem Namen einigen Ruhm bei der Nachwelt zu verschaffen."69 So lebhaft wurde von den Zeitgenossen gefühlt, was glänzend in den spätesten Erinnerungen aller Jahrhunderte leben wird. Columbus, indem er das westlich von dem Meridian der azorischen Inseln noch ganz unerforschte Meer durchschiffte und zur Ortsbestimmung das neu vervollkommnete Astrolabium anwandte, suchte das östliche Asien auf dem Wege gegen Westen nicht als ein Abenteurer; er suchte es nach einem festen vorgefaßten Plane. Er hatte allerdings die Seekarte am Bord, welche ihm der florentiner Arzt und Astronom Paolo Toscanelli 1477 geschickt hatte und welche 53 Jahre nach seinem Tode noch Bartholomäus de las Casas besaß. Nach der handschriftlichen Geschichte des letzteren, die ich untersucht, war dies auch die Carta de marear70, welche der Admiral am 25 September 1492 dem Martin Alonso Pinzon zeigte und auf der mehrere vorliegende Inseln eingezeichnet waren. Wäre indeß Columbus der Carte seines Rathgebers Toscanelli allein gefolgt, so würde er einen nördlicheren Curs und zwar im Parallelkreise von Lissabon gehalten haben; er steuerte dagegen, in der Hoffnung Zipangu (Japan) schneller zu erreichen, die Hälfte des Weges in der Breite der canarischen Insel Gomera, und später, in Breite abnehmend, befand er sich am 7 October 1492 unter 25° 1/2. Unruhig darüber die Küsten von Zipangu Der Pabst Leo X las seiner Schwester und den Cardinälen „bis in die tiefe Nacht" die Oceanica des Anghiera vor. „Spanien", sagt dieser, „möchte ich von jetzt an nicht wieder verlassen, weil ich hier an der Quelle der Nachrichten aus den neu entdeckten Ländern stehe und als Geschichtsschreiber so großer Begebenheiten hoffen darf meinem Namen einigen Ruhm bei der Nachwelt zu verschaffen."69 So lebhaft wurde von den Zeitgenossen gefühlt, was glänzend in den spätesten Erinnerungen aller Jahrhunderte leben wird. Columbus, indem er das westlich von dem Meridian der azorischen Inseln noch ganz unerforschte Meer durchschiffte und zur Ortsbestimmung das neu vervollkommnete Astrolabium anwandte, suchte das östliche Asien auf dem Wege gegen Westen nicht als ein Abenteurer; er suchte es nach einem festen vorgefaßten Plane. Er hatte allerdings die Seekarte am Bord, welche ihm der florentiner Arzt und Astronom Paolo Toscanelli 1477 geschickt hatte und welche 53 Jahre nach seinem Tode noch Bartholomäus de las Casas besaß. Nach der handschriftlichen Geschichte des letzteren, die ich untersucht, war dies auch die Carta de marear70, welche der Admiral am 25 September 1492 dem Martin Alonso Pinzon zeigte und auf der mehrere vorliegende Inseln eingezeichnet waren. Wäre indeß Columbus der Carte seines Rathgebers Toscanelli allein gefolgt, so würde er einen nördlicheren Curs und zwar im Parallelkreise von Lissabon gehalten haben; er steuerte dagegen, in der Hoffnung Zipangu (Japan) schneller zu erreichen, die Hälfte des Weges in der Breite der canarischen Insel Gomera, und später, in Breite abnehmend, befand er sich am 7 October 1492 unter 25° ½. Unruhig darüber die Küsten von Zipangu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0305" n="300"/> Der Pabst Leo X las seiner Schwester und den Cardinälen „bis in die tiefe Nacht" die <hi rendition="#g">Oceanica</hi> des Anghiera vor. „Spanien", sagt dieser, „möchte ich von jetzt an nicht wieder verlassen, weil ich hier an der Quelle der Nachrichten aus den neu entdeckten Ländern stehe und als Geschichtsschreiber so großer Begebenheiten hoffen darf meinem Namen einigen Ruhm bei der Nachwelt zu verschaffen."<note xml:id="ftn408" next="ftn408-text" place="end" n="69"/> So lebhaft wurde von den Zeitgenossen gefühlt, was glänzend in den spätesten Erinnerungen aller Jahrhunderte leben wird.</p> <p>Columbus, indem er das westlich von dem Meridian der azorischen Inseln noch ganz unerforschte Meer durchschiffte und zur Ortsbestimmung das neu vervollkommnete Astrolabium anwandte, suchte das östliche Asien auf dem Wege gegen Westen nicht als ein Abenteurer; er suchte es nach einem festen vorgefaßten Plane. Er hatte allerdings die Seekarte am Bord, welche ihm der florentiner Arzt und Astronom Paolo Toscanelli 1477 geschickt hatte und welche 53 Jahre nach seinem Tode noch Bartholomäus de las Casas besaß. Nach der handschriftlichen Geschichte des letzteren, die ich untersucht, war dies auch die Carta de marear<note xml:id="ftn409" next="ftn409-text" place="end" n="70"/>, welche der Admiral am 25 September 1492 dem Martin Alonso Pinzon zeigte und auf der mehrere vorliegende Inseln eingezeichnet waren. Wäre indeß Columbus der Carte seines Rathgebers Toscanelli allein gefolgt, so würde er einen nördlicheren Curs und zwar im Parallelkreise von Lissabon gehalten haben; er steuerte dagegen, in der Hoffnung Zipangu (Japan) schneller zu erreichen, die Hälfte des Weges in der Breite der canarischen Insel Gomera, und später, in Breite abnehmend, befand er sich am 7 October 1492 unter 25° ½. Unruhig darüber die Küsten von Zipangu </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [300/0305]
Der Pabst Leo X las seiner Schwester und den Cardinälen „bis in die tiefe Nacht" die Oceanica des Anghiera vor. „Spanien", sagt dieser, „möchte ich von jetzt an nicht wieder verlassen, weil ich hier an der Quelle der Nachrichten aus den neu entdeckten Ländern stehe und als Geschichtsschreiber so großer Begebenheiten hoffen darf meinem Namen einigen Ruhm bei der Nachwelt zu verschaffen."
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So lebhaft wurde von den Zeitgenossen gefühlt, was glänzend in den spätesten Erinnerungen aller Jahrhunderte leben wird.
Columbus, indem er das westlich von dem Meridian der azorischen Inseln noch ganz unerforschte Meer durchschiffte und zur Ortsbestimmung das neu vervollkommnete Astrolabium anwandte, suchte das östliche Asien auf dem Wege gegen Westen nicht als ein Abenteurer; er suchte es nach einem festen vorgefaßten Plane. Er hatte allerdings die Seekarte am Bord, welche ihm der florentiner Arzt und Astronom Paolo Toscanelli 1477 geschickt hatte und welche 53 Jahre nach seinem Tode noch Bartholomäus de las Casas besaß. Nach der handschriftlichen Geschichte des letzteren, die ich untersucht, war dies auch die Carta de marear
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, welche der Admiral am 25 September 1492 dem Martin Alonso Pinzon zeigte und auf der mehrere vorliegende Inseln eingezeichnet waren. Wäre indeß Columbus der Carte seines Rathgebers Toscanelli allein gefolgt, so würde er einen nördlicheren Curs und zwar im Parallelkreise von Lissabon gehalten haben; er steuerte dagegen, in der Hoffnung Zipangu (Japan) schneller zu erreichen, die Hälfte des Weges in der Breite der canarischen Insel Gomera, und später, in Breite abnehmend, befand er sich am 7 October 1492 unter 25° ½. Unruhig darüber die Küsten von Zipangu
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Zitationshilfe: | Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/305>, abgerufen am 22.06.2024. |