Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

gruppenweise "an Gold, Edelsteinen, Gewürzen und Perlen reiche Inseln" zu entdecken hoffte. Die aufgeregte Phantasie trieb zu großen Unternehmungen an, wie denn die Kühnheit dieser im Gelingen und Nichtgelingen auf die Phantasie zurückwirkte und sie mächtiger entflammte. So vereinigte sich vieles in dieser wunderbaren Zeit der Conquista (Zeit der Anstrengung, der Gewaltthätigkeit und des Entdeckungsschwindels auf Meer und Land), das, trotz des gänzlichen Mangels politischer Freiheit, die individuelle Ausbildung der Charaktere begünstigte und Einzelnen höherbegabten manches Edle erringen half, was nur den Tiefen des Gemüthes entquillt. Man irrt, wenn man die Conquistadores allein von Goldgeiz oder gar von religiösem Fanatismus geleitet glaubt. Gefahren erhöhen immer die Poesie des Lebens; dazu gab das mächtige Zeitalter, das wir hier in seinem Einflusse auf die Entwickelung kosmischer Ideen schildern, allen Unternehmungen, wie den Natureindrücken, welche ferne Reisen darbieten, einen Reiz, der unserem gelehrten Zeitalter in den jetzt so vielfach aufgeschlossenen Erdräumen zu mangeln beginnt: den Reiz der Neuheit und staunenerregender Ueberraschung. Nicht eine Erdhälfte, sondern fast 2/3 der Erdkugel waren damals noch eine neue und unerforschte Welt: ungesehen wie die eine abgewandte Mondhälfte, welche nach den waltenden Gravitationsgesetzen dem Blick der Erdbewohner für immer entzogen bleibt. Unserem tiefer forschenden und in Ideenreichthum fortgeschrittenen Zeitalter ist ein Ersatz geworden für die Abnahme jener Ueberraschung, welche die Neuheit großer, massenhaft imponirender Naturerscheinungen einst hervorrief: ein Ersatz, freilich nicht für

gruppenweise „an Gold, Edelsteinen, Gewürzen und Perlen reiche Inseln" zu entdecken hoffte. Die aufgeregte Phantasie trieb zu großen Unternehmungen an, wie denn die Kühnheit dieser im Gelingen und Nichtgelingen auf die Phantasie zurückwirkte und sie mächtiger entflammte. So vereinigte sich vieles in dieser wunderbaren Zeit der Conquista (Zeit der Anstrengung, der Gewaltthätigkeit und des Entdeckungsschwindels auf Meer und Land), das, trotz des gänzlichen Mangels politischer Freiheit, die individuelle Ausbildung der Charaktere begünstigte und Einzelnen höherbegabten manches Edle erringen half, was nur den Tiefen des Gemüthes entquillt. Man irrt, wenn man die Conquistadores allein von Goldgeiz oder gar von religiösem Fanatismus geleitet glaubt. Gefahren erhöhen immer die Poesie des Lebens; dazu gab das mächtige Zeitalter, das wir hier in seinem Einflusse auf die Entwickelung kosmischer Ideen schildern, allen Unternehmungen, wie den Natureindrücken, welche ferne Reisen darbieten, einen Reiz, der unserem gelehrten Zeitalter in den jetzt so vielfach aufgeschlossenen Erdräumen zu mangeln beginnt: den Reiz der Neuheit und staunenerregender Ueberraschung. Nicht eine Erdhälfte, sondern fast ⅔ der Erdkugel waren damals noch eine neue und unerforschte Welt: ungesehen wie die eine abgewandte Mondhälfte, welche nach den waltenden Gravitationsgesetzen dem Blick der Erdbewohner für immer entzogen bleibt. Unserem tiefer forschenden und in Ideenreichthum fortgeschrittenen Zeitalter ist ein Ersatz geworden für die Abnahme jener Ueberraschung, welche die Neuheit großer, massenhaft imponirender Naturerscheinungen einst hervorrief: ein Ersatz, freilich nicht für

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0315" n="310"/>
gruppenweise &#x201E;an Gold, Edelsteinen, Gewürzen und Perlen reiche Inseln" zu entdecken hoffte. Die aufgeregte Phantasie trieb zu großen Unternehmungen an, wie denn die Kühnheit dieser im Gelingen und Nichtgelingen auf die Phantasie zurückwirkte und sie mächtiger entflammte. So vereinigte sich vieles in dieser wunderbaren Zeit der Conquista (Zeit der Anstrengung, der Gewaltthätigkeit und des Entdeckungsschwindels auf Meer und Land), das, trotz des gänzlichen Mangels politischer Freiheit, die individuelle Ausbildung der Charaktere begünstigte und Einzelnen höherbegabten manches Edle erringen half, was nur den Tiefen des Gemüthes entquillt. Man irrt, wenn man die Conquistadores allein von Goldgeiz oder gar von religiösem Fanatismus geleitet glaubt. Gefahren erhöhen immer die Poesie des Lebens; dazu gab das mächtige Zeitalter, das wir hier in seinem Einflusse auf die Entwickelung kosmischer Ideen schildern, allen Unternehmungen, wie den Natureindrücken, welche ferne Reisen darbieten, einen Reiz, der unserem gelehrten Zeitalter in den jetzt so vielfach aufgeschlossenen Erdräumen zu mangeln beginnt: den Reiz der Neuheit und staunenerregender Ueberraschung. Nicht eine Erdhälfte, sondern fast &#x2154; der Erdkugel waren damals noch eine neue und unerforschte Welt: ungesehen wie die eine abgewandte Mondhälfte, welche nach den waltenden Gravitationsgesetzen dem Blick der Erdbewohner für immer entzogen bleibt. Unserem tiefer forschenden und in Ideenreichthum fortgeschrittenen Zeitalter ist ein Ersatz geworden für die Abnahme jener Ueberraschung, welche die Neuheit großer, massenhaft imponirender Naturerscheinungen einst hervorrief: ein Ersatz, freilich nicht für
</p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[310/0315] gruppenweise „an Gold, Edelsteinen, Gewürzen und Perlen reiche Inseln" zu entdecken hoffte. Die aufgeregte Phantasie trieb zu großen Unternehmungen an, wie denn die Kühnheit dieser im Gelingen und Nichtgelingen auf die Phantasie zurückwirkte und sie mächtiger entflammte. So vereinigte sich vieles in dieser wunderbaren Zeit der Conquista (Zeit der Anstrengung, der Gewaltthätigkeit und des Entdeckungsschwindels auf Meer und Land), das, trotz des gänzlichen Mangels politischer Freiheit, die individuelle Ausbildung der Charaktere begünstigte und Einzelnen höherbegabten manches Edle erringen half, was nur den Tiefen des Gemüthes entquillt. Man irrt, wenn man die Conquistadores allein von Goldgeiz oder gar von religiösem Fanatismus geleitet glaubt. Gefahren erhöhen immer die Poesie des Lebens; dazu gab das mächtige Zeitalter, das wir hier in seinem Einflusse auf die Entwickelung kosmischer Ideen schildern, allen Unternehmungen, wie den Natureindrücken, welche ferne Reisen darbieten, einen Reiz, der unserem gelehrten Zeitalter in den jetzt so vielfach aufgeschlossenen Erdräumen zu mangeln beginnt: den Reiz der Neuheit und staunenerregender Ueberraschung. Nicht eine Erdhälfte, sondern fast ⅔ der Erdkugel waren damals noch eine neue und unerforschte Welt: ungesehen wie die eine abgewandte Mondhälfte, welche nach den waltenden Gravitationsgesetzen dem Blick der Erdbewohner für immer entzogen bleibt. Unserem tiefer forschenden und in Ideenreichthum fortgeschrittenen Zeitalter ist ein Ersatz geworden für die Abnahme jener Ueberraschung, welche die Neuheit großer, massenhaft imponirender Naturerscheinungen einst hervorrief: ein Ersatz, freilich nicht für

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen (2013-04-18T11:04:31Z)



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/315
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/315>, abgerufen am 22.06.2024.