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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

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Abweichung bezeichnet einen denkwürdigen Zeitpunkt in der nautischen Astronomie. Sie wird, mit gerechtem Lobe, von Oviedo, las Casas und Herrera gefeiert. Wenn man dieselbe mit Livio Sanuto dem berühmten Seemann Sebastian Cabot zuschreibt, so vergißt man, daß dessen erste, auf Kosten einiger Kaufleute von Bristol unternommene und durch die Berührung des Festlandes von Amerika gekrönte Reise um fünf Jahre später fällt als die erste Expedition des Columbus. Dieser aber hat nicht bloß das Verdienst gehabt im atlantischen Oceane eine Gegend aufgefunden zu haben, in welcher damals der magnetische Meridian mit dem geographischen zusammenfiel; er machte zugleich auch die sinnreiche Bemerkung, daß die magnetische Abweichung mit dazu dienen könne den Ort des Schiffes in Hinsicht auf dessen Länge zu bestimmen. In dem Journal der zweiten Reise (April 1496) sehen wir den Admiral sich wirklich nach der beobachteten Abweichung orientiren. Die Schwierigkeiten, welche dieser Längenmethode besonders da entgegen stehen, wo die magnetischen Abweichungscurven sich so beträchtlich krümmen, daß sie nicht der Richtung der Meridiane, sondern in großen Strecken der der Parallele folgen, waren freilich damals noch unbekannt. Magnetische und astronomische Methoden wurden ängstlich gesucht, um auf Land und Meer die Punkte zu bestimmen, welche von der ideal aufgestellten Demarcationslinie durchschnitten werden. Die Wissenschaft und der unvollkommene Zustand aller auf dem Meere zu brauchender, raum- und zeitmessender Instrumente waren 1493 der praktischen Lösung einer so schwierigen Aufgabe noch nicht gewachsen. Unter diesen Verhältnissen leistete Pabst Alexander VI, indem er den Uebermuth hatte eine Erdhälfte unter zwei

Abweichung bezeichnet einen denkwürdigen Zeitpunkt in der nautischen Astronomie. Sie wird, mit gerechtem Lobe, von Oviedo, las Casas und Herrera gefeiert. Wenn man dieselbe mit Livio Sanuto dem berühmten Seemann Sebastian Cabot zuschreibt, so vergißt man, daß dessen erste, auf Kosten einiger Kaufleute von Bristol unternommene und durch die Berührung des Festlandes von Amerika gekrönte Reise um fünf Jahre später fällt als die erste Expedition des Columbus. Dieser aber hat nicht bloß das Verdienst gehabt im atlantischen Oceane eine Gegend aufgefunden zu haben, in welcher damals der magnetische Meridian mit dem geographischen zusammenfiel; er machte zugleich auch die sinnreiche Bemerkung, daß die magnetische Abweichung mit dazu dienen könne den Ort des Schiffes in Hinsicht auf dessen Länge zu bestimmen. In dem Journal der zweiten Reise (April 1496) sehen wir den Admiral sich wirklich nach der beobachteten Abweichung orientiren. Die Schwierigkeiten, welche dieser Längenmethode besonders da entgegen stehen, wo die magnetischen Abweichungscurven sich so beträchtlich krümmen, daß sie nicht der Richtung der Meridiane, sondern in großen Strecken der der Parallele folgen, waren freilich damals noch unbekannt. Magnetische und astronomische Methoden wurden ängstlich gesucht, um auf Land und Meer die Punkte zu bestimmen, welche von der ideal aufgestellten Demarcationslinie durchschnitten werden. Die Wissenschaft und der unvollkommene Zustand aller auf dem Meere zu brauchender, raum- und zeitmessender Instrumente waren 1493 der praktischen Lösung einer so schwierigen Aufgabe noch nicht gewachsen. Unter diesen Verhältnissen leistete Pabst Alexander VI, indem er den Uebermuth hatte eine Erdhälfte unter zwei

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[320/0325] Abweichung bezeichnet einen denkwürdigen Zeitpunkt in der nautischen Astronomie. Sie wird, mit gerechtem Lobe, von Oviedo, las Casas und Herrera gefeiert. Wenn man dieselbe mit Livio Sanuto dem berühmten Seemann Sebastian Cabot zuschreibt, so vergißt man, daß dessen erste, auf Kosten einiger Kaufleute von Bristol unternommene und durch die Berührung des Festlandes von Amerika gekrönte Reise um fünf Jahre später fällt als die erste Expedition des Columbus. Dieser aber hat nicht bloß das Verdienst gehabt im atlantischen Oceane eine Gegend aufgefunden zu haben, in welcher damals der magnetische Meridian mit dem geographischen zusammenfiel; er machte zugleich auch die sinnreiche Bemerkung, daß die magnetische Abweichung mit dazu dienen könne den Ort des Schiffes in Hinsicht auf dessen Länge zu bestimmen. In dem Journal der zweiten Reise (April 1496) sehen wir den Admiral sich wirklich nach der beobachteten Abweichung orientiren. Die Schwierigkeiten, welche dieser Längenmethode besonders da entgegen stehen, wo die magnetischen Abweichungscurven sich so beträchtlich krümmen, daß sie nicht der Richtung der Meridiane, sondern in großen Strecken der der Parallele folgen, waren freilich damals noch unbekannt. Magnetische und astronomische Methoden wurden ängstlich gesucht, um auf Land und Meer die Punkte zu bestimmen, welche von der ideal aufgestellten Demarcationslinie durchschnitten werden. Die Wissenschaft und der unvollkommene Zustand aller auf dem Meere zu brauchender, raum- und zeitmessender Instrumente waren 1493 der praktischen Lösung einer so schwierigen Aufgabe noch nicht gewachsen. Unter diesen Verhältnissen leistete Pabst Alexander VI, indem er den Uebermuth hatte eine Erdhälfte unter zwei

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/325>, abgerufen am 22.06.2024.