Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.Analogien geführt. Die Zoologie ist lange in ihren Fortschritten dadurch gefährdet worden, daß man in den unteren Thierclassen alle Lebensthätigkeiten an gleichgestaltete Organe wie in den höchsten Thierclassen gebunden glaubte. Noch mehr ist die Kenntniß von der Entwickelungsgeschichte der Pflanzen in den sogenannten kryptogamischen Cormophyten (den Laub- und Lebermoosen, Farren, Lycopodiaceen) oder in den noch niedrigeren Thallophyten (Algen, Flechten, Pilzen) dadurch verdunkelt worden, daß man überall Analogien aus der geschlechtlichen Fortpflanzung des Thierreichs5 zu finden glaubte. Wenn die Kunst innerhalb des Zauberkreises der Einbildungskraft, recht eigentlich innerhalb des Gemüthes liegt, so beruhet dagegen die Erweiterung des Wissens vorzugsweise auf dem Contact mit der Außenwelt. Dieser wird bei zunehmendem Völkerverkehr mannigfaltiger und inniger zugleich. Das Erschaffen neuer Organe (Werkzeuge der Beobachtung) vermehrt die geistige, oft auch die physische Macht des Menschen. Schneller als das Licht trägt in die weiteste Ferne Gedanken und Willen der geschlossene electrische Strom. Kräfte, deren stilles Treiben in der elementarischen Natur, wie in den zarten Zellen organischer Gewebe, jetzt noch unseren Sinnen entgeht, werden, erkannt, benutzt, zu höherer Thätigkeit erweckt, einst in die unabsehbare Reihe der Mittel treten, welche der Beherrschung einzelner Naturgebiete und der lebendigeren Erkenntniß des Weltganzen näher führen. Analogien geführt. Die Zoologie ist lange in ihren Fortschritten dadurch gefährdet worden, daß man in den unteren Thierclassen alle Lebensthätigkeiten an gleichgestaltete Organe wie in den höchsten Thierclassen gebunden glaubte. Noch mehr ist die Kenntniß von der Entwickelungsgeschichte der Pflanzen in den sogenannten kryptogamischen Cormophyten (den Laub- und Lebermoosen, Farren, Lycopodiaceen) oder in den noch niedrigeren Thallophyten (Algen, Flechten, Pilzen) dadurch verdunkelt worden, daß man überall Analogien aus der geschlechtlichen Fortpflanzung des Thierreichs5 zu finden glaubte. Wenn die Kunst innerhalb des Zauberkreises der Einbildungskraft, recht eigentlich innerhalb des Gemüthes liegt, so beruhet dagegen die Erweiterung des Wissens vorzugsweise auf dem Contact mit der Außenwelt. Dieser wird bei zunehmendem Völkerverkehr mannigfaltiger und inniger zugleich. Das Erschaffen neuer Organe (Werkzeuge der Beobachtung) vermehrt die geistige, oft auch die physische Macht des Menschen. Schneller als das Licht trägt in die weiteste Ferne Gedanken und Willen der geschlossene electrische Strom. Kräfte, deren stilles Treiben in der elementarischen Natur, wie in den zarten Zellen organischer Gewebe, jetzt noch unseren Sinnen entgeht, werden, erkannt, benutzt, zu höherer Thätigkeit erweckt, einst in die unabsehbare Reihe der Mittel treten, welche der Beherrschung einzelner Naturgebiete und der lebendigeren Erkenntniß des Weltganzen näher führen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0405" n="400"/> Analogien geführt. Die Zoologie ist lange in ihren Fortschritten dadurch gefährdet worden, daß man in den unteren Thierclassen alle Lebensthätigkeiten an gleichgestaltete Organe wie in den höchsten Thierclassen gebunden glaubte. Noch mehr ist die Kenntniß von der Entwickelungsgeschichte der Pflanzen in den sogenannten kryptogamischen <hi rendition="#g">Cormophyten</hi> (den Laub- und Lebermoosen, Farren, Lycopodiaceen) oder in den noch niedrigeren <hi rendition="#g">Thallophyten</hi> (Algen, Flechten, Pilzen) dadurch verdunkelt worden, daß man überall Analogien aus der geschlechtlichen Fortpflanzung des Thierreichs<note xml:id="ftn544" next="ftn544-text" place="end" n="5"/> zu finden glaubte.</p> <p>Wenn die <hi rendition="#g">Kunst</hi> innerhalb des Zauberkreises der Einbildungskraft, recht eigentlich innerhalb des Gemüthes liegt, so beruhet dagegen die Erweiterung des <hi rendition="#g">Wissens</hi> vorzugsweise auf dem Contact mit der Außenwelt. Dieser wird bei zunehmendem Völkerverkehr mannigfaltiger und inniger zugleich. Das Erschaffen neuer Organe (Werkzeuge der Beobachtung) vermehrt die geistige, oft auch die physische Macht des Menschen. Schneller als das Licht trägt in die weiteste Ferne Gedanken und Willen der geschlossene electrische Strom. Kräfte, deren stilles Treiben in der elementarischen Natur, wie in den zarten Zellen organischer Gewebe, jetzt noch unseren Sinnen entgeht, werden, erkannt, benutzt, zu höherer Thätigkeit erweckt, einst in die unabsehbare Reihe der Mittel treten, welche der Beherrschung einzelner Naturgebiete und der lebendigeren Erkenntniß des Weltganzen näher führen.</p> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [400/0405]
Analogien geführt. Die Zoologie ist lange in ihren Fortschritten dadurch gefährdet worden, daß man in den unteren Thierclassen alle Lebensthätigkeiten an gleichgestaltete Organe wie in den höchsten Thierclassen gebunden glaubte. Noch mehr ist die Kenntniß von der Entwickelungsgeschichte der Pflanzen in den sogenannten kryptogamischen Cormophyten (den Laub- und Lebermoosen, Farren, Lycopodiaceen) oder in den noch niedrigeren Thallophyten (Algen, Flechten, Pilzen) dadurch verdunkelt worden, daß man überall Analogien aus der geschlechtlichen Fortpflanzung des Thierreichs
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zu finden glaubte.
Wenn die Kunst innerhalb des Zauberkreises der Einbildungskraft, recht eigentlich innerhalb des Gemüthes liegt, so beruhet dagegen die Erweiterung des Wissens vorzugsweise auf dem Contact mit der Außenwelt. Dieser wird bei zunehmendem Völkerverkehr mannigfaltiger und inniger zugleich. Das Erschaffen neuer Organe (Werkzeuge der Beobachtung) vermehrt die geistige, oft auch die physische Macht des Menschen. Schneller als das Licht trägt in die weiteste Ferne Gedanken und Willen der geschlossene electrische Strom. Kräfte, deren stilles Treiben in der elementarischen Natur, wie in den zarten Zellen organischer Gewebe, jetzt noch unseren Sinnen entgeht, werden, erkannt, benutzt, zu höherer Thätigkeit erweckt, einst in die unabsehbare Reihe der Mittel treten, welche der Beherrschung einzelner Naturgebiete und der lebendigeren Erkenntniß des Weltganzen näher führen.
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Zitationshilfe: | Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/405>, abgerufen am 16.07.2024. |