Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.Freude an der Natur. Die nicht an den Boden gefesselten, mit Stimme begabten, leidenschaftlich aufgeregten Thiere contrastiren mit dem Stillleben der schweigsamen Pflanzen. Sie sind ein immerdar thätiges die Landschaft belebendes Princip. "Die alte Poesie betrachtet das Naturleben gern mit menschlichem Auge, sie leiht den Thieren und bisweilen selbst den Pflanzen Sinn und Empfindungen des Menschen, indem sie phantasiereich und kindlich alles Wahrgenommene in Gestalt und Trieben zu deuten weiß. Kräuter und Blumen sind von Göttern und Helden gepflückt und gebraucht worden, sie führen dann nach ihnen den Namen. Man fühlt, daß wie ein alter Waldgeruch uns aus dem deutschen Thiergedicht anwehe."56 An die Denkmäler germanischer Naturdichtung hätte man vormals geneigt sein können Reste celtisch-irischer Dichtung anzuschließen, die ein halbes Jahrhundert lang unter dem Namen Ossians wie Nebelgestalten von Volk zu Volk gewandelt sind; aber der Zauber ist verschwunden, seitdem des talentvollen Macpherson's litterarisches Benehmen durch die Herausgabe des von ihm geschmiedeten galischen Urtextes (einer Rückübertragung des englischen Werkes) vollkommen aufgedeckt worden ist. Es giebt alt-irische Fingal-Lieder unter dem Namen der Finnianischen aufgezeichnet aus christlicher Zeit, vielleicht nicht einmal bis zu der des achten Jahrhunderts hinaufreichend; aber diese Volksgesänge enthalten wenig von den sentimentalen Naturschilderungen, welche den Macpherson'schen Gedichten einen besonderen Reiz geben.57 Wir haben schon oben bemerkt, daß, wenn sentimentalromantische Anregungen der Gefühle dem indogermanischen Freude an der Natur. Die nicht an den Boden gefesselten, mit Stimme begabten, leidenschaftlich aufgeregten Thiere contrastiren mit dem Stillleben der schweigsamen Pflanzen. Sie sind ein immerdar thätiges die Landschaft belebendes Princip. „Die alte Poesie betrachtet das Naturleben gern mit menschlichem Auge, sie leiht den Thieren und bisweilen selbst den Pflanzen Sinn und Empfindungen des Menschen, indem sie phantasiereich und kindlich alles Wahrgenommene in Gestalt und Trieben zu deuten weiß. Kräuter und Blumen sind von Göttern und Helden gepflückt und gebraucht worden, sie führen dann nach ihnen den Namen. Man fühlt, daß wie ein alter Waldgeruch uns aus dem deutschen Thiergedicht anwehe."56 An die Denkmäler germanischer Naturdichtung hätte man vormals geneigt sein können Reste celtisch-irischer Dichtung anzuschließen, die ein halbes Jahrhundert lang unter dem Namen Ossians wie Nebelgestalten von Volk zu Volk gewandelt sind; aber der Zauber ist verschwunden, seitdem des talentvollen Macpherson's litterarisches Benehmen durch die Herausgabe des von ihm geschmiedeten galischen Urtextes (einer Rückübertragung des englischen Werkes) vollkommen aufgedeckt worden ist. Es giebt alt-irische Fingal-Lieder unter dem Namen der Finnianischen aufgezeichnet aus christlicher Zeit, vielleicht nicht einmal bis zu der des achten Jahrhunderts hinaufreichend; aber diese Volksgesänge enthalten wenig von den sentimentalen Naturschilderungen, welche den Macpherson'schen Gedichten einen besonderen Reiz geben.57 Wir haben schon oben bemerkt, daß, wenn sentimentalromantische Anregungen der Gefühle dem indogermanischen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0042" n="37"/> Freude an der Natur. Die nicht an den Boden gefesselten, mit Stimme begabten, leidenschaftlich aufgeregten Thiere contrastiren mit dem Stillleben der schweigsamen Pflanzen. Sie sind ein immerdar thätiges die Landschaft belebendes Princip. „Die alte Poesie betrachtet das Naturleben gern mit menschlichem Auge, sie leiht den Thieren und bisweilen selbst den Pflanzen Sinn und Empfindungen des Menschen, indem sie phantasiereich und kindlich alles Wahrgenommene in Gestalt und Trieben zu deuten weiß. Kräuter und Blumen sind von Göttern und Helden gepflückt und gebraucht worden, sie führen dann nach ihnen den Namen. Man fühlt, daß wie ein alter Waldgeruch uns aus dem deutschen Thiergedicht anwehe."<note xml:id="ftn55" next="#ftn55-text" place="end" n="56"/> </p> <p>An die Denkmäler germanischer Naturdichtung hätte man vormals geneigt sein können Reste celtisch-irischer Dichtung anzuschließen, die ein halbes Jahrhundert lang unter dem Namen Ossians wie Nebelgestalten von Volk zu Volk gewandelt sind; aber der Zauber ist verschwunden, seitdem des talentvollen Macpherson's litterarisches Benehmen durch die Herausgabe des von ihm geschmiedeten galischen Urtextes (einer Rückübertragung des englischen Werkes) vollkommen aufgedeckt worden ist. Es giebt alt-irische Fingal-Lieder unter dem Namen der <hi rendition="#g">Finnianischen</hi> aufgezeichnet aus christlicher Zeit, vielleicht nicht einmal bis zu der des achten Jahrhunderts hinaufreichend; aber diese Volksgesänge enthalten wenig von den sentimentalen Naturschilderungen, welche den Macpherson'schen Gedichten einen besonderen Reiz geben.<note xml:id="ftn56" next="#ftn56-text" place="end" n="57"/> </p> <p>Wir haben schon oben bemerkt, daß, wenn sentimentalromantische Anregungen der Gefühle dem indogermanischen </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [37/0042]
Freude an der Natur. Die nicht an den Boden gefesselten, mit Stimme begabten, leidenschaftlich aufgeregten Thiere contrastiren mit dem Stillleben der schweigsamen Pflanzen. Sie sind ein immerdar thätiges die Landschaft belebendes Princip. „Die alte Poesie betrachtet das Naturleben gern mit menschlichem Auge, sie leiht den Thieren und bisweilen selbst den Pflanzen Sinn und Empfindungen des Menschen, indem sie phantasiereich und kindlich alles Wahrgenommene in Gestalt und Trieben zu deuten weiß. Kräuter und Blumen sind von Göttern und Helden gepflückt und gebraucht worden, sie führen dann nach ihnen den Namen. Man fühlt, daß wie ein alter Waldgeruch uns aus dem deutschen Thiergedicht anwehe."
⁵⁶
An die Denkmäler germanischer Naturdichtung hätte man vormals geneigt sein können Reste celtisch-irischer Dichtung anzuschließen, die ein halbes Jahrhundert lang unter dem Namen Ossians wie Nebelgestalten von Volk zu Volk gewandelt sind; aber der Zauber ist verschwunden, seitdem des talentvollen Macpherson's litterarisches Benehmen durch die Herausgabe des von ihm geschmiedeten galischen Urtextes (einer Rückübertragung des englischen Werkes) vollkommen aufgedeckt worden ist. Es giebt alt-irische Fingal-Lieder unter dem Namen der Finnianischen aufgezeichnet aus christlicher Zeit, vielleicht nicht einmal bis zu der des achten Jahrhunderts hinaufreichend; aber diese Volksgesänge enthalten wenig von den sentimentalen Naturschilderungen, welche den Macpherson'schen Gedichten einen besonderen Reiz geben.
⁵⁷
Wir haben schon oben bemerkt, daß, wenn sentimentalromantische Anregungen der Gefühle dem indogermanischen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen
(2013-04-18T11:04:31Z)
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |