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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

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1823 p. 40-43 und p. 502 zwischen zwei gemähnten Hirschen Asiens, die er Cervus hippelaphus und Cervus Aristotelis nennt. Anfangs hielt er den ersteren, von welchem er ein lebendiges Exemplar in London gesehen und von welchem Diard ihm Felle und Geweihe aus Sumatra geschickt hatte, für den hippelaphos des Aristoteles aus Arachosien (Hist. de Animal. II, 2 § 3 und 4, T. I. pag. 43-44 Schneider); später schien ihm ein von Duvaucel aus Bengalen gesandter Hirschkopf, der Zeichnung des ganzen großen Thieres nach, noch mehr mit der Beschreibung des Stagiriten vom Hippelaphus übereinzustimmen. Letzterer, einheimisch in dem bengalischen Gebirge Sylhet, in Nepaul und östlich vom Indus, erhielt nun den Namen Cervus Aristotelis. Wenn in demselben Capitel, in welchem Aristoteles von gemähnten Thieren im allgemeinen redet, neben dem Pferd-Hirsch (Equicervus) auch der indische Guepard oder Jagdtiger (Felis jubata) bezeichnet sein soll, so ist, wie Schneider (T. III. p. 66) will, die Lesart pardion der to ippardion vorzuziehen. Die letztere Lesart würde am besten, wie auch Pallas (Spicileg. zool. fasc. I. p. 4) meint, auf die Giraffe zu deuten sein. -- Hätte Aristoteles den Guepard selbst gesehen und nicht bloß beschreiben hören, wie würde er die nicht retractilen Klauen in einem katzenartigen Thiere unerwähnt gelassen haben! Eben so ist es auffallend, daß der immer so genaue Aristoteles, wenn er wirklich (wie August Wilhelm von Schlegel behauptet) "nahe bei seiner Wohnung zu Athen eine Menagerie gehabt und einen von den bei Arbela erbeuteten Elephanten selbst zergliedert" hätte, die kleine Oeffnung neben den Schläfen, in welcher besonders zur Brunstzeit des Elephanten eine starkriechende Flüssigkeit abgesondert wird und auf welche die indischen Dichter so oft anspielen, nicht beschrieben habe (Schlegel's Indische Bibliothek Bd. I. S. 163-166). Ich erinnere an diesen kleinlich scheinenden Umstand hier besonders deshalb, weil uns die eben genannte Drüsenöffnung zunächst aus Berichten des Megasthenes (Strabo lib. XV pag. 704 und 705 Casaub.) bekannt war, und doch gewiß Niemand darum diesem eine anatomische Kenntniß zuschreiben wird. Ich finde in den verschiedenen zoologischen Werken des Aristoteles, welche auf uns gekommen sind, nichts, was auf Selbstbeobachtung an Elephanten oder gar auf Zergliederuug derselben zu schließen nöthigte. Indeß ist die Möglichkeit, daß die
1823 p. 40–43 und p. 502 zwischen zwei gemähnten Hirschen Asiens, die er Cervus hippelaphus und Cervus Aristotelis nennt. Anfangs hielt er den ersteren, von welchem er ein lebendiges Exemplar in London gesehen und von welchem Diard ihm Felle und Geweihe aus Sumatra geschickt hatte, für den hippelaphos des Aristoteles aus Arachosien (Hist. de Animal. II, 2 § 3 und 4, T. I. pag. 43–44 Schneider); später schien ihm ein von Duvaucel aus Bengalen gesandter Hirschkopf, der Zeichnung des ganzen großen Thieres nach, noch mehr mit der Beschreibung des Stagiriten vom Hippelaphus übereinzustimmen. Letzterer, einheimisch in dem bengalischen Gebirge Sylhet, in Nepaul und östlich vom Indus, erhielt nun den Namen Cervus Aristotelis. Wenn in demselben Capitel, in welchem Aristoteles von gemähnten Thieren im allgemeinen redet, neben dem Pferd-Hirsch (Equicervus) auch der indische Guepard oder Jagdtiger (Felis jubata) bezeichnet sein soll, so ist, wie Schneider (T. III. p. 66) will, die Lesart πάρδιον der τὸ ἱππάρδιον vorzuziehen. Die letztere Lesart würde am besten, wie auch Pallas (Spicileg. zool. fasc. I. p. 4) meint, auf die Giraffe zu deuten sein. — Hätte Aristoteles den Guepard selbst gesehen und nicht bloß beschreiben hören, wie würde er die nicht retractilen Klauen in einem katzenartigen Thiere unerwähnt gelassen haben! Eben so ist es auffallend, daß der immer so genaue Aristoteles, wenn er wirklich (wie August Wilhelm von Schlegel behauptet) „nahe bei seiner Wohnung zu Athen eine Menagerie gehabt und einen von den bei Arbela erbeuteten Elephanten selbst zergliedert" hätte, die kleine Oeffnung neben den Schläfen, in welcher besonders zur Brunstzeit des Elephanten eine starkriechende Flüssigkeit abgesondert wird und auf welche die indischen Dichter so oft anspielen, nicht beschrieben habe (Schlegel's Indische Bibliothek Bd. I. S. 163–166). Ich erinnere an diesen kleinlich scheinenden Umstand hier besonders deshalb, weil uns die eben genannte Drüsenöffnung zunächst aus Berichten des Megasthenes (Strabo lib. XV pag. 704 und 705 Casaub.) bekannt war, und doch gewiß Niemand darum diesem eine anatomische Kenntniß zuschreiben wird. Ich finde in den verschiedenen zoologischen Werken des Aristoteles, welche auf uns gekommen sind, nichts, was auf Selbstbeobachtung an Elephanten oder gar auf Zergliederuug derselben zu schließen nöthigte. Indeß ist die Möglichkeit, daß die
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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/433>, abgerufen am 22.11.2024.