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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

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sollte, welche Theile des Neuen Continents von Columbus zuerst berührt worden wären. Die elendesten Gerüchte fanden Gehör und dienten dem Fiscal zur Anklage. Man suchte Zeugen in Santo Domingo und allen spanischen Häfen, in Moguer, Palos und Sevilla, gleichsam unter den Augen von Amerigo Vespucci und seines Neffen Juan. Der Mundus Novus, gedruckt bei Johann Otmar zu Augsburg 1504, die Raccolta di Vicenza (Mondo Novo e paesi novamente retrovati da Alberico Vespuzio Fiorentino) von Alessandro Zorzi 1507, gewöhnlich dem Fracanzio di Montalboddo zugeschrieben, die Quatuor Navigationes von Martin Waldseemüller (Hylacomylus) waren schon erschienen; seit 1520 gab es Weltkarten, auf denen der Name America, welchen Hylacomylus 1507 vorgeschlagen und Joachim Vadianus 1512 in einem Briefe aus Wien an Rudolph Agricola belobt hatte, eingeschrieben war: und doch wurde der Mann, welchem in Deutschland, in Frankreich und Italien weit verbreitete Schriften eine Reise nach der Tierra firme von Paria im Jahre 1497 zuschrieben, von dem Fiscal in dem bereits 1508 begonnenen und 19 Jahre lang fortgeführten Processe weder persönlich citirt, noch als Vorgänger und Widersacher des Columbus genannt? Warum würde nicht nach dem Tode des Amerigo Vespucci (22 Febr. 1512 in Sevilla) sein Neffe Juan Vespucci, wie es mit Martin Alonso und Vicente Yannez Pinzon, mit Juan de la Cosa und Alonso de Hojeda geschah, berufen worden sein, um zu bezeugen, daß die Küste von Paria, die nicht als "festes Land von Asien", sondern wegen der nahen und einträglichen Perlenfischerei einen so großen Werth hatte, bereits vor Columbus, d. h. vor dem 1 August 1498, von Amerigo berührt worden sei? Diese Nichtbenutzung des wichtigsten Zeugnisses bleibt unerklärbar, wenn Amerigo Vespucci sich je gerühmt hätte eine Entdeckungsreise 1497 gemacht zu haben, wenn man damals auf die verworrenen Zeitangaben und Druckfehler der Quatuor Navigationes irgend einen ernsten Werth gelegt hätte. Das große noch ungedruckte Werk eines Freundes des Columbus, Fray Bartholome de las Casas (die Historia general de las Indias), ist, wie wir sehr bestimmt wissen, in den einzelnen Theilen zu sehr verschiedenen Epochen geschrieben. Es wurde erst 15 Jahre nach dem Tode des Amerigo, 1527, begonnen und 1559 vollendet, sieben Jahre vor dem, im 92ten Lebensjahr erfolgten Tode des greisen
sollte, welche Theile des Neuen Continents von Columbus zuerst berührt worden wären. Die elendesten Gerüchte fanden Gehör und dienten dem Fiscal zur Anklage. Man suchte Zeugen in Santo Domingo und allen spanischen Häfen, in Moguer, Palos und Sevilla, gleichsam unter den Augen von Amerigo Vespucci und seines Neffen Juan. Der Mundus Novus, gedruckt bei Johann Otmar zu Augsburg 1504, die Raccolta di Vicenza (Mondo Novo e paesi novamente retrovati da Alberico Vespuzio Fiorentino) von Alessandro Zorzi 1507, gewöhnlich dem Fracanzio di Montalboddo zugeschrieben, die Quatuor Navigationes von Martin Waldseemüller (Hylacomylus) waren schon erschienen; seit 1520 gab es Weltkarten, auf denen der Name America, welchen Hylacomylus 1507 vorgeschlagen und Joachim Vadianus 1512 in einem Briefe aus Wien an Rudolph Agricola belobt hatte, eingeschrieben war: und doch wurde der Mann, welchem in Deutschland, in Frankreich und Italien weit verbreitete Schriften eine Reise nach der Tierra firme von Paria im Jahre 1497 zuschrieben, von dem Fiscal in dem bereits 1508 begonnenen und 19 Jahre lang fortgeführten Processe weder persönlich citirt, noch als Vorgänger und Widersacher des Columbus genannt? Warum würde nicht nach dem Tode des Amerigo Vespucci (22 Febr. 1512 in Sevilla) sein Neffe Juan Vespucci, wie es mit Martin Alonso und Vicente Yañez Pinzon, mit Juan de la Cosa und Alonso de Hojeda geschah, berufen worden sein, um zu bezeugen, daß die Küste von Paria, die nicht als „festes Land von Asien", sondern wegen der nahen und einträglichen Perlenfischerei einen so großen Werth hatte, bereits vor Columbus, d. h. vor dem 1 August 1498, von Amerigo berührt worden sei? Diese Nichtbenutzung des wichtigsten Zeugnisses bleibt unerklärbar, wenn Amerigo Vespucci sich je gerühmt hätte eine Entdeckungsreise 1497 gemacht zu haben, wenn man damals auf die verworrenen Zeitangaben und Druckfehler der Quatuor Navigationes irgend einen ernsten Werth gelegt hätte. Das große noch ungedruckte Werk eines Freundes des Columbus, Fray Bartholomé de las Casas (die Historia general de las Indias), ist, wie wir sehr bestimmt wissen, in den einzelnen Theilen zu sehr verschiedenen Epochen geschrieben. Es wurde erst 15 Jahre nach dem Tode des Amerigo, 1527, begonnen und 1559 vollendet, sieben Jahre vor dem, im 92ten Lebensjahr erfolgten Tode des greisen
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[493/0498] ¹⁷ sollte, welche Theile des Neuen Continents von Columbus zuerst berührt worden wären. Die elendesten Gerüchte fanden Gehör und dienten dem Fiscal zur Anklage. Man suchte Zeugen in Santo Domingo und allen spanischen Häfen, in Moguer, Palos und Sevilla, gleichsam unter den Augen von Amerigo Vespucci und seines Neffen Juan. Der Mundus Novus, gedruckt bei Johann Otmar zu Augsburg 1504, die Raccolta di Vicenza (Mondo Novo e paesi novamente retrovati da Alberico Vespuzio Fiorentino) von Alessandro Zorzi 1507, gewöhnlich dem Fracanzio di Montalboddo zugeschrieben, die Quatuor Navigationes von Martin Waldseemüller (Hylacomylus) waren schon erschienen; seit 1520 gab es Weltkarten, auf denen der Name America, welchen Hylacomylus 1507 vorgeschlagen und Joachim Vadianus 1512 in einem Briefe aus Wien an Rudolph Agricola belobt hatte, eingeschrieben war: und doch wurde der Mann, welchem in Deutschland, in Frankreich und Italien weit verbreitete Schriften eine Reise nach der Tierra firme von Paria im Jahre 1497 zuschrieben, von dem Fiscal in dem bereits 1508 begonnenen und 19 Jahre lang fortgeführten Processe weder persönlich citirt, noch als Vorgänger und Widersacher des Columbus genannt? Warum würde nicht nach dem Tode des Amerigo Vespucci (22 Febr. 1512 in Sevilla) sein Neffe Juan Vespucci, wie es mit Martin Alonso und Vicente Yañez Pinzon, mit Juan de la Cosa und Alonso de Hojeda geschah, berufen worden sein, um zu bezeugen, daß die Küste von Paria, die nicht als „festes Land von Asien", sondern wegen der nahen und einträglichen Perlenfischerei einen so großen Werth hatte, bereits vor Columbus, d. h. vor dem 1 August 1498, von Amerigo berührt worden sei? Diese Nichtbenutzung des wichtigsten Zeugnisses bleibt unerklärbar, wenn Amerigo Vespucci sich je gerühmt hätte eine Entdeckungsreise 1497 gemacht zu haben, wenn man damals auf die verworrenen Zeitangaben und Druckfehler der Quatuor Navigationes irgend einen ernsten Werth gelegt hätte. Das große noch ungedruckte Werk eines Freundes des Columbus, Fray Bartholomé de las Casas (die Historia general de las Indias), ist, wie wir sehr bestimmt wissen, in den einzelnen Theilen zu sehr verschiedenen Epochen geschrieben. Es wurde erst 15 Jahre nach dem Tode des Amerigo, 1527, begonnen und 1559 vollendet, sieben Jahre vor dem, im 92ten Lebensjahr erfolgten Tode des greisen

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/498>, abgerufen am 22.11.2024.