Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 3. Stuttgart u. a., 1850.ununterbrochen scheinbar im Aequator bewegen würde. Die Bewohner des Pols würden nie aufhören sie am Horizonte zu sehen. "Die mittlere Jahres-Temperatur eines jeden Punktes der Erdoberfläche würde auch die eines jeden einzelnen Tages sein."36 Man hat diesen Zustand den eines ewigen Frühlings genannt, doch wohl nur wegen der allgemein gleichen Länge der Tage und Nächte. Ein großer Theil der Gegenden, welche wir jetzt die gemäßigte Zone nennen, würden, da der Pflanzenwuchs jeder anregenden Sonnenwärme entbehren müßte, in das fast immer gleiche, eben nicht erfreuliche Frühlings-Klima versetzt sein, von welchem ich unter dem Aequator in der Andeskette, der ewigen Schneegrenze nahe, auf den öden Bergebenen (Paramos37) zwischen 10000 und 12000 Fuß, viel gelitten. Die Tages-Temperatur der Luft oscillirt dort immerdar zwischen 4° 1/2 und 9° Reaumur. Das griechische Alterthum ist viel mit der Schiefe der Ekliptik beschäftigt gewesen, mit rohen Messungen, mit Muthmaßungen über ihre Veränderlichkeit, und dem Einfluß der Neigung der Erdachse auf Klimate und Ueppigkeit der organischen Entwickelung. Diese Speculationen gehörten vorzüglich dem Anaxagoras, der pythagorischen Schule und dem Oenopides von Chios an. Die Stellen, die uns darüber aufklären sollen, sind dürftig und unbestimmt; doch geben sie zu erkennen, daß man sich die Entwickelung des organischen Lebens und die Entstehung der Thiere als gleichzeitig mit der Epoche dachte, in welcher die Erdachse sich zu neigen anfing: was auch die Bewohnbarkeit des Planeten in einzelnen Zonen veränderte. Nach Plutarch de plac. philos. II, 8 glaubte Anaxagoras: "daß die Welt, nachdem sie entstanden und lebende Wesen aus ihrem Schooße hervorgebracht, sich von selbst ununterbrochen scheinbar im Aequator bewegen würde. Die Bewohner des Pols würden nie aufhören sie am Horizonte zu sehen. „Die mittlere Jahres-Temperatur eines jeden Punktes der Erdoberfläche würde auch die eines jeden einzelnen Tages sein.“36 Man hat diesen Zustand den eines ewigen Frühlings genannt, doch wohl nur wegen der allgemein gleichen Länge der Tage und Nächte. Ein großer Theil der Gegenden, welche wir jetzt die gemäßigte Zone nennen, würden, da der Pflanzenwuchs jeder anregenden Sonnenwärme entbehren müßte, in das fast immer gleiche, eben nicht erfreuliche Frühlings-Klima versetzt sein, von welchem ich unter dem Aequator in der Andeskette, der ewigen Schneegrenze nahe, auf den öden Bergebenen (Paramos37) zwischen 10000 und 12000 Fuß, viel gelitten. Die Tages-Temperatur der Luft oscillirt dort immerdar zwischen 4° ½ und 9° Réaumur. Das griechische Alterthum ist viel mit der Schiefe der Ekliptik beschäftigt gewesen, mit rohen Messungen, mit Muthmaßungen über ihre Veränderlichkeit, und dem Einfluß der Neigung der Erdachse auf Klimate und Ueppigkeit der organischen Entwickelung. Diese Speculationen gehörten vorzüglich dem Anaxagoras, der pythagorischen Schule und dem Oenopides von Chios an. Die Stellen, die uns darüber aufklären sollen, sind dürftig und unbestimmt; doch geben sie zu erkennen, daß man sich die Entwickelung des organischen Lebens und die Entstehung der Thiere als gleichzeitig mit der Epoche dachte, in welcher die Erdachse sich zu neigen anfing: was auch die Bewohnbarkeit des Planeten in einzelnen Zonen veränderte. Nach Plutarch de plac. philos. 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Die Stellen, die uns darüber aufklären sollen, sind dürftig und unbestimmt; doch geben sie zu erkennen, daß man sich die Entwickelung des organischen Lebens und die Entstehung der Thiere als gleichzeitig mit der Epoche dachte, in welcher die Erdachse sich zu neigen anfing: was auch die Bewohnbarkeit des Planeten in einzelnen Zonen veränderte. Nach Plutarch <hi rendition="#g">de plac. philos.</hi> II, 8 glaubte Anaxagoras: „daß die Welt, nachdem sie entstanden und lebende Wesen aus ihrem Schooße hervorgebracht, sich von selbst </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [451/0456]
ununterbrochen scheinbar im Aequator bewegen würde. Die Bewohner des Pols würden nie aufhören sie am Horizonte zu sehen. „Die mittlere Jahres-Temperatur eines jeden Punktes der Erdoberfläche würde auch die eines jeden einzelnen Tages sein.“
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Man hat diesen Zustand den eines ewigen Frühlings genannt, doch wohl nur wegen der allgemein gleichen Länge der Tage und Nächte. Ein großer Theil der Gegenden, welche wir jetzt die gemäßigte Zone nennen, würden, da der Pflanzenwuchs jeder anregenden Sonnenwärme entbehren müßte, in das fast immer gleiche, eben nicht erfreuliche Frühlings-Klima versetzt sein, von welchem ich unter dem Aequator in der Andeskette, der ewigen Schneegrenze nahe, auf den öden Bergebenen (Paramos
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) zwischen 10000 und 12000 Fuß, viel gelitten. Die Tages-Temperatur der Luft oscillirt dort immerdar zwischen 4° ½ und 9° Réaumur.
Das griechische Alterthum ist viel mit der Schiefe der Ekliptik beschäftigt gewesen, mit rohen Messungen, mit Muthmaßungen über ihre Veränderlichkeit, und dem Einfluß der Neigung der Erdachse auf Klimate und Ueppigkeit der organischen Entwickelung. Diese Speculationen gehörten vorzüglich dem Anaxagoras, der pythagorischen Schule und dem Oenopides von Chios an. Die Stellen, die uns darüber aufklären sollen, sind dürftig und unbestimmt; doch geben sie zu erkennen, daß man sich die Entwickelung des organischen Lebens und die Entstehung der Thiere als gleichzeitig mit der Epoche dachte, in welcher die Erdachse sich zu neigen anfing: was auch die Bewohnbarkeit des Planeten in einzelnen Zonen veränderte. Nach Plutarch de plac. philos. II, 8 glaubte Anaxagoras: „daß die Welt, nachdem sie entstanden und lebende Wesen aus ihrem Schooße hervorgebracht, sich von selbst
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