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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 3. Stuttgart u. a., 1850.

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Arkadien wird von Athen übertroffen. Ganz übereinstimmend hiermit drückt sich der, ältere Muster nachahmende Apollonius Rhodius IV, 261 aus, wo er sagt, Aegypten sei vor allen anderen Ländern bewohnt gewesen: "noch nicht kreisten am Himmel die Gestirne alle; noch waren die Danaer nicht da, nicht das Deucalionische Geschlecht; vorhanden waren nur die Arkader: die, von denen es heißt, daß sie vor dem Monde lebten, Eicheln essend auf den Bergen." Eben so sagt Nonnus XLI von dem syrischen Beroe, es sei vor der Sonne bewohnt gewesen." "Eine solche Gewohnheit, aus Momenten der Welt-Construction Zeitbestimmungen zu entnehmen, ist ein Kind der Anschauungs-Periode, in welcher alle Gebilde noch mehr Lebendigkeit haben, und gehört zunächst der genealogischen Local-Poesie an. So ist es selbst nicht unwahrscheinlich, daß die durch einen arkadischen Dichter besungene Sage von dem Gigantenkampf in Arkadien, auf welche sich die oben angeführten Worte des alten Theodorus beziehen (den Einige für einen Samothracier halten und dessen Werk sehr umfangreich gewesen sein muß), Veranlassung zur Verbreitung des Epithetons proselenoi für die Arkader gegeben habe." Ueber den Doppelnamen: "Arkades Pelasgoi" und den Gegensatz einer älteren und jüngeren Bevölkerung Arkadiens vergl. die vortreffliche Schrift: "der Peloponnesos" von Ernst Curtius 1851 S. 160 und 180. Auch im Neuen Continent finden wir, wie ich an einem anderen Orte gezeigt (s. meine Kleinen Schriften Bd. I. S. 115), auf der Hochebene von Bogota den Völkerstamm der Muyscas oder Mozcas, welcher in seinen historischen Mythen sich eines proselenischen Alters rühmte. Die Entstehung des Mondes hängt mit der Sage von einer großen Fluth zusammen, welche ein Weib, das den Wundermann Botschika begleitete, durch ihre Zauberkünste veranlaßt hatte. Botschika verjagte das Weib (Huythaca oder Schia genannt). Sie verließ die Erde und wurde der Mond, "welcher bis dahin den Muyscas noch nie geleuchtet hatte". Botschika, des Menschengeschlechts sich erbarmend, öffnete mit starker Hand eine steile Felswand bei Canoas, wo der Rio de Funzha sich jetzt im berufenen Wasserfall des Tequendama herabstürzt. Das mit Wasser gefüllte Thalbecken wurde dadurch trocken gelegt -- ein geognostischer Roman, der sich oft wiederholt: z. B. im geschlossenen Alpenthal von Kaschmir, wo der mächtige Entwässerer Kasyapa heißt.
Arkadien wird von Athen übertroffen. Ganz übereinstimmend hiermit drückt sich der, ältere Muster nachahmende Apollonius Rhodius IV, 261 aus, wo er sagt, Aegypten sei vor allen anderen Ländern bewohnt gewesen: „noch nicht kreisten am Himmel die Gestirne alle; noch waren die Danaer nicht da, nicht das Deucalionische Geschlecht; vorhanden waren nur die Arkader: die, von denen es heißt, daß sie vor dem Monde lebten, Eicheln essend auf den Bergen.“ Eben so sagt Nonnus XLI von dem syrischen Beroë, es sei vor der Sonne bewohnt gewesen.“ „Eine solche Gewohnheit, aus Momenten der Welt-Construction Zeitbestimmungen zu entnehmen, ist ein Kind der Anschauungs-Periode, in welcher alle Gebilde noch mehr Lebendigkeit haben, und gehört zunächst der genealogischen Local-Poesie an. So ist es selbst nicht unwahrscheinlich, daß die durch einen arkadischen Dichter besungene Sage von dem Gigantenkampf in Arkadien, auf welche sich die oben angeführten Worte des alten Theodorus beziehen (den Einige für einen Samothracier halten und dessen Werk sehr umfangreich gewesen sein muß), Veranlassung zur Verbreitung des Epithetons προσέληνοι für die Arkader gegeben habe.“ Ueber den Doppelnamen: »Arkades Pelasgoi« und den Gegensatz einer älteren und jüngeren Bevölkerung Arkadiens vergl. die vortreffliche Schrift: „der Peloponnesos“ von Ernst Curtius 1851 S. 160 und 180. Auch im Neuen Continent finden wir, wie ich an einem anderen Orte gezeigt (s. meine Kleinen Schriften Bd. I. S. 115), auf der Hochebene von Bogota den Völkerstamm der Muyscas oder Mozcas, welcher in seinen historischen Mythen sich eines proselenischen Alters rühmte. Die Entstehung des Mondes hängt mit der Sage von einer großen Fluth zusammen, welche ein Weib, das den Wundermann Botschika begleitete, durch ihre Zauberkünste veranlaßt hatte. Botschika verjagte das Weib (Huythaca oder Schia genannt). Sie verließ die Erde und wurde der Mond, „welcher bis dahin den Muyscas noch nie geleuchtet hatte“. Botschika, des Menschengeschlechts sich erbarmend, öffnete mit starker Hand eine steile Felswand bei Canoas, wo der Rio de Funzha sich jetzt im berufenen Wasserfall des Tequendama herabstürzt. Das mit Wasser gefüllte Thalbecken wurde dadurch trocken gelegt — ein geognostischer Roman, der sich oft wiederholt: z. B. im geschlossenen Alpenthal von Kaschmir, wo der mächtige Entwässerer Kasyapa heißt.
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[482/0487] ³⁰ Arkadien wird von Athen übertroffen. Ganz übereinstimmend hiermit drückt sich der, ältere Muster nachahmende Apollonius Rhodius IV, 261 aus, wo er sagt, Aegypten sei vor allen anderen Ländern bewohnt gewesen: „noch nicht kreisten am Himmel die Gestirne alle; noch waren die Danaer nicht da, nicht das Deucalionische Geschlecht; vorhanden waren nur die Arkader: die, von denen es heißt, daß sie vor dem Monde lebten, Eicheln essend auf den Bergen.“ Eben so sagt Nonnus XLI von dem syrischen Beroë, es sei vor der Sonne bewohnt gewesen.“ „Eine solche Gewohnheit, aus Momenten der Welt-Construction Zeitbestimmungen zu entnehmen, ist ein Kind der Anschauungs-Periode, in welcher alle Gebilde noch mehr Lebendigkeit haben, und gehört zunächst der genealogischen Local-Poesie an. So ist es selbst nicht unwahrscheinlich, daß die durch einen arkadischen Dichter besungene Sage von dem Gigantenkampf in Arkadien, auf welche sich die oben angeführten Worte des alten Theodorus beziehen (den Einige für einen Samothracier halten und dessen Werk sehr umfangreich gewesen sein muß), Veranlassung zur Verbreitung des Epithetons προσέληνοι für die Arkader gegeben habe.“ Ueber den Doppelnamen: »Arkades Pelasgoi« und den Gegensatz einer älteren und jüngeren Bevölkerung Arkadiens vergl. die vortreffliche Schrift: „der Peloponnesos“ von Ernst Curtius 1851 S. 160 und 180. Auch im Neuen Continent finden wir, wie ich an einem anderen Orte gezeigt (s. meine Kleinen Schriften Bd. I. S. 115), auf der Hochebene von Bogota den Völkerstamm der Muyscas oder Mozcas, welcher in seinen historischen Mythen sich eines proselenischen Alters rühmte. Die Entstehung des Mondes hängt mit der Sage von einer großen Fluth zusammen, welche ein Weib, das den Wundermann Botschika begleitete, durch ihre Zauberkünste veranlaßt hatte. Botschika verjagte das Weib (Huythaca oder Schia genannt). Sie verließ die Erde und wurde der Mond, „welcher bis dahin den Muyscas noch nie geleuchtet hatte“. Botschika, des Menschengeschlechts sich erbarmend, öffnete mit starker Hand eine steile Felswand bei Canoas, wo der Rio de Funzha sich jetzt im berufenen Wasserfall des Tequendama herabstürzt. Das mit Wasser gefüllte Thalbecken wurde dadurch trocken gelegt — ein geognostischer Roman, der sich oft wiederholt: z. B. im geschlossenen Alpenthal von Kaschmir, wo der mächtige Entwässerer Kasyapa heißt.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 3. Stuttgart u. a., 1850, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos03_1850/487>, abgerufen am 23.11.2024.