Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 3. Stuttgart u. a., 1850.Da in der Geschichte der Entdeckung des Neptun oft von einem Antheil geredet worden ist, welchen der große Königsberger Astronom früh an der, schon von Alexis Bouvard (dem Verfasser der Uranustafeln) im Jahr 1834 geäußerten Hoffnung "von der Störung des Uranus durch einen uns noch unbekannten Planeten" genommen habe; so ist es vielleicht vielen Lesern des Kosmos angenehm, wenn ich hier einen Theil des Briefes veröffentliche, welchen Bessel mir unter dem 8 Mai 1840 (also zwei Jahre vor seinem Gespräche mit Sir John Herschel bei dem Besuche zu Collingwood) geschrieben hat: "Sie verlangen Nachricht von dem Planeten jenseits des Uranus. Ich könnte wohl auf Freunde in Königsberg verweisen, die aus Mißverständniß mehr davon zu wissen glauben als ich selbst. Ich hatte die Entwickelung des Zusammenhanges zwischen den astronomischen Beobachtungen und der Astronomie zum Gegenstande einer (am 28 Febr. 1840 gehaltenen) öffentlichen Vorlesung gewählt. Das Publikum weiß keinen Unterschied zwischen beiden; seine Ansicht war also zu berichtigen. Die Nachweisung der Entwickelung der astronomischen Kenntnisse aus den Beobachtungen führte natürlich auf die Bemerkung: daß wir noch keinesweges behaupten können, unsere Theorie erkläre alle Bewegungen der Planeten. Die Beweise davon gab der Uranus, dessen alte Beobachtungen gar nicht in Elemente passen, welche sich an die späteren von 1783 bis 1820 anschließen. Ich glaube Ihnen schon einmal gesagt zu haben, daß ich viel hierüber gearbeitet habe; allein dadurch nicht weiter gekommen bin als zu der Sicherheit, daß die vorhandene Theorie, oder vielmehr ihre Anwendung auf das in unserer Kenntniß vorhandene Sonnensystem, nicht hinreicht das Räthsel des Uranus zu lösen. Indessen darf man es deshalb, meiner Meinung nach, nicht als unauflösbar betrachten. Zuerst müssen wir genau und vollständig wissen, was von dem Uranus beobachtet ist. Ich habe durch einen meiner jungen Zuhörer, Flemming, alle Beobachtungen reduciren und vergleichen lassen, und damit liegen mir nun die vorhandenen Thatsachen vollständig vor. So wie die alten Beobachtungen nicht in die Theorie passen, so passen die neueren noch weniger hinein; denn jetzt ist der Fehler schon wieder eine ganze Minute, und wächst jährlich um 7" bis 8", so daß er bald viel größer sein wird. Ich meinte daher, daß eine Zeit kommen werde, Da in der Geschichte der Entdeckung des Neptun oft von einem Antheil geredet worden ist, welchen der große Königsberger Astronom früh an der, schon von Alexis Bouvard (dem Verfasser der Uranustafeln) im Jahr 1834 geäußerten Hoffnung „von der Störung des Uranus durch einen uns noch unbekannten Planeten“ genommen habe; so ist es vielleicht vielen Lesern des Kosmos angenehm, wenn ich hier einen Theil des Briefes veröffentliche, welchen Bessel mir unter dem 8 Mai 1840 (also zwei Jahre vor seinem Gespräche mit Sir John Herschel bei dem Besuche zu Collingwood) geschrieben hat: „Sie verlangen Nachricht von dem Planeten jenseits des Uranus. Ich könnte wohl auf Freunde in Königsberg verweisen, die aus Mißverständniß mehr davon zu wissen glauben als ich selbst. Ich hatte die Entwickelung des Zusammenhanges zwischen den astronomischen Beobachtungen und der Astronomie zum Gegenstande einer (am 28 Febr. 1840 gehaltenen) öffentlichen Vorlesung gewählt. Das Publikum weiß keinen Unterschied zwischen beiden; seine Ansicht war also zu berichtigen. Die Nachweisung der Entwickelung der astronomischen Kenntnisse aus den Beobachtungen führte natürlich auf die Bemerkung: daß wir noch keinesweges behaupten können, unsere Theorie erkläre alle Bewegungen der Planeten. Die Beweise davon gab der Uranus, dessen alte Beobachtungen gar nicht in Elemente passen, welche sich an die späteren von 1783 bis 1820 anschließen. Ich glaube Ihnen schon einmal gesagt zu haben, daß ich viel hierüber gearbeitet habe; allein dadurch nicht weiter gekommen bin als zu der Sicherheit, daß die vorhandene Theorie, oder vielmehr ihre Anwendung auf das in unserer Kenntniß vorhandene Sonnensystem, nicht hinreicht das Räthsel des Uranus zu lösen. Indessen darf man es deshalb, meiner Meinung nach, nicht als unauflösbar betrachten. Zuerst müssen wir genau und vollständig wissen, was von dem Uranus beobachtet ist. Ich habe durch einen meiner jungen Zuhörer, Flemming, alle Beobachtungen reduciren und vergleichen lassen, und damit liegen mir nun die vorhandenen Thatsachen vollständig vor. So wie die alten Beobachtungen nicht in die Theorie passen, so passen die neueren noch weniger hinein; denn jetzt ist der Fehler schon wieder eine ganze Minute, und wächst jährlich um 7″ bis 8″, so daß er bald viel größer sein wird. 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⁹⁶ Da in der Geschichte der Entdeckung des Neptun oft von einem Antheil geredet worden ist, welchen der große Königsberger Astronom früh an der, schon von Alexis Bouvard (dem Verfasser der Uranustafeln) im Jahr 1834 geäußerten Hoffnung „von der Störung des Uranus durch einen uns noch unbekannten Planeten“ genommen habe; so ist es vielleicht vielen Lesern des Kosmos angenehm, wenn ich hier einen Theil des Briefes veröffentliche, welchen Bessel mir unter dem 8 Mai 1840 (also zwei Jahre vor seinem Gespräche mit Sir John Herschel bei dem Besuche zu Collingwood) geschrieben hat: „Sie verlangen Nachricht von dem Planeten jenseits des Uranus. Ich könnte wohl auf Freunde in Königsberg verweisen, die aus Mißverständniß mehr davon zu wissen glauben als ich selbst. Ich hatte die Entwickelung des Zusammenhanges zwischen den astronomischen Beobachtungen und der Astronomie zum Gegenstande einer (am 28 Febr. 1840 gehaltenen) öffentlichen Vorlesung gewählt. Das Publikum weiß keinen Unterschied zwischen beiden; seine Ansicht war also zu berichtigen. Die Nachweisung der Entwickelung der astronomischen Kenntnisse aus den Beobachtungen führte natürlich auf die Bemerkung: daß wir noch keinesweges behaupten können, unsere Theorie erkläre alle Bewegungen der Planeten. Die Beweise davon gab der Uranus, dessen alte Beobachtungen gar nicht in Elemente passen, welche sich an die späteren von 1783 bis 1820 anschließen. Ich glaube Ihnen schon einmal gesagt zu haben, daß ich viel hierüber gearbeitet habe; allein dadurch nicht weiter gekommen bin als zu der Sicherheit, daß die vorhandene Theorie, oder vielmehr ihre Anwendung auf das in unserer Kenntniß vorhandene Sonnensystem, nicht hinreicht das Räthsel des Uranus zu lösen. Indessen darf man es deshalb, meiner Meinung nach, nicht als unauflösbar betrachten. Zuerst müssen wir genau und vollständig wissen, was von dem Uranus beobachtet ist. Ich habe durch einen meiner jungen Zuhörer, Flemming, alle Beobachtungen reduciren und vergleichen lassen, und damit liegen mir nun die vorhandenen Thatsachen vollständig vor. So wie die alten Beobachtungen nicht in die Theorie passen, so passen die neueren noch weniger hinein; denn jetzt ist der Fehler schon wieder eine ganze Minute, und wächst jährlich um 7″ bis 8″, so daß er bald viel größer sein wird. Ich meinte daher, daß eine Zeit kommen werde,
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