Humboldt, Alexander von: [Verteidigung des Prof. Karl Friedrich Neumann gegen einen ungerechten Angriff]. In: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung, Nr. 129 (1830), S. 976.[Spaltenumbruch]
Jn der Haude- und Spenerschen Zeitung vom 8. Mai Als ich von meiner Reise in dem südlichen Rußland und Jch kann, um der Rechtfertigung eines abwesenden Ge- A. v. Humboldt. [Spaltenumbruch]
Jn der Haude- und Spenerſchen Zeitung vom 8. Mai Als ich von meiner Reiſe in dem ſüdlichen Rußland und Jch kann, um der Rechtfertigung eines abweſenden Ge- A. v. Humboldt. <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0001" n="976"/> <cb/> <p>Jn der Haude- und Spenerſchen Zeitung vom 8. Mai<lb/> wird der Königl. Baierſche Profeſſor Neumann beſchuldigt: er<lb/> gebe vor, in den, ihm von mir mitgetheilten Pekinger Staats-<lb/> Zeitungen des Jahres 1823 eine Anekdote über die Chineſiſche<lb/> Cenſur geleſen zu haben, die in den <hi rendition="#aq">Mémoires concernant<lb/> la Chine</hi> vom Jahre 1791 abgedruckt iſt. Jch glaube, dem<lb/> Publikum zur Rechtfertigung eines abweſenden Gelehrten,<lb/> dem wir eine ſehr merkwürdige Abhandlung über den Arme-<lb/> niſchen Philoſophen David aus Herthen und die Armeni-<lb/> ſchen Ueberſetzungen des Ariſtoteles verdanken, folgende Er-<lb/> klärung ſchuldig zu ſeyn:</p><lb/> <p>Als ich von meiner Reiſe in dem ſüdlichen Rußland und<lb/> Sibirien im Anfange dieſes Jahres zurückkehrte, wünſchte<lb/> ich, die Armeniſchen, Chineſiſchen, Perſiſchen, Mongoliſchen<lb/> und Tübetaniſchen Schriften, die ich Gelegenheit gehabt<lb/> hatte, an den Gränzen der Dzungarei, in Aſtrachan, Sa-<lb/> repta und der Kalmücken-Steppe zu ſammeln, vorläufig un-<lb/> terſuchen zu laſſen. Von Mongoliſchen und Tübetaniſchen<lb/> Manuſkripten beſaß ich nur kleine Fragmente; die Perſiſchen,<lb/> Armeniſchen und Chineſiſchen ſchienen mehr Aufmerkſamkeit<lb/> zu verdienen. Jch bat daher den tiefen Kenner der Orien-<lb/> taliſchen Literatur, Herrn Ober-Bibliothekar Wilken, die<lb/> Perſiſchen; Herrn Profeſſor Neumann, der ſeine Armeni-<lb/> ſchen Studien in Venedig, ſeine Chineſiſchen in Paris ge-<lb/> macht hatte, die Armeniſchen und Chineſiſchen Werke zu un-<lb/> terſuchen. Der Baierſche Gelehrte konnte dieſer Arbeit nur<lb/> wenig Muße, vor ſeiner Abreiſe nach London und Canton,<lb/> ſchenken. Dieſer Mangel an Muße hat wahrſcheinlich zu<lb/> einigen Verwechſelungen Anlaß gegeben. Auch hat der Ver-<lb/> faſſer eines kritiſchen Aufſatzes (Spenerſche Zeitung Nr. 91)<lb/> mehrere Berichtigungen über den hiſtoriſchen Roman der<lb/><hi rendition="#g">drei Reiche</hi> geliefert. Man erkennt leicht in dieſer Kritik<lb/> einen berühmten und gründlichen Kenner der Chineſiſchen<lb/> Sprache und Aſiatiſchen Geſchichte. Herr Neumann, der<lb/> jetzt auf einer Seereiſe von England nach China begriffen<lb/> iſt, um mit ſeltener Aufopferung literariſche Zwecke zu er-<lb/> füllen, wird ſich jeder Belehrung erfreuen, wo er aus Ueber-<lb/> eilung geirrt hat. Der Vorwurf aber, als habe er vorgege-<lb/> ben, in den Chineſiſchen Zeitungen vom Februar und April<lb/> 1823 (ein Geſchenk des Baron Schilling von Canſtadt in<lb/> Petersburg) zu leſen, was im Jahr 1778 vorgefallen iſt,<lb/> muß Jedem ungerecht erſcheinen, der ſich die Mühe nimmt,<lb/> Herrn Profeſſor Neumann's Notiz (Staats-Zeitung Nr. 111)<lb/> ernſthaft zu prüfen. Es wird in dieſer Notiz zuerſt, aus der<lb/> Pekinger Zeitung vom 25. Februar, ein Vorfall erzählt, über<lb/> welchen der Hof mit dem <hi rendition="#g">Wald von Federn</hi>, das heißt,<lb/> mit der Akademie, Rückſprache genommen; dieſe Zeitung<lb/> nennt Herr Neumann „<hi rendition="#g">die erſte</hi>“ und fügt nun die Anek-<lb/> dote von der Strenge der Cenſur mit dem ausdrücklichen<lb/> Vorworte hinzu: „in einer <hi rendition="#g">früheren</hi> Zeitung kam folgen-<lb/> der Vorfall vor“. Nun ſind die von mir mitgebrachten Zei-<lb/> tungen (Staats-Zeitung Nr. 83, S. 616) vom 25ſten und<lb/> 26ſten Februar, vom 2ten, 5ten, 6ten und 11ten April 1823.<lb/> Wenn alſo Herr Neumann ſagt, er wolle etwas aus einer<lb/><hi rendition="#g">früheren</hi> Zeitung (früher als die <hi rendition="#g">erſte</hi> der ihm zum Durch-<lb/><cb/> ſehen mitgetheilten) anführen, ſo darf man ihn keinesweges<lb/> beſchuldigen, er habe vorgegeben, etwas in Zeitungen von<lb/> 1823 zu leſen, was dieſe nicht enthalten. Er tritt als Erzähler<lb/> auf, ohne zu ſagen, daß er ſelbſt das Erzählte aus einer Zeitung<lb/> geſchöpft habe.</p><lb/> <p> Jch kann, um der Rechtfertigung eines abweſenden Ge-<lb/> lehrten mehr Gewicht zu geben, noch folgendes Umſtandes<lb/> erwähnen. Herr Neumann hat mir, bei ſeiner Abreiſe, eine<lb/> Franzöſiſche Notiz über die Armeniſchen und Chineſiſchen<lb/> Schriften (die ich der Königl. Bibliothek zu Berlin verehrt<lb/> habe) für die <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Société Asiatique</hi></hi> anvertraut. Als ich zu-<lb/> fällig fragte, warum er die Anekdote von der Hinrichtung<lb/> des Redacteurs der Chineſiſchen Staats-Zeitung und der öf-<lb/> fentlichen Verſteigerung ſeiner Frauen, Konkubinen und Kin-<lb/> der, in der Franzöſiſchen Notiz (die noch vor mir liegt) weg-<lb/> gelaſſen, antwortete er, die Anekdote ſey alt und denen, welche<lb/> ſich mit der Chineſiſchen Literatur beſchäftigen, hinlänglich be-<lb/> kannt. So viel und ſchon zu viel über die Pekinger Staats-<lb/> Zeitung „aus der Regierungs-Periode <hi rendition="#g">des Lichts der Ver-<lb/> nunft</hi>“. Als Reiſender hielt ich es für meine Pflicht, einen<lb/> Reiſenden und Abweſenden, der mir mitten unter den Be-<lb/> drängniſſen einer Abreiſe nach China einen Theil ſeiner<lb/> Muße gewidmet hat, gegen einen ungerechten Angriff, wel-<lb/> cher etwas Wichtigeres im Menſchen, als Sprach-Erudition<lb/> berührt, öffentlich zu rechtfertigen.</p><lb/> <closer> <hi rendition="#et">A. v. Humboldt.</hi> </closer><lb/> </body> </text> </TEI> [976/0001]
Jn der Haude- und Spenerſchen Zeitung vom 8. Mai
wird der Königl. Baierſche Profeſſor Neumann beſchuldigt: er
gebe vor, in den, ihm von mir mitgetheilten Pekinger Staats-
Zeitungen des Jahres 1823 eine Anekdote über die Chineſiſche
Cenſur geleſen zu haben, die in den Mémoires concernant
la Chine vom Jahre 1791 abgedruckt iſt. Jch glaube, dem
Publikum zur Rechtfertigung eines abweſenden Gelehrten,
dem wir eine ſehr merkwürdige Abhandlung über den Arme-
niſchen Philoſophen David aus Herthen und die Armeni-
ſchen Ueberſetzungen des Ariſtoteles verdanken, folgende Er-
klärung ſchuldig zu ſeyn:
Als ich von meiner Reiſe in dem ſüdlichen Rußland und
Sibirien im Anfange dieſes Jahres zurückkehrte, wünſchte
ich, die Armeniſchen, Chineſiſchen, Perſiſchen, Mongoliſchen
und Tübetaniſchen Schriften, die ich Gelegenheit gehabt
hatte, an den Gränzen der Dzungarei, in Aſtrachan, Sa-
repta und der Kalmücken-Steppe zu ſammeln, vorläufig un-
terſuchen zu laſſen. Von Mongoliſchen und Tübetaniſchen
Manuſkripten beſaß ich nur kleine Fragmente; die Perſiſchen,
Armeniſchen und Chineſiſchen ſchienen mehr Aufmerkſamkeit
zu verdienen. Jch bat daher den tiefen Kenner der Orien-
taliſchen Literatur, Herrn Ober-Bibliothekar Wilken, die
Perſiſchen; Herrn Profeſſor Neumann, der ſeine Armeni-
ſchen Studien in Venedig, ſeine Chineſiſchen in Paris ge-
macht hatte, die Armeniſchen und Chineſiſchen Werke zu un-
terſuchen. Der Baierſche Gelehrte konnte dieſer Arbeit nur
wenig Muße, vor ſeiner Abreiſe nach London und Canton,
ſchenken. Dieſer Mangel an Muße hat wahrſcheinlich zu
einigen Verwechſelungen Anlaß gegeben. Auch hat der Ver-
faſſer eines kritiſchen Aufſatzes (Spenerſche Zeitung Nr. 91)
mehrere Berichtigungen über den hiſtoriſchen Roman der
drei Reiche geliefert. Man erkennt leicht in dieſer Kritik
einen berühmten und gründlichen Kenner der Chineſiſchen
Sprache und Aſiatiſchen Geſchichte. Herr Neumann, der
jetzt auf einer Seereiſe von England nach China begriffen
iſt, um mit ſeltener Aufopferung literariſche Zwecke zu er-
füllen, wird ſich jeder Belehrung erfreuen, wo er aus Ueber-
eilung geirrt hat. Der Vorwurf aber, als habe er vorgege-
ben, in den Chineſiſchen Zeitungen vom Februar und April
1823 (ein Geſchenk des Baron Schilling von Canſtadt in
Petersburg) zu leſen, was im Jahr 1778 vorgefallen iſt,
muß Jedem ungerecht erſcheinen, der ſich die Mühe nimmt,
Herrn Profeſſor Neumann's Notiz (Staats-Zeitung Nr. 111)
ernſthaft zu prüfen. Es wird in dieſer Notiz zuerſt, aus der
Pekinger Zeitung vom 25. Februar, ein Vorfall erzählt, über
welchen der Hof mit dem Wald von Federn, das heißt,
mit der Akademie, Rückſprache genommen; dieſe Zeitung
nennt Herr Neumann „die erſte“ und fügt nun die Anek-
dote von der Strenge der Cenſur mit dem ausdrücklichen
Vorworte hinzu: „in einer früheren Zeitung kam folgen-
der Vorfall vor“. Nun ſind die von mir mitgebrachten Zei-
tungen (Staats-Zeitung Nr. 83, S. 616) vom 25ſten und
26ſten Februar, vom 2ten, 5ten, 6ten und 11ten April 1823.
Wenn alſo Herr Neumann ſagt, er wolle etwas aus einer
früheren Zeitung (früher als die erſte der ihm zum Durch-
ſehen mitgetheilten) anführen, ſo darf man ihn keinesweges
beſchuldigen, er habe vorgegeben, etwas in Zeitungen von
1823 zu leſen, was dieſe nicht enthalten. Er tritt als Erzähler
auf, ohne zu ſagen, daß er ſelbſt das Erzählte aus einer Zeitung
geſchöpft habe.
Jch kann, um der Rechtfertigung eines abweſenden Ge-
lehrten mehr Gewicht zu geben, noch folgendes Umſtandes
erwähnen. Herr Neumann hat mir, bei ſeiner Abreiſe, eine
Franzöſiſche Notiz über die Armeniſchen und Chineſiſchen
Schriften (die ich der Königl. Bibliothek zu Berlin verehrt
habe) für die Société Asiatique anvertraut. Als ich zu-
fällig fragte, warum er die Anekdote von der Hinrichtung
des Redacteurs der Chineſiſchen Staats-Zeitung und der öf-
fentlichen Verſteigerung ſeiner Frauen, Konkubinen und Kin-
der, in der Franzöſiſchen Notiz (die noch vor mir liegt) weg-
gelaſſen, antwortete er, die Anekdote ſey alt und denen, welche
ſich mit der Chineſiſchen Literatur beſchäftigen, hinlänglich be-
kannt. So viel und ſchon zu viel über die Pekinger Staats-
Zeitung „aus der Regierungs-Periode des Lichts der Ver-
nunft“. Als Reiſender hielt ich es für meine Pflicht, einen
Reiſenden und Abweſenden, der mir mitten unter den Be-
drängniſſen einer Abreiſe nach China einen Theil ſeiner
Muße gewidmet hat, gegen einen ungerechten Angriff, wel-
cher etwas Wichtigeres im Menſchen, als Sprach-Erudition
berührt, öffentlich zu rechtfertigen.
A. v. Humboldt.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Weitere Informationen:Eine weitere Fassung dieses Textes finden Sie in der Ausgabe Sämtliche Schriften digital (2021 ff.) der Universität Bern.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |