Humboldt, Alexander von: Ueber einige wichtige Punkte der Geographie Guyanas. In: Annalen der Erd-, Völker- und Staatenkunde, 5 (1837/1838), S. 35-62.Über die Geographie von Guyana. auf einem ungeheüren Umwege von 750 Lieues, eine ununterbro-chene Schiffahrt von dem Mahu und den Quellen des Rio Branco bis zur Mündung des Caroni, möglich machen. Trageplätze, welche quer über die Schwellen oder Rücken einer Wasser- scheide (divortia aquarum) führen, periodische Überschwemmungen, welche in der Regenzeit die, verschiedenen hydraulischen Systemen angehörenden Zuflüsse vereinigen, haben die Jdee von mehreren Bifurkationen und Fluß-Verbindungen veranlaßt, die niemals exi- stirten oder wenigstens jetzt nicht mehr vorhanden sind. Alle Ab- dachungen haben die Tendenz, ihre Verzweigungen zu vermindern und ihre Becken zu isoliren. Was früher nur ein Arm war, wird der einzige Recipient; und bei Abdachungen, deren Wasser eine ge- ringe Geschwindigkeit hat, verschwinden die Bifurkationen oder Ver- zweigungen zwischen zwei hydraulischen Systemen auf dreierlei Weise: entweder leitet der verbindende Kanal den ganzen sich gabelnden Fluß (riviere bifurquee), der aus verschiedenen, mehr oder weniger parallelen Rinnen (sillons) besteht, in sein Becken hinüber; oder der Kanal verstopft sich durch Anschwemmun- gen da, wo er von dem Hauptstrom ausgeht; oder es bildet sich mitten in seinem Laufe (wie bei dem Arno Teverino im Chia- na-Thale) ein Theilungs-Punkt, wodurch in dem oberen Theile ein Gegenhang (contre-pente) entsteht, von dem die Gewässer in entgegengesetzter Richtung abfließen. Die Savannen und großen Ebenen Süd-Amerika's zeigen vornämlich diese Veränderungen oder das Säkular-Fortschreiten der Entwicklung der Flüsse im Jn- nern des Landes. Die eben angeführte Konfiguration des Bodens hat, indem sie *) Caribana wurde anfänglich eine Provinz genannt, die zwischen der
Mündung des Rio Sinu und der des Atrato lag (Gomara, Edit. von 1553. Fol. XXX.), weil dieser westliche Theil von Castilla de Über die Geographie von Guyana. auf einem ungeheuͤren Umwege von 750 Lieues, eine ununterbro-chene Schiffahrt von dem Mahu und den Quellen des Rio Branco bis zur Muͤndung des Caroni, moͤglich machen. Trageplaͤtze, welche quer uͤber die Schwellen oder Ruͤcken einer Waſſer- ſcheide (divortia aquarum) fuͤhren, periodiſche Überſchwemmungen, welche in der Regenzeit die, verſchiedenen hydrauliſchen Syſtemen angehoͤrenden Zufluͤſſe vereinigen, haben die Jdee von mehreren Bifurkationen und Fluß-Verbindungen veranlaßt, die niemals exi- ſtirten oder wenigſtens jetzt nicht mehr vorhanden ſind. Alle Ab- dachungen haben die Tendenz, ihre Verzweigungen zu vermindern und ihre Becken zu iſoliren. Was fruͤher nur ein Arm war, wird der einzige Recipient; und bei Abdachungen, deren Waſſer eine ge- ringe Geſchwindigkeit hat, verſchwinden die Bifurkationen oder Ver- zweigungen zwiſchen zwei hydrauliſchen Syſtemen auf dreierlei Weiſe: entweder leitet der verbindende Kanal den ganzen ſich gabelnden Fluß (rivière bifurquée), der aus verſchiedenen, mehr oder weniger parallelen Rinnen (sillons) beſteht, in ſein Becken hinuͤber; oder der Kanal verſtopft ſich durch Anſchwemmun- gen da, wo er von dem Hauptſtrom ausgeht; oder es bildet ſich mitten in ſeinem Laufe (wie bei dem Arno Teverino im Chia- na-Thale) ein Theilungs-Punkt, wodurch in dem oberen Theile ein Gegenhang (contre-pente) entſteht, von dem die Gewaͤſſer in entgegengeſetzter Richtung abfließen. Die Savannen und großen Ebenen Suͤd-Amerika's zeigen vornaͤmlich dieſe Veraͤnderungen oder das Saͤkular-Fortſchreiten der Entwicklung der Fluͤſſe im Jn- nern des Landes. Die eben angefuͤhrte Konfiguration des Bodens hat, indem ſie *) Caribana wurde anfaͤnglich eine Provinz genannt, die zwiſchen der
Muͤndung des Rio Sinu und der des Atrato lag (Gomara, Edit. von 1553. Fol. XXX.), weil dieſer weſtliche Theil von Caſtilla de <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0005" n="39"/><fw place="top" type="header">Über die Geographie von Guyana.</fw><lb/> auf einem ungeheuͤren Umwege von 750 Lieues, eine ununterbro-<lb/> chene Schiffahrt von dem Mahu und den Quellen des Rio Branco<lb/> bis zur Muͤndung des Caroni, moͤglich machen. <hi rendition="#g">Trageplaͤtze</hi>,<lb/> welche quer uͤber die <hi rendition="#g">Schwellen</hi> oder <hi rendition="#g">Ruͤcken</hi> einer Waſſer-<lb/> ſcheide (<hi rendition="#aq">divortia aquarum</hi>) fuͤhren, periodiſche Überſchwemmungen,<lb/> welche in der Regenzeit die, verſchiedenen hydrauliſchen Syſtemen<lb/> angehoͤrenden Zufluͤſſe vereinigen, haben die Jdee von mehreren<lb/> Bifurkationen und Fluß-Verbindungen veranlaßt, die niemals exi-<lb/> ſtirten oder wenigſtens jetzt nicht mehr vorhanden ſind. Alle Ab-<lb/> dachungen haben die Tendenz, ihre Verzweigungen zu vermindern<lb/> und ihre Becken zu iſoliren. Was fruͤher nur ein Arm war, wird<lb/> der einzige Recipient; und bei Abdachungen, deren Waſſer eine ge-<lb/> ringe Geſchwindigkeit hat, verſchwinden die Bifurkationen oder Ver-<lb/> zweigungen zwiſchen zwei hydrauliſchen Syſtemen auf dreierlei<lb/> Weiſe: entweder leitet der <hi rendition="#g">verbindende Kanal</hi> den ganzen<lb/><hi rendition="#g">ſich gabelnden Fluß</hi> (<hi rendition="#aq">rivière bifurquée</hi>), der aus verſchiedenen,<lb/> mehr oder weniger parallelen Rinnen (<hi rendition="#aq">sillons</hi>) beſteht, in ſein<lb/> Becken hinuͤber; oder der Kanal verſtopft ſich durch Anſchwemmun-<lb/> gen da, wo er von dem Hauptſtrom ausgeht; oder es bildet ſich<lb/> mitten in ſeinem Laufe (wie bei dem Arno Teverino im Chia-<lb/> na-Thale) ein Theilungs-Punkt, wodurch in dem oberen Theile<lb/> ein Gegenhang (<hi rendition="#aq">contre-pente</hi>) entſteht, von dem die Gewaͤſſer in<lb/> entgegengeſetzter Richtung abfließen. Die Savannen und großen<lb/> Ebenen Suͤd-Amerika's zeigen vornaͤmlich dieſe Veraͤnderungen<lb/> oder das Saͤkular-Fortſchreiten der Entwicklung der Fluͤſſe im Jn-<lb/> nern des Landes.</p><lb/> <p>Die eben angefuͤhrte Konfiguration des Bodens hat, indem ſie<lb/> die Verbindung vermittelſt Kanots oder Piroguen mit flachem Bo-<lb/> den auf ungeheuͤre Entfernungen beguͤnſtigt, ſeit Jahrhunderten die<lb/> friedlichen Anwohner des Caſiquiare und des Rio Negro den Ein-<lb/> faͤllen der Voͤlker Caraibiſcher Race ausgeſetzt, deren zahlreiche<lb/> Staͤmme verſchiedene Namen tragen. Dieſe Einfaͤlle von Nord<lb/> und Nordoſt her (aus mehr als 200 Lieues Entfernung) hatten<lb/> zugleich den Handel mit einigen Waaren und den Raub von Skla-<lb/> ven zum Zweck. Die maͤchtige Nation der Caraiben, von der man<lb/> irrthuͤmlich glaubte, daß ſie urſpruͤnglich nur den kleinen Antillen<lb/> angehoͤre, hatte zur Zeit der Entdeckung Amerika's einen großen<lb/> Theil des Littorale der Tierra firma (Cariai und Caribana<note xml:id="fn1" next="#fn1.1" place="foot" n="*)">Caribana wurde anfaͤnglich eine Provinz genannt, die zwiſchen der<lb/> Muͤndung des Rio Sinu und der des Atrato lag (<hi rendition="#aq">Gomara, Edit</hi>.<lb/> von 1553. <hi rendition="#aq">Fol. XXX</hi>.), weil dieſer weſtliche Theil von Caſtilla de</note> der<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [39/0005]
Über die Geographie von Guyana.
auf einem ungeheuͤren Umwege von 750 Lieues, eine ununterbro-
chene Schiffahrt von dem Mahu und den Quellen des Rio Branco
bis zur Muͤndung des Caroni, moͤglich machen. Trageplaͤtze,
welche quer uͤber die Schwellen oder Ruͤcken einer Waſſer-
ſcheide (divortia aquarum) fuͤhren, periodiſche Überſchwemmungen,
welche in der Regenzeit die, verſchiedenen hydrauliſchen Syſtemen
angehoͤrenden Zufluͤſſe vereinigen, haben die Jdee von mehreren
Bifurkationen und Fluß-Verbindungen veranlaßt, die niemals exi-
ſtirten oder wenigſtens jetzt nicht mehr vorhanden ſind. Alle Ab-
dachungen haben die Tendenz, ihre Verzweigungen zu vermindern
und ihre Becken zu iſoliren. Was fruͤher nur ein Arm war, wird
der einzige Recipient; und bei Abdachungen, deren Waſſer eine ge-
ringe Geſchwindigkeit hat, verſchwinden die Bifurkationen oder Ver-
zweigungen zwiſchen zwei hydrauliſchen Syſtemen auf dreierlei
Weiſe: entweder leitet der verbindende Kanal den ganzen
ſich gabelnden Fluß (rivière bifurquée), der aus verſchiedenen,
mehr oder weniger parallelen Rinnen (sillons) beſteht, in ſein
Becken hinuͤber; oder der Kanal verſtopft ſich durch Anſchwemmun-
gen da, wo er von dem Hauptſtrom ausgeht; oder es bildet ſich
mitten in ſeinem Laufe (wie bei dem Arno Teverino im Chia-
na-Thale) ein Theilungs-Punkt, wodurch in dem oberen Theile
ein Gegenhang (contre-pente) entſteht, von dem die Gewaͤſſer in
entgegengeſetzter Richtung abfließen. Die Savannen und großen
Ebenen Suͤd-Amerika's zeigen vornaͤmlich dieſe Veraͤnderungen
oder das Saͤkular-Fortſchreiten der Entwicklung der Fluͤſſe im Jn-
nern des Landes.
Die eben angefuͤhrte Konfiguration des Bodens hat, indem ſie
die Verbindung vermittelſt Kanots oder Piroguen mit flachem Bo-
den auf ungeheuͤre Entfernungen beguͤnſtigt, ſeit Jahrhunderten die
friedlichen Anwohner des Caſiquiare und des Rio Negro den Ein-
faͤllen der Voͤlker Caraibiſcher Race ausgeſetzt, deren zahlreiche
Staͤmme verſchiedene Namen tragen. Dieſe Einfaͤlle von Nord
und Nordoſt her (aus mehr als 200 Lieues Entfernung) hatten
zugleich den Handel mit einigen Waaren und den Raub von Skla-
ven zum Zweck. Die maͤchtige Nation der Caraiben, von der man
irrthuͤmlich glaubte, daß ſie urſpruͤnglich nur den kleinen Antillen
angehoͤre, hatte zur Zeit der Entdeckung Amerika's einen großen
Theil des Littorale der Tierra firma (Cariai und Caribana *) der
*) Caribana wurde anfaͤnglich eine Provinz genannt, die zwiſchen der
Muͤndung des Rio Sinu und der des Atrato lag (Gomara, Edit.
von 1553. Fol. XXX.), weil dieſer weſtliche Theil von Caſtilla de
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