Humboldt, Alexander von: Ueber die Anwendung des Galvanischen Reizmittels auf die praktische Heilkunde. Ein Schreiben des Hrn. Obergerbraths von Humboldt an den Herausgeber. In: Journal für die Chirurgie, Geburtshülfe und gerichtliche Arzneykunde, Bd. 1 (1797), S. 447-471.so darf ich es wol ohne Unbescheidenheit wagen, dieser ſo darf ich es wol ohne Unbeſcheidenheit wagen, dieſer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0003" n="448"/> ſo darf ich es wol ohne Unbeſcheidenheit wagen, dieſer<lb/> Aufforderung zu folgen. Sie ſind mit mir daruͤber ein-<lb/> verſtanden, daß die Nuͤtzlichkeit oder der Werth der Galva-<lb/> niſchen Entdeckungen nicht von ihrer <hi rendition="#g">unmittelbaren</hi><lb/> Anwendung auf den pathologiſchen Zuſtand des Men-<lb/> ſchen abhaͤngt; Sie ſind mit mir davon uͤberzeugt, daß alles,<lb/> was uns der Kenntniß der Nerven und ihrer Kraͤfte naͤ-<lb/> her bringt, maͤchtigen Einfluß auf die Vervollkommnung<lb/> der praktiſchen Heilkunde haben muß. Aber wir leben<lb/> in einem Jahrhunderte, wo man ein allmaͤhliges Fort-<lb/> ſchreiten fuͤr Stillſtand haͤlt, wo man reife Fruͤchte<lb/> ſchon lange vor der Bluͤthe zu erwarten pflegt. Jn ei-<lb/> nem ſolchen Zeitpunkte mußten Verſuche, welche ſo unmit-<lb/> telbare und ſchnelle praktiſche Anwendung zu verheiſſen<lb/> ſchienen, die geſpannteſte Aufmerkſamkeit des Publicums<lb/> an ſich ziehen. Man empfahl den Galvanismus bald<lb/> als Pruͤfungsmittel des Todes, bald als wolthaͤtiges<lb/> Reizmittel auf die Nerven: man erregte dadurch Er-<lb/> wartungen, die, bey der ungenuͤgſamen Stimmung<lb/> des groͤßeren Publikums, nicht leicht zu erfuͤllen waren.<lb/> Wie man ehemals faſt alle Leiden der Menſchheit durch<lb/> Elektricitaͤt zu mindern waͤhnte; ſo ſollten jetzt ein Paar<lb/> Metallplaͤttchen untruͤglich, und, wie durch einen Zau-<lb/> ber, Erſtickte erwecken, Blinde ſehend machen, ge-<lb/> laͤhmte Glieder wieder herſtellen, und allein ſoviel leiſten,<lb/> als die Aerzte ſeit einigen tauſend Jahren mit einer ſo<lb/> großen Menge chemiſcher und mechaniſcher Huͤlfsmittel<lb/> nicht zu leiſten vermochten.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [448/0003]
ſo darf ich es wol ohne Unbeſcheidenheit wagen, dieſer
Aufforderung zu folgen. Sie ſind mit mir daruͤber ein-
verſtanden, daß die Nuͤtzlichkeit oder der Werth der Galva-
niſchen Entdeckungen nicht von ihrer unmittelbaren
Anwendung auf den pathologiſchen Zuſtand des Men-
ſchen abhaͤngt; Sie ſind mit mir davon uͤberzeugt, daß alles,
was uns der Kenntniß der Nerven und ihrer Kraͤfte naͤ-
her bringt, maͤchtigen Einfluß auf die Vervollkommnung
der praktiſchen Heilkunde haben muß. Aber wir leben
in einem Jahrhunderte, wo man ein allmaͤhliges Fort-
ſchreiten fuͤr Stillſtand haͤlt, wo man reife Fruͤchte
ſchon lange vor der Bluͤthe zu erwarten pflegt. Jn ei-
nem ſolchen Zeitpunkte mußten Verſuche, welche ſo unmit-
telbare und ſchnelle praktiſche Anwendung zu verheiſſen
ſchienen, die geſpannteſte Aufmerkſamkeit des Publicums
an ſich ziehen. Man empfahl den Galvanismus bald
als Pruͤfungsmittel des Todes, bald als wolthaͤtiges
Reizmittel auf die Nerven: man erregte dadurch Er-
wartungen, die, bey der ungenuͤgſamen Stimmung
des groͤßeren Publikums, nicht leicht zu erfuͤllen waren.
Wie man ehemals faſt alle Leiden der Menſchheit durch
Elektricitaͤt zu mindern waͤhnte; ſo ſollten jetzt ein Paar
Metallplaͤttchen untruͤglich, und, wie durch einen Zau-
ber, Erſtickte erwecken, Blinde ſehend machen, ge-
laͤhmte Glieder wieder herſtellen, und allein ſoviel leiſten,
als die Aerzte ſeit einigen tauſend Jahren mit einer ſo
großen Menge chemiſcher und mechaniſcher Huͤlfsmittel
nicht zu leiſten vermochten.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Weitere Informationen:Eine weitere Fassung dieses Textes finden Sie in der Ausgabe Sämtliche Schriften digital (2021 ff.) der Universität Bern.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |