Humboldt, Wilhelm von: Ueber die Buchstabenschrift und ihren Zusammenhang mit dem Sprachbau. In: Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Berlin, 1826. S. 161-188.Ueber den Rhythmus ist es in dieser Beziehung kaum nöthig, etwas hinzuzufügen. Das reine und volle Hervorbringen der Laute, die Sonderung der einzelnen, die sorgfältige Beachtung ihrer eigenthümlichen Verschiedenheit kann da nicht entbehrt werden, wo ihr gegenseitiges Verhältniß die Regel ihrer Zusammenreihung bildet. Es hat gewiß rhythmische Dichtung bei allen Nationen vor dem Gebrauch einer Schrift gegeben, auch regelmäßig sylbenmessende bei einigen, und bei wenigen, vorzüglich glücklich organisirten, hohe Vortrefflichkeit in dieser Behandlung. Es muß diese aber unläugbar durch das Hinzukommen des Alphabetes gewinnen, und vor dieser Epoche zeugt sie selbst schon von einem solchen Gefühl der Natur der einzelnen Sprachlaute, daß eigentlich nur das Zeichen dafür noch mangelt, wie auch in anderen Bestrebungen der Mensch oft erst von der Hand des Zufalls den sinnlichen Ausdruck für dasjenige erwarten muß, was er geistig längst in sich trägt. Denn bei der Würdigung des Einflusses der Buchstabenschrift auf die Sprache ist vorzüglich das zu beachten, daß auch in ihr eigentlich zweierlei liegt, die Sonderung der articulirten Laute, und ihre äußeren Zeichen. Wir haben schon oben, bei Gelegenheit der Chinesen, bemerkt, und die Behauptung läßt sich, unter Umständen, auch auf wahrhaft alphabetische Schrift ausdehnen, daß nicht jeder Gebrauch einer Lautbezeichnung den entscheidenden Einfluß auf die Sprache hervorbringt, den die Auffassung der Buchstabenschrift in ihrem wahren Geist einer Nation und ihrer Sprache allemal zusichert. Wo dagegen, auch noch ohne den Besitz alphabetischer Zeichen, durch die hervorstechende Sprachanlage eines Volks jene innere Wahrnehmung des articulirten Lauts (gleichsam der geistige Theil des Alphabets) vorbereitet und entstanden ist, da genießt dasselbe, schon vor der Entstehung der Buchstabenschrift, eines Theils ihrer Vorzüge. Daher sind Sylbenmaaße, die sich, wie der Hexameter und der sechszehnsylbige Vers der Slocas aus dem dunkelsten Alterthum her auf uns erhalten haben, und deren bloßer Sylbenfall noch jetzt das Ohr in einen unnachahmlichen Zauber wiegt, vielleicht noch stärkere und sicherere Beweise des tiefen und feinen Sprachsinns jener Nationen, als die Ueberbleibsel ihrer Gedichte selbst. Denn so eng auch die Dichtung mit der Sprache verschwistert ist, so wirken doch natürlich mehrere Ueber den Rhythmus ist es in dieser Beziehung kaum nöthig, etwas hinzuzufügen. Das reine und volle Hervorbringen der Laute, die Sonderung der einzelnen, die sorgfältige Beachtung ihrer eigenthümlichen Verschiedenheit kann da nicht entbehrt werden, wo ihr gegenseitiges Verhältniß die Regel ihrer Zusammenreihung bildet. Es hat gewiß rhythmische Dichtung bei allen Nationen vor dem Gebrauch einer Schrift gegeben, auch regelmäßig sylbenmessende bei einigen, und bei wenigen, vorzüglich glücklich organisirten, hohe Vortrefflichkeit in dieser Behandlung. Es muß diese aber unläugbar durch das Hinzukommen des Alphabetes gewinnen, und vor dieser Epoche zeugt sie selbst schon von einem solchen Gefühl der Natur der einzelnen Sprachlaute, daß eigentlich nur das Zeichen dafür noch mangelt, wie auch in anderen Bestrebungen der Mensch oft erst von der Hand des Zufalls den sinnlichen Ausdruck für dasjenige erwarten muß, was er geistig längst in sich trägt. Denn bei der Würdigung des Einflusses der Buchstabenschrift auf die Sprache ist vorzüglich das zu beachten, daß auch in ihr eigentlich zweierlei liegt, die Sonderung der articulirten Laute, und ihre äußeren Zeichen. Wir haben schon oben, bei Gelegenheit der Chinesen, bemerkt, und die Behauptung läßt sich, unter Umständen, auch auf wahrhaft alphabetische Schrift ausdehnen, daß nicht jeder Gebrauch einer Lautbezeichnung den entscheidenden Einfluß auf die Sprache hervorbringt, den die Auffassung der Buchstabenschrift in ihrem wahren Geist einer Nation und ihrer Sprache allemal zusichert. Wo dagegen, auch noch ohne den Besitz alphabetischer Zeichen, durch die hervorstechende Sprachanlage eines Volks jene innere Wahrnehmung des articulirten Lauts (gleichsam der geistige Theil des Alphabets) vorbereitet und entstanden ist, da genießt dasselbe, schon vor der Entstehung der Buchstabenschrift, eines Theils ihrer Vorzüge. Daher sind Sylbenmaaße, die sich, wie der Hexameter und der sechszehnsylbige Vers der Slocas aus dem dunkelsten Alterthum her auf uns erhalten haben, und deren bloßer Sylbenfall noch jetzt das Ohr in einen unnachahmlichen Zauber wiegt, vielleicht noch stärkere und sicherere Beweise des tiefen und feinen Sprachsinns jener Nationen, als die Ueberbleibsel ihrer Gedichte selbst. Denn so eng auch die Dichtung mit der Sprache verschwistert ist, so wirken doch natürlich mehrere <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0014" n="174"/> <p>Ueber den Rhythmus ist es in dieser Beziehung kaum nöthig, etwas hinzuzufügen. Das reine und volle Hervorbringen der Laute, die Sonderung der einzelnen, die sorgfältige Beachtung ihrer eigenthümlichen Verschiedenheit kann da nicht entbehrt werden, wo ihr gegenseitiges Verhältniß die Regel ihrer Zusammenreihung bildet. Es hat gewiß rhythmische Dichtung bei allen Nationen vor dem Gebrauch einer Schrift gegeben, auch regelmäßig sylbenmessende bei einigen, und bei wenigen, vorzüglich glücklich organisirten, hohe Vortrefflichkeit in dieser Behandlung. Es muß diese aber unläugbar durch das Hinzukommen des Alphabetes gewinnen, und vor dieser Epoche zeugt sie selbst schon von einem solchen Gefühl der Natur der einzelnen Sprachlaute, daß eigentlich nur das Zeichen dafür noch mangelt, wie auch in anderen Bestrebungen der Mensch oft erst von der Hand des Zufalls den sinnlichen Ausdruck für dasjenige erwarten muß, was er geistig längst in sich trägt. Denn bei der Würdigung des Einflusses der Buchstabenschrift auf die Sprache ist vorzüglich das zu beachten, daß auch in ihr eigentlich zweierlei liegt, die Sonderung der articulirten Laute, und ihre äußeren Zeichen. Wir haben schon oben, bei Gelegenheit der Chinesen, bemerkt, und die Behauptung läßt sich, unter Umständen, auch auf wahrhaft alphabetische Schrift ausdehnen, daß nicht jeder Gebrauch einer Lautbezeichnung den entscheidenden Einfluß auf die Sprache hervorbringt, den die Auffassung der Buchstabenschrift in ihrem wahren Geist einer Nation und ihrer Sprache allemal zusichert. Wo dagegen, auch noch ohne den Besitz alphabetischer Zeichen, durch die hervorstechende Sprachanlage eines Volks jene innere Wahrnehmung des articulirten Lauts (gleichsam der geistige Theil des Alphabets) vorbereitet und entstanden ist, da genießt dasselbe, schon vor der Entstehung der Buchstabenschrift, eines Theils ihrer Vorzüge.</p> <p>Daher sind Sylbenmaaße, die sich, wie der Hexameter und der sechszehnsylbige Vers der Slocas aus dem dunkelsten Alterthum her auf uns erhalten haben, und deren bloßer Sylbenfall noch jetzt das Ohr in einen unnachahmlichen Zauber wiegt, vielleicht noch stärkere und sicherere Beweise des tiefen und feinen Sprachsinns jener Nationen, als die Ueberbleibsel ihrer Gedichte selbst. Denn so eng auch die Dichtung mit der Sprache verschwistert ist, so wirken doch natürlich mehrere </p> </div> </body> </text> </TEI> [174/0014]
Ueber den Rhythmus ist es in dieser Beziehung kaum nöthig, etwas hinzuzufügen. Das reine und volle Hervorbringen der Laute, die Sonderung der einzelnen, die sorgfältige Beachtung ihrer eigenthümlichen Verschiedenheit kann da nicht entbehrt werden, wo ihr gegenseitiges Verhältniß die Regel ihrer Zusammenreihung bildet. Es hat gewiß rhythmische Dichtung bei allen Nationen vor dem Gebrauch einer Schrift gegeben, auch regelmäßig sylbenmessende bei einigen, und bei wenigen, vorzüglich glücklich organisirten, hohe Vortrefflichkeit in dieser Behandlung. Es muß diese aber unläugbar durch das Hinzukommen des Alphabetes gewinnen, und vor dieser Epoche zeugt sie selbst schon von einem solchen Gefühl der Natur der einzelnen Sprachlaute, daß eigentlich nur das Zeichen dafür noch mangelt, wie auch in anderen Bestrebungen der Mensch oft erst von der Hand des Zufalls den sinnlichen Ausdruck für dasjenige erwarten muß, was er geistig längst in sich trägt. Denn bei der Würdigung des Einflusses der Buchstabenschrift auf die Sprache ist vorzüglich das zu beachten, daß auch in ihr eigentlich zweierlei liegt, die Sonderung der articulirten Laute, und ihre äußeren Zeichen. Wir haben schon oben, bei Gelegenheit der Chinesen, bemerkt, und die Behauptung läßt sich, unter Umständen, auch auf wahrhaft alphabetische Schrift ausdehnen, daß nicht jeder Gebrauch einer Lautbezeichnung den entscheidenden Einfluß auf die Sprache hervorbringt, den die Auffassung der Buchstabenschrift in ihrem wahren Geist einer Nation und ihrer Sprache allemal zusichert. Wo dagegen, auch noch ohne den Besitz alphabetischer Zeichen, durch die hervorstechende Sprachanlage eines Volks jene innere Wahrnehmung des articulirten Lauts (gleichsam der geistige Theil des Alphabets) vorbereitet und entstanden ist, da genießt dasselbe, schon vor der Entstehung der Buchstabenschrift, eines Theils ihrer Vorzüge.
Daher sind Sylbenmaaße, die sich, wie der Hexameter und der sechszehnsylbige Vers der Slocas aus dem dunkelsten Alterthum her auf uns erhalten haben, und deren bloßer Sylbenfall noch jetzt das Ohr in einen unnachahmlichen Zauber wiegt, vielleicht noch stärkere und sicherere Beweise des tiefen und feinen Sprachsinns jener Nationen, als die Ueberbleibsel ihrer Gedichte selbst. Denn so eng auch die Dichtung mit der Sprache verschwistert ist, so wirken doch natürlich mehrere
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