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Humboldt, Alexander von: Ueber die künftigen Verhältnisse von Europa und Amerika. In: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 33 (1826), S. 129-130 und Nr. 34 (1826), S. 134-135.

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[Spaltenumbruch] Kalifornien anzusiedeln trachten, noch die freyen Afrika-
ner auf Haiti vergessen, welche die im Jahr 1545 von dem
mailändischen Reisenden Belzoni ausgesprochene Prophe-
zeihung in Erfüllung gebracht haben. Die Stellung der
Afrikaner auf einer Jnsel, die dritthalb Mal größer ist
als Sicilien, in Mitte des mittelländischen Antillenmee-
res, erhöht ihr politisches Gewicht. Alle Freunde der
Menschheit vereinbaren ihre Wünsche für die Entwicklung
einer Gesittung, welche, nach so vielfacher Wuth und Blut-
vergießen, auf unerwartet gedeihliche Weise vorschreitet.
Das russische Amerika gleicht bis dahin weniger einer land-
wirthschaftlichen Kolonie, als jenen Comptoirs, welche
die Europäer zum größten Unglück der Landeseingebornen
auf den afrikanischen Küsten errichtet haben. Es besteht
dasselbe lediglich in Militär-Posten, und Stationen von
Fischern sowohl als siberischen Jägern. Eine auffallende
Erscheinung ist es unstreitig, den Ritus der griechischen
Kirche auf amerikanischem Boden anzutreffen, und zu se-
hen, wie zwey Nationen, welche die östlichen und westli-
chen Endtheile von Europa bewohnen, die Russen und die
Spanier, auf einem Festlande, welches sie von entgegen-
gesetzten Richtungen aus erreicht haben, Nachbarn werden;
allein der beynahe wilde Zustand der unbevölkerten Küsten
von Ochotsk und Kamtschatka, der Mangel aller Unter-
stützungen aus den asiatischen Häfen und das bis dahin in
den slavischen Kolonien der neuen Welt befolgte Regime
sind eben so viele Hemmungen, welche dieselben auf lange
Zeit im Zustand der Kindheit erhalten werden. Aus Vor-
stehendem erhellt, daß, wenn man bey staatswirthschaft-
lichen Unternehmungen sich gewöhnt hat, nur Massen in's
Auge zu fassen, das amerikanische Festland alsdann un-
verkennbar, genau gesprochen, unter drey große Nationen,
von englischer, spanischer und portugiesischer Herkunft ge-
theilt erscheint. Die erste dieser drey Nationen, die der Anglo-
Amerikaner, ist zugleich diejenige, welche, nach den euro-
päischen Britten, mit ihrer Flagge die größte Ausdehnung
der Meere bedeckt. Ohne entfernte Kolonien hat ihr Han-
delsverkehr einen Umfang erhalten, welchen kein anderes
Volk der alten Welt erreichen mochte, außer etwa dem-
jenigen, welches nach dem amerikanischen Norden seine
Sprache, den Glanz seiner Literatur, seine Arbeitslust,
seine Freyheitsliebe und einen Theil seiner bürgerlichen Jn-
stitutionen übertragen hat.

Durch die brittischen und portugiesischen Kolonisten
wurden einzig nur die Europa gegenüber liegenden Küsten
bevölkert; die Kastilianer hingegen haben gleich zu Anfang
der Eroberung die Andenkette überstiegen und ihre Ansied-
lungen bis in die westlichsten Landschaften ausgedehnt.
Hier nur, in Mexiko, in Cundinamarca, in Quito und
Peru, haben sie die Spuren einer vormaligen Gesittung,
Landwirthschaft treibende Völker, blühende Reiche ange-
troffen. Dieser Umstand, der Zuwachs einer Bevölkerung
[Spaltenumbruch] von Landeseingebornen und Bergbewohnern, der fast aus-
schließliche Besitz großer Metall-Reichthümer und eines
seit Anfang des sechszehnten Jahrhunderts mit dem indi-
schen Archipel gepflognen Handelsverkehrs mußten den spa-
nischen Besitzungen im äquinoktialen Amerika einen eigen-
thümlichen Charakter verleihen. Jn den östlichen, den
brittischen und portugiesischen Kolonisten zu Theil gewor-
denen Landschaften waren die Landeseingeborne jagdtrei-
bende Völker von unstäten Wohnsitzen. Statt zur Bildung
einer landbautreibenden und arbeitsfleißigen Bevölkerung
beyzutragen, wie dieß auf dem Plateau von Anahuac, in
Guatimala und Ober-Peru der Fall war, haben sie bey
Annäherung der Weißen meist sich zurückgezogen. Der
Arbeitsbedarf, der Vorzug, welchen die Kulturen des
Zuckerrohrs, des Jndigo und der Baumwolle erhielten, die
Habsucht, welche öfters den Gewerbsfleiß begleitet und
ihn herabwürdigt, haben daselbst jenen schändlichen Neger-
handel eingeführt, der für beyde Halbkugeln gleich verderb-
lich geworden ist. Glücklicherweise ist es der Fall, daß
auf dem Festlande vom spanischen Amerika die Zahl der
afrikanischen Sklaven verhältnißmäßig zur Sklavenbevölke-
rung von Brasilien oder vom südlichen Theile der verein-
ten Staaten gering, und nicht stärker denn 1 zu 5 ist.
Alle spanischen Kolonien, die Jnseln Kuba und Portoriko
mitgerechnet, haben auf einer Landesfläche, welche die
von Europa mindestens um einen fünften Theil übersteigt,
nicht so viel Negersklaven, als der einzige Staat von Vir-
ginien deren besizt. Die spanischen Amerikaner gewähren
unter der heißen Zone das einzige Beyspiel, einer Nation
von acht Millionen Einwohner, die, nach europäischen
Gesetzen und Jnstitutionen regiert, Zucker, Kakao, Ge-
treide und Wein pflanzt und die fast keine dem afrikanischen
Gebiet entrissene Sklaven hat.

(Die Fortsetzung folgt.)



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[Spaltenumbruch] Kalifornien anzuſiedeln trachten, noch die freyen Afrika-
ner auf Haiti vergeſſen, welche die im Jahr 1545 von dem
mailändiſchen Reiſenden Belzoni ausgeſprochene Prophe-
zeihung in Erfüllung gebracht haben. Die Stellung der
Afrikaner auf einer Jnſel, die dritthalb Mal größer iſt
als Sicilien, in Mitte des mittelländiſchen Antillenmee-
res, erhöht ihr politiſches Gewicht. Alle Freunde der
Menſchheit vereinbaren ihre Wünſche für die Entwicklung
einer Geſittung, welche, nach ſo vielfacher Wuth und Blut-
vergießen, auf unerwartet gedeihliche Weiſe vorſchreitet.
Das ruſſiſche Amerika gleicht bis dahin weniger einer land-
wirthſchaftlichen Kolonie, als jenen Comptoirs, welche
die Europäer zum größten Unglück der Landeseingebornen
auf den afrikaniſchen Küſten errichtet haben. Es beſteht
daſſelbe lediglich in Militär-Poſten, und Stationen von
Fiſchern ſowohl als ſiberiſchen Jägern. Eine auffallende
Erſcheinung iſt es unſtreitig, den Ritus der griechiſchen
Kirche auf amerikaniſchem Boden anzutreffen, und zu ſe-
hen, wie zwey Nationen, welche die öſtlichen und weſtli-
chen Endtheile von Europa bewohnen, die Ruſſen und die
Spanier, auf einem Feſtlande, welches ſie von entgegen-
geſetzten Richtungen aus erreicht haben, Nachbarn werden;
allein der beynahe wilde Zuſtand der unbevölkerten Küſten
von Ochotsk und Kamtſchatka, der Mangel aller Unter-
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den ſlaviſchen Kolonien der neuen Welt befolgte Regime
ſind eben ſo viele Hemmungen, welche dieſelben auf lange
Zeit im Zuſtand der Kindheit erhalten werden. Aus Vor-
ſtehendem erhellt, daß, wenn man bey ſtaatswirthſchaft-
lichen Unternehmungen ſich gewöhnt hat, nur Maſſen in's
Auge zu faſſen, das amerikaniſche Feſtland alsdann un-
verkennbar, genau geſprochen, unter drey große Nationen,
von engliſcher, ſpaniſcher und portugieſiſcher Herkunft ge-
theilt erſcheint. Die erſte dieſer drey Nationen, die der Anglo-
Amerikaner, iſt zugleich diejenige, welche, nach den euro-
päiſchen Britten, mit ihrer Flagge die größte Ausdehnung
der Meere bedeckt. Ohne entfernte Kolonien hat ihr Han-
delsverkehr einen Umfang erhalten, welchen kein anderes
Volk der alten Welt erreichen mochte, außer etwa dem-
jenigen, welches nach dem amerikaniſchen Norden ſeine
Sprache, den Glanz ſeiner Literatur, ſeine Arbeitsluſt,
ſeine Freyheitsliebe und einen Theil ſeiner bürgerlichen Jn-
ſtitutionen übertragen hat.

Durch die brittiſchen und portugieſiſchen Koloniſten
wurden einzig nur die Europa gegenüber liegenden Küſten
bevölkert; die Kaſtilianer hingegen haben gleich zu Anfang
der Eroberung die Andenkette überſtiegen und ihre Anſied-
lungen bis in die weſtlichſten Landſchaften ausgedehnt.
Hier nur, in Mexiko, in Cundinamarca, in Quito und
Peru, haben ſie die Spuren einer vormaligen Geſittung,
Landwirthſchaft treibende Völker, blühende Reiche ange-
troffen. Dieſer Umſtand, der Zuwachs einer Bevölkerung
[Spaltenumbruch] von Landeseingebornen und Bergbewohnern, der faſt aus-
ſchließliche Beſitz großer Metall-Reichthümer und eines
ſeit Anfang des ſechszehnten Jahrhunderts mit dem indi-
ſchen Archipel gepflognen Handelsverkehrs mußten den ſpa-
niſchen Beſitzungen im äquinoktialen Amerika einen eigen-
thümlichen Charakter verleihen. Jn den öſtlichen, den
brittiſchen und portugieſiſchen Koloniſten zu Theil gewor-
denen Landſchaften waren die Landeseingeborne jagdtrei-
bende Völker von unſtäten Wohnſitzen. Statt zur Bildung
einer landbautreibenden und arbeitsfleißigen Bevölkerung
beyzutragen, wie dieß auf dem Plateau von Anahuac, in
Guatimala und Ober-Peru der Fall war, haben ſie bey
Annäherung der Weißen meiſt ſich zurückgezogen. Der
Arbeitsbedarf, der Vorzug, welchen die Kulturen des
Zuckerrohrs, des Jndigo und der Baumwolle erhielten, die
Habſucht, welche öfters den Gewerbsfleiß begleitet und
ihn herabwürdigt, haben daſelbſt jenen ſchändlichen Neger-
handel eingeführt, der für beyde Halbkugeln gleich verderb-
lich geworden iſt. Glücklicherweiſe iſt es der Fall, daß
auf dem Feſtlande vom ſpaniſchen Amerika die Zahl der
afrikaniſchen Sklaven verhältnißmäßig zur Sklavenbevölke-
rung von Braſilien oder vom ſüdlichen Theile der verein-
ten Staaten gering, und nicht ſtärker denn 1 zu 5 iſt.
Alle ſpaniſchen Kolonien, die Jnſeln Kuba und Portoriko
mitgerechnet, haben auf einer Landesfläche, welche die
von Europa mindeſtens um einen fünften Theil überſteigt,
nicht ſo viel Negerſklaven, als der einzige Staat von Vir-
ginien deren beſizt. Die ſpaniſchen Amerikaner gewähren
unter der heißen Zone das einzige Beyſpiel, einer Nation
von acht Millionen Einwohner, die, nach europäiſchen
Geſetzen und Jnſtitutionen regiert, Zucker, Kakao, Ge-
treide und Wein pflanzt und die faſt keine dem afrikaniſchen
Gebiet entriſſene Sklaven hat.

(Die Fortſetzung folgt.)



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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Ueber die künftigen Verhältnisse von Europa und Amerika. In: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 33 (1826), S. 129-130 und Nr. 34 (1826), S. 134-135, hier S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_verhaeltnis_1826/2>, abgerufen am 28.03.2024.