Humboldt, Alexander von: Ueber zwei Versuche den Chimborazo zu besteigen. In: Jahrbuch für 1837. Herausgegeben von H. C. Schumacher. Stuttgart und Tübingen, 1837, S. 176-206.
Besteigung des Chimborazo. Gelegenheit darbot, sich mit den Händen an zackigvorstehendem Gesteine festzuhalten und weil dazu die dünne Eisrinde nicht vor dem Untersinken im lockeren Schnee sicherte. Nur ganz leichte poröse Doleritstücke konnten wir auf dieser Eisrinde herabrollen lassen. Die geneigte Schneefläche war so ausgedehnt, dass wir die Steine früher aus dem Gesichte verloren, als sie zur Ruhe kamen. Der Mangel von Schnee sowohl auf der Grate, die uns leitete, als auf den Felsen zu unserer Rechten gegen Osten, darf weniger der Steil- heit der Gesteinmassen und dem Windstosse, als of- fenen Klüften zuzuschreiben seyn, welche die warme Luft der tiefern Erdschichten aushauchen. Bald fan- den wir das weitere Steigen dadurch schwieriger, dass die Bröcklichkeit des Gesteins beträchtlich zu- nahm. An einzelnen sehr steilen Staffeln musste man die Hände und Füsse zugleich anwenden, wie dies bei allen Alpenreisen so gewöhnlich ist. Da das Ge- stein sehr scharfkantig war, so wurden wir, beson- ders an den Händen, schmerzhaft verletzt. In noch höherem Maasse haben wir, Leopold von Buch und ich, nahe am Crater des obsidianreichen Pics von Teneriffa von diesen Verletzungen gelitten. Ich hatte dazu (wenn es anders einem Reisenden erlaubt ist, so unwichtige Einzelnheiten zu erwähnen), seit meh- reren Wochen eine Wunde am Fusse, die durch die Anhäufung der Niguas* (Pulex penetrans) veran- lasst und durch feinen Staub von Bimsstein, bei * Der Sandfloh, la Chique der französischen Colonisten von
Westindien, ein Insect, das sich unter die Haut des Menschen eingräbt, und, da der Eiersack des befruchteten Weibchens be- trächtlich anschwillt, Entzündung erregt. Besteigung des Chimborazo. Gelegenheit darbot, sich mit den Händen an zackigvorstehendem Gesteine festzuhalten und weil dazu die dünne Eisrinde nicht vor dem Untersinken im lockeren Schnee sicherte. Nur ganz leichte poröse Doleritstücke konnten wir auf dieser Eisrinde herabrollen lassen. Die geneigte Schneefläche war so ausgedehnt, dass wir die Steine früher aus dem Gesichte verloren, als sie zur Ruhe kamen. Der Mangel von Schnee sowohl auf der Grate, die uns leitete, als auf den Felsen zu unserer Rechten gegen Osten, darf weniger der Steil- heit der Gesteinmassen und dem Windstosse, als of- fenen Klüften zuzuschreiben seyn, welche die warme Luft der tiefern Erdschichten aushauchen. Bald fan- den wir das weitere Steigen dadurch schwieriger, dass die Bröcklichkeit des Gesteins beträchtlich zu- nahm. An einzelnen sehr steilen Staffeln musste man die Hände und Füsse zugleich anwenden, wie dies bei allen Alpenreisen so gewöhnlich ist. Da das Ge- stein sehr scharfkantig war, so wurden wir, beson- ders an den Händen, schmerzhaft verletzt. In noch höherem Maasse haben wir, Leopold von Buch und ich, nahe am Crater des obsidianreichen Pics von Teneriffa von diesen Verletzungen gelitten. Ich hatte dazu (wenn es anders einem Reisenden erlaubt ist, so unwichtige Einzelnheiten zu erwähnen), seit meh- reren Wochen eine Wunde am Fusse, die durch die Anhäufung der Niguas* (Pulex penetrans) veran- lasst und durch feinen Staub von Bimsstein, bei * Der Sandfloh, la Chique der französischen Colonisten von
Westindien, ein Insect, das sich unter die Haut des Menschen eingräbt, und, da der Eiersack des befruchteten Weibchens be- trächtlich anschwillt, Entzündung erregt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0016" n="189"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#i">Besteigung des Chimborazo</hi>.</fw><lb/> Gelegenheit darbot, sich mit den Händen an zackig<lb/> vorstehendem Gesteine festzuhalten und weil dazu die<lb/> dünne Eisrinde nicht vor dem Untersinken im lockeren<lb/> Schnee sicherte. Nur ganz leichte poröse Doleritstücke<lb/> konnten wir auf dieser Eisrinde herabrollen lassen.<lb/> Die geneigte Schneefläche war so ausgedehnt, dass<lb/> wir die Steine früher aus dem Gesichte verloren, als<lb/> sie zur Ruhe kamen. Der Mangel von Schnee sowohl<lb/> auf der Grate, die uns leitete, als auf den Felsen zu<lb/> unserer Rechten gegen Osten, darf weniger der Steil-<lb/> heit der Gesteinmassen und dem Windstosse, als of-<lb/> fenen Klüften zuzuschreiben seyn, welche die warme<lb/> Luft der tiefern Erdschichten aushauchen. Bald fan-<lb/> den wir das weitere Steigen dadurch schwieriger,<lb/> dass die Bröcklichkeit des Gesteins beträchtlich zu-<lb/> nahm. An einzelnen sehr steilen Staffeln musste man<lb/> die Hände und Füsse zugleich anwenden, wie dies<lb/> bei allen Alpenreisen so gewöhnlich ist. Da das Ge-<lb/> stein sehr scharfkantig war, so wurden wir, beson-<lb/> ders an den Händen, schmerzhaft verletzt. In noch<lb/> höherem Maasse haben wir, <hi rendition="#i">Leopold von Buch</hi> und<lb/> ich, nahe am Crater des obsidianreichen Pics von<lb/> Teneriffa von diesen Verletzungen gelitten. Ich hatte<lb/> dazu (wenn es anders einem Reisenden erlaubt ist,<lb/> so unwichtige Einzelnheiten zu erwähnen), seit meh-<lb/> reren Wochen eine Wunde am Fusse, die durch die<lb/> Anhäufung der Niguas<note place="foot" n="*">Der Sandfloh, la Chique der französischen Colonisten von<lb/> Westindien, ein Insect, das sich unter die Haut des Menschen<lb/> eingräbt, und, da der Eiersack des befruchteten Weibchens be-<lb/> trächtlich anschwillt, Entzündung erregt.</note> (Pulex penetrans) veran-<lb/> lasst und durch feinen Staub von Bimsstein, bei<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [189/0016]
Besteigung des Chimborazo.
Gelegenheit darbot, sich mit den Händen an zackig
vorstehendem Gesteine festzuhalten und weil dazu die
dünne Eisrinde nicht vor dem Untersinken im lockeren
Schnee sicherte. Nur ganz leichte poröse Doleritstücke
konnten wir auf dieser Eisrinde herabrollen lassen.
Die geneigte Schneefläche war so ausgedehnt, dass
wir die Steine früher aus dem Gesichte verloren, als
sie zur Ruhe kamen. Der Mangel von Schnee sowohl
auf der Grate, die uns leitete, als auf den Felsen zu
unserer Rechten gegen Osten, darf weniger der Steil-
heit der Gesteinmassen und dem Windstosse, als of-
fenen Klüften zuzuschreiben seyn, welche die warme
Luft der tiefern Erdschichten aushauchen. Bald fan-
den wir das weitere Steigen dadurch schwieriger,
dass die Bröcklichkeit des Gesteins beträchtlich zu-
nahm. An einzelnen sehr steilen Staffeln musste man
die Hände und Füsse zugleich anwenden, wie dies
bei allen Alpenreisen so gewöhnlich ist. Da das Ge-
stein sehr scharfkantig war, so wurden wir, beson-
ders an den Händen, schmerzhaft verletzt. In noch
höherem Maasse haben wir, Leopold von Buch und
ich, nahe am Crater des obsidianreichen Pics von
Teneriffa von diesen Verletzungen gelitten. Ich hatte
dazu (wenn es anders einem Reisenden erlaubt ist,
so unwichtige Einzelnheiten zu erwähnen), seit meh-
reren Wochen eine Wunde am Fusse, die durch die
Anhäufung der Niguas * (Pulex penetrans) veran-
lasst und durch feinen Staub von Bimsstein, bei
* Der Sandfloh, la Chique der französischen Colonisten von
Westindien, ein Insect, das sich unter die Haut des Menschen
eingräbt, und, da der Eiersack des befruchteten Weibchens be-
trächtlich anschwillt, Entzündung erregt.
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