Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Ueber zwei Versuche den Chimborazo zu besteigen. In: Jahrbuch für 1837. Herausgegeben von H. C. Schumacher. Stuttgart und Tübingen, 1837, S. 176-206.

Bild:
<< vorherige Seite

Besteigung des Chimborazo.
wenig Glauben verdienen, und wenn ein sicherer
und überaus genauer Beobachter, Herr Gay-Lussac,
der am 16ten September 1804 die ungeheure Höhe von
21600 Fuss erreichte, (also zwischen den Höhen des
Chimborazo und des Illimani) kein Bluten erlitt, so
ist dies vielleicht dem Mangel der Muskelbewegung
zuzuschreiben. Nach dem jetzigen Stande der Eudio-
metrie erscheint die Luft in jenen hohen Regionen
eben so sauerstoffreich als in den unteren; aber da
in dieser dünnen Luft, bei der Hälfte des Barome-
terdrucks, dem wir gewöhnlich in den Ebenen aus-
gesetzt sind, bei jedem Athemzuge, eine geringere
Menge Sauerstoff von dem Blute aufgenommen wird,
so ist allerdings begreiflich, wie ein allgemeines
Gefühl der Schwäche eintreten kann. Warum diese
Asthenie, wie im Schwindel, vorzugsweise Ueblich-
keit und Lust zum Erbrechen erregt, ist hier nicht zu
erörtern, so wenig als zu beweisen, dass das Aus-
schwitzen des Blutes (das Bluten aus Lippen, Zahnfleisch
und Augen), was auch nicht alle Individuen auf so gros-
sen Höhen erfahren, keinesweges durch Aufhebung
eines "mechanischen Gegendrucks" auf das Gefäss-Sy-
stem befriedigend erklärt werden kann. Es wäre viel-
mehr die Wahrscheinlichkeit des Einflusses eines ver-
minderten Luftdruckes auf Ermüdung bei Bewegung
der Beine in sehr luftdünnen Regionen zu unter-
suchen, da, nach der denkwürdigen Entdeckung
zweier geistreichen Forscher, Wilhelm und Eduard
Weber
,* das schwebende Bein, am Rumpfe hangend,

* Mechanik der menschlichen Gehwerkzeuge. 1836. §. 64.
S. 147-160. Neuere, von den Gebrüdern Weber zu Berlin
angestellte Versuche haben den Satz: dass das Bein in der
Jahrbuch. 13

Besteigung des Chimborazo.
wenig Glauben verdienen, und wenn ein sicherer
und überaus genauer Beobachter, Herr Gay-Lussac,
der am 16ten September 1804 die ungeheure Höhe von
21600 Fuss erreichte, (also zwischen den Höhen des
Chimborazo und des Illimani) kein Bluten erlitt, so
ist dies vielleicht dem Mangel der Muskelbewegung
zuzuschreiben. Nach dem jetzigen Stande der Eudio-
metrie erscheint die Luft in jenen hohen Regionen
eben so sauerstoffreich als in den unteren; aber da
in dieser dünnen Luft, bei der Hälfte des Barome-
terdrucks, dem wir gewöhnlich in den Ebenen aus-
gesetzt sind, bei jedem Athemzuge, eine geringere
Menge Sauerstoff von dem Blute aufgenommen wird,
so ist allerdings begreiflich, wie ein allgemeines
Gefühl der Schwäche eintreten kann. Warum diese
Asthenie, wie im Schwindel, vorzugsweise Ueblich-
keit und Lust zum Erbrechen erregt, ist hier nicht zu
erörtern, so wenig als zu beweisen, dass das Aus-
schwitzen des Blutes (das Bluten aus Lippen, Zahnfleisch
und Augen), was auch nicht alle Individuen auf so gros-
sen Höhen erfahren, keinesweges durch Aufhebung
eines „mechanischen Gegendrucks“ auf das Gefäss-Sy-
stem befriedigend erklärt werden kann. Es wäre viel-
mehr die Wahrscheinlichkeit des Einflusses eines ver-
minderten Luftdruckes auf Ermüdung bei Bewegung
der Beine in sehr luftdünnen Regionen zu unter-
suchen, da, nach der denkwürdigen Entdeckung
zweier geistreichen Forscher, Wilhelm und Eduard
Weber
,* das schwebende Bein, am Rumpfe hangend,

* Mechanik der menschlichen Gehwerkzeuge. 1836. §. 64.
S. 147–160. Neuere, von den Gebrüdern Weber zu Berlin
angestellte Versuche haben den Satz: dass das Bein in der
Jahrbuch. 13
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0020" n="193"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#i">Besteigung des Chimborazo</hi>.</fw><lb/>
wenig Glauben verdienen, und wenn ein sicherer<lb/>
und überaus genauer Beobachter, Herr <hi rendition="#i">Gay-Lussac</hi>,<lb/>
der am 16ten September 1804 die ungeheure Höhe von<lb/>
21600 Fuss erreichte, (also zwischen den Höhen des<lb/>
Chimborazo und des Illimani) kein Bluten erlitt, so<lb/>
ist dies vielleicht dem Mangel der Muskelbewegung<lb/>
zuzuschreiben. Nach dem jetzigen Stande der Eudio-<lb/>
metrie erscheint die Luft in jenen hohen Regionen<lb/>
eben so sauerstoffreich als in den unteren; aber da<lb/>
in dieser dünnen Luft, bei der Hälfte des Barome-<lb/>
terdrucks, dem wir gewöhnlich in den Ebenen aus-<lb/>
gesetzt sind, bei jedem Athemzuge, eine geringere<lb/>
Menge Sauerstoff von dem Blute aufgenommen wird,<lb/>
so ist allerdings begreiflich, wie ein allgemeines<lb/>
Gefühl der Schwäche eintreten kann. Warum diese<lb/>
Asthenie, wie im Schwindel, vorzugsweise Ueblich-<lb/>
keit und Lust zum Erbrechen erregt, ist hier nicht zu<lb/>
erörtern, so wenig als zu beweisen, dass das Aus-<lb/>
schwitzen des Blutes (das Bluten aus Lippen, Zahnfleisch<lb/>
und Augen), was auch nicht alle Individuen auf so gros-<lb/>
sen Höhen erfahren, keinesweges durch Aufhebung<lb/>
eines &#x201E;mechanischen Gegendrucks&#x201C; auf das Gefäss-Sy-<lb/>
stem befriedigend erklärt werden kann. Es wäre viel-<lb/>
mehr die Wahrscheinlichkeit des Einflusses eines ver-<lb/>
minderten Luftdruckes auf Ermüdung bei Bewegung<lb/>
der Beine in sehr luftdünnen Regionen zu unter-<lb/>
suchen, da, nach der denkwürdigen Entdeckung<lb/>
zweier geistreichen Forscher, <hi rendition="#i">Wilhelm</hi> und <hi rendition="#i">Eduard<lb/>
Weber</hi>,<note xml:id="fn1" next="#fn1.1" place="foot" n="*"><hi rendition="#i">Mechanik der menschlichen Gehwerkzeuge</hi>. 1836. §. 64.<lb/>
S. 147&#x2013;160. Neuere, von den Gebrüdern <hi rendition="#i">Weber</hi> zu Berlin<lb/>
angestellte Versuche haben den Satz: dass das Bein in der</note> das schwebende Bein, am Rumpfe hangend,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Jahrbuch. 13</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[193/0020] Besteigung des Chimborazo. wenig Glauben verdienen, und wenn ein sicherer und überaus genauer Beobachter, Herr Gay-Lussac, der am 16ten September 1804 die ungeheure Höhe von 21600 Fuss erreichte, (also zwischen den Höhen des Chimborazo und des Illimani) kein Bluten erlitt, so ist dies vielleicht dem Mangel der Muskelbewegung zuzuschreiben. Nach dem jetzigen Stande der Eudio- metrie erscheint die Luft in jenen hohen Regionen eben so sauerstoffreich als in den unteren; aber da in dieser dünnen Luft, bei der Hälfte des Barome- terdrucks, dem wir gewöhnlich in den Ebenen aus- gesetzt sind, bei jedem Athemzuge, eine geringere Menge Sauerstoff von dem Blute aufgenommen wird, so ist allerdings begreiflich, wie ein allgemeines Gefühl der Schwäche eintreten kann. Warum diese Asthenie, wie im Schwindel, vorzugsweise Ueblich- keit und Lust zum Erbrechen erregt, ist hier nicht zu erörtern, so wenig als zu beweisen, dass das Aus- schwitzen des Blutes (das Bluten aus Lippen, Zahnfleisch und Augen), was auch nicht alle Individuen auf so gros- sen Höhen erfahren, keinesweges durch Aufhebung eines „mechanischen Gegendrucks“ auf das Gefäss-Sy- stem befriedigend erklärt werden kann. Es wäre viel- mehr die Wahrscheinlichkeit des Einflusses eines ver- minderten Luftdruckes auf Ermüdung bei Bewegung der Beine in sehr luftdünnen Regionen zu unter- suchen, da, nach der denkwürdigen Entdeckung zweier geistreichen Forscher, Wilhelm und Eduard Weber, * das schwebende Bein, am Rumpfe hangend, * Mechanik der menschlichen Gehwerkzeuge. 1836. §. 64. S. 147–160. Neuere, von den Gebrüdern Weber zu Berlin angestellte Versuche haben den Satz: dass das Bein in der Jahrbuch. 13

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Weitere Informationen:

Eine weitere Fassung dieses Textes finden Sie in der Ausgabe Sämtliche Schriften digital (2021 ff.) der Universität Bern.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_versuche_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_versuche_1837/20
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Ueber zwei Versuche den Chimborazo zu besteigen. In: Jahrbuch für 1837. Herausgegeben von H. C. Schumacher. Stuttgart und Tübingen, 1837, S. 176-206, hier S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_versuche_1837/20>, abgerufen am 21.11.2024.