Die Hebräer sind mehr zum Grübeln, als zum Denken geboren. So wie die Schnecke fest an dem einzelnen Laubblatt klebt, woraus sie ihren Nah- rungssaft saugt, ohne jemals den Zweig, an wel- chem es hängt, oder gar den Baum überschauen zu wollen; so klebt der Grübler am einzelnen Wort, am Buchstaben, an Zahlen, an symbolischen Zei- chen. Spitzfindigkeiten, die er auf eine klein-künst- lerische Weise, und ohne sich darum zu bekümmern: ob sie mit dem Ganzen in Verbindung und Ein- klang stehen, herauszwingt, sind seine Wonne, seine Lust, der einzige Nahrungssaft seines Geistes. Schwerfällig und befangen in dem eigenen engen Häuschen seines Wahns, wie die Schnecke, hält er, gleich ihr, den vergifteten Honigthau seines Laubblatts für den wohlthätigen balsamischen Saft des Blatts selbst. Der Denker klebt nicht, wie die träge Schnecke am Laubblatt; er will den ganzen Baum überschauen in allen seinen Theilen; er ergründet seine Wurzel, steigt hoch zum Gipfel hinauf, er- forscht Zweige, Blätter, Blüthen und Früchte, um
Die Kabbala.
Die Hebraͤer ſind mehr zum Gruͤbeln, als zum Denken geboren. So wie die Schnecke feſt an dem einzelnen Laubblatt klebt, woraus ſie ihren Nah- rungsſaft ſaugt, ohne jemals den Zweig, an wel- chem es haͤngt, oder gar den Baum uͤberſchauen zu wollen; ſo klebt der Gruͤbler am einzelnen Wort, am Buchſtaben, an Zahlen, an ſymboliſchen Zei- chen. Spitzfindigkeiten, die er auf eine klein-kuͤnſt- leriſche Weiſe, und ohne ſich darum zu bekuͤmmern: ob ſie mit dem Ganzen in Verbindung und Ein- klang ſtehen, herauszwingt, ſind ſeine Wonne, ſeine Luſt, der einzige Nahrungsſaft ſeines Geiſtes. Schwerfaͤllig und befangen in dem eigenen engen Haͤuschen ſeines Wahns, wie die Schnecke, haͤlt er, gleich ihr, den vergifteten Honigthau ſeines Laubblatts fuͤr den wohlthaͤtigen balſamiſchen Saft des Blatts ſelbſt. Der Denker klebt nicht, wie die traͤge Schnecke am Laubblatt; er will den ganzen Baum uͤberſchauen in allen ſeinen Theilen; er ergruͤndet ſeine Wurzel, ſteigt hoch zum Gipfel hinauf, er- forſcht Zweige, Blaͤtter, Bluͤthen und Fruͤchte, um
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[[68]/0102]
Die Kabbala.
Die Hebraͤer ſind mehr zum Gruͤbeln, als zum
Denken geboren. So wie die Schnecke feſt an dem
einzelnen Laubblatt klebt, woraus ſie ihren Nah-
rungsſaft ſaugt, ohne jemals den Zweig, an wel-
chem es haͤngt, oder gar den Baum uͤberſchauen
zu wollen; ſo klebt der Gruͤbler am einzelnen Wort,
am Buchſtaben, an Zahlen, an ſymboliſchen Zei-
chen. Spitzfindigkeiten, die er auf eine klein-kuͤnſt-
leriſche Weiſe, und ohne ſich darum zu bekuͤmmern:
ob ſie mit dem Ganzen in Verbindung und Ein-
klang ſtehen, herauszwingt, ſind ſeine Wonne, ſeine
Luſt, der einzige Nahrungsſaft ſeines Geiſtes.
Schwerfaͤllig und befangen in dem eigenen engen
Haͤuschen ſeines Wahns, wie die Schnecke, haͤlt
er, gleich ihr, den vergifteten Honigthau ſeines
Laubblatts fuͤr den wohlthaͤtigen balſamiſchen Saft
des Blatts ſelbſt. Der Denker klebt nicht, wie die
traͤge Schnecke am Laubblatt; er will den ganzen
Baum uͤberſchauen in allen ſeinen Theilen; er ergruͤndet
ſeine Wurzel, ſteigt hoch zum Gipfel hinauf, er-
forſcht Zweige, Blaͤtter, Bluͤthen und Fruͤchte, um
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Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 1. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822, S. [68]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule01_1822/102>, abgerufen am 21.11.2024.
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