Gleich nach der Abendandacht (Minchah) verrichtet man das Nachtgebet (Maaribh). Man verläßt aber nicht die Synagoge, damit nicht einer oder der Andere sich betrinken, und im Rausch das Gebet vergessen oder verschlafen möge. Es wird blos eine kleine Pause gemacht, um das Minchah und Maaribh zu trennen. Hier wird nun eben so, wie des Morgens, wie vor und nach Tische, und wie kurz vorher im Abendgebet um Wiederherstellung des Tempels und der Stadt Je- rusalem, um baldige Sendung des Messias und Elias, um Erlösung aus der edomitischen (christli- chen) Gefangenschaft, um Vertilgung der Christen, und dergleichen dummes Zeug mehr zu dem heiligen, hochgelobten Gott geflehet, denn in allen Gebeten der Juden athmet derselbe racheschnaubende Geist, der an vielen Psalmen Davids und seiner Nachah- mer so sehr mißfällt.
Bei dem Nachtgebet herrscht ein sehr sonder- barer Gebrauch. Wenn ein Jude mit dem andern eine Streitsache hat, deren schnelle Beendigung er wünscht, so tritt er aus der Gemeine hervor, geht zu dem Vorsänger, schlägt dessen Gesangbuch zu, und klopft mit der Hand darauf, indem er die Worte spricht: Ani kelao, ich beschließe es; das bedeutet: ich verbiete das Gebet, bis ich mit mei- nem Gegner verglichen bin. Geschieht dies, dann darf nicht eher wieder gebetet werden, als bis die
Gleich nach der Abendandacht (Minchah) verrichtet man das Nachtgebet (Maaribh). Man verlaͤßt aber nicht die Synagoge, damit nicht einer oder der Andere ſich betrinken, und im Rauſch das Gebet vergeſſen oder verſchlafen moͤge. Es wird blos eine kleine Pauſe gemacht, um das Minchah und Maaribh zu trennen. Hier wird nun eben ſo, wie des Morgens, wie vor und nach Tiſche, und wie kurz vorher im Abendgebet um Wiederherſtellung des Tempels und der Stadt Je- ruſalem, um baldige Sendung des Meſſias und Elias, um Erloͤſung aus der edomitiſchen (chriſtli- chen) Gefangenſchaft, um Vertilgung der Chriſten, und dergleichen dummes Zeug mehr zu dem heiligen, hochgelobten Gott geflehet, denn in allen Gebeten der Juden athmet derſelbe racheſchnaubende Geiſt, der an vielen Pſalmen Davids und ſeiner Nachah- mer ſo ſehr mißfaͤllt.
Bei dem Nachtgebet herrſcht ein ſehr ſonder- barer Gebrauch. Wenn ein Jude mit dem andern eine Streitſache hat, deren ſchnelle Beendigung er wuͤnſcht, ſo tritt er aus der Gemeine hervor, geht zu dem Vorſaͤnger, ſchlaͤgt deſſen Geſangbuch zu, und klopft mit der Hand darauf, indem er die Worte ſpricht: Ani kelao, ich beſchließe es; das bedeutet: ich verbiete das Gebet, bis ich mit mei- nem Gegner verglichen bin. Geſchieht dies, dann darf nicht eher wieder gebetet werden, als bis die
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Gleich nach der Abendandacht (Minchah)
verrichtet man das Nachtgebet (Maaribh). Man
verlaͤßt aber nicht die Synagoge, damit nicht einer
oder der Andere ſich betrinken, und im Rauſch
das Gebet vergeſſen oder verſchlafen moͤge. Es
wird blos eine kleine Pauſe gemacht, um das
Minchah und Maaribh zu trennen. Hier wird
nun eben ſo, wie des Morgens, wie vor und nach
Tiſche, und wie kurz vorher im Abendgebet um
Wiederherſtellung des Tempels und der Stadt Je-
ruſalem, um baldige Sendung des Meſſias und
Elias, um Erloͤſung aus der edomitiſchen (chriſtli-
chen) Gefangenſchaft, um Vertilgung der Chriſten,
und dergleichen dummes Zeug mehr zu dem heiligen,
hochgelobten Gott geflehet, denn in allen Gebeten
der Juden athmet derſelbe racheſchnaubende Geiſt,
der an vielen Pſalmen Davids und ſeiner Nachah-
mer ſo ſehr mißfaͤllt.
Bei dem Nachtgebet herrſcht ein ſehr ſonder-
barer Gebrauch. Wenn ein Jude mit dem andern
eine Streitſache hat, deren ſchnelle Beendigung er
wuͤnſcht, ſo tritt er aus der Gemeine hervor, geht
zu dem Vorſaͤnger, ſchlaͤgt deſſen Geſangbuch zu,
und klopft mit der Hand darauf, indem er die
Worte ſpricht: Ani kelao, ich beſchließe es; das
bedeutet: ich verbiete das Gebet, bis ich mit mei-
nem Gegner verglichen bin. Geſchieht dies, dann
darf nicht eher wieder gebetet werden, als bis die
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Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 2. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule02_1822/167>, abgerufen am 24.11.2024.
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