Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 3. Jerusalem [i. e. Aarau], 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

gen- und Abendlied, oder ein solches, welches man
in Kreuz, Trübsal und Anfechtung singt: Nicht
bloß an allen Stadtthoren, selbst in Zollhäusern
auf dem Lande ward mein Gepäck durchsucht, ob
auch verbotene Waare darin sey. Auf den Poli-
zeien mußte ich, trotz der Anzahl von Beamten,
Schreibern und Maulaffen Stundenlang warten,
ward sehr sorgsam über Alles befragt und mit stol-
zer Ungeschliffenheit abgefertigt. Von dem Regenten
hörte man nur leise und heimlich reden. Man soll
nicht von ihm sprechen, hieß es, und er ist es auch
nicht werth! Und dann folgten Erzählungen von
geheimen Spähern und Angebern, und Flüche und
Verwünschungen über den dermaligen Zustand der
Dinge und über den S -- vom K --, dem man
Tod und Teufel und Hölle auf den Leib wünschte.
Jn den Gasthöfen nahm man mir für schlechte Be-
wirthung und unreinliche Betten unmäßige Bezah-
lung ab, und ich dankte dem Himmel, als ich
endlich die Gränze des Nachbarlandes erreicht hatte.
Hier sah ich freilich wenig Paläste; und diese we-
nigen hatten das Ansehen großer Bescheidenheit,
welches ihnen vielleicht die Menge wohlgebaueter
Häuser gab, von denen sie umgeben waren. Al-
lenthalben begegnete ich aber gut gekleideten, freund-
lichen Menschen, auf deren Gesichtern man Froh-
sinn und Heiterkeit las. Selbst die Kinder der
Bauern zeigten durch Höflichkeit und gesittetes

gen- und Abendlied, oder ein ſolches, welches man
in Kreuz, Truͤbſal und Anfechtung ſingt: Nicht
bloß an allen Stadtthoren, ſelbſt in Zollhaͤuſern
auf dem Lande ward mein Gepaͤck durchſucht, ob
auch verbotene Waare darin ſey. Auf den Poli-
zeien mußte ich, trotz der Anzahl von Beamten,
Schreibern und Maulaffen Stundenlang warten,
ward ſehr ſorgſam uͤber Alles befragt und mit ſtol-
zer Ungeſchliffenheit abgefertigt. Von dem Regenten
hoͤrte man nur leiſe und heimlich reden. Man ſoll
nicht von ihm ſprechen, hieß es, und er iſt es auch
nicht werth! Und dann folgten Erzaͤhlungen von
geheimen Spaͤhern und Angebern, und Fluͤche und
Verwuͤnſchungen uͤber den dermaligen Zuſtand der
Dinge und uͤber den S — vom K —, dem man
Tod und Teufel und Hoͤlle auf den Leib wuͤnſchte.
Jn den Gaſthoͤfen nahm man mir fuͤr ſchlechte Be-
wirthung und unreinliche Betten unmaͤßige Bezah-
lung ab, und ich dankte dem Himmel, als ich
endlich die Graͤnze des Nachbarlandes erreicht hatte.
Hier ſah ich freilich wenig Palaͤſte; und dieſe we-
nigen hatten das Anſehen großer Beſcheidenheit,
welches ihnen vielleicht die Menge wohlgebaueter
Haͤuſer gab, von denen ſie umgeben waren. Al-
lenthalben begegnete ich aber gut gekleideten, freund-
lichen Menſchen, auf deren Geſichtern man Froh-
ſinn und Heiterkeit las. Selbſt die Kinder der
Bauern zeigten durch Hoͤflichkeit und geſittetes

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0150" n="150"/>
gen- und Abendlied, oder ein &#x017F;olches, welches man<lb/>
in Kreuz, Tru&#x0364;b&#x017F;al und Anfechtung &#x017F;ingt: Nicht<lb/>
bloß an allen Stadtthoren, &#x017F;elb&#x017F;t in Zollha&#x0364;u&#x017F;ern<lb/>
auf dem Lande ward mein Gepa&#x0364;ck durch&#x017F;ucht, ob<lb/>
auch verbotene Waare darin &#x017F;ey. Auf den Poli-<lb/>
zeien mußte ich, trotz der Anzahl von Beamten,<lb/>
Schreibern und Maulaffen Stundenlang warten,<lb/>
ward &#x017F;ehr &#x017F;org&#x017F;am u&#x0364;ber Alles befragt und mit &#x017F;tol-<lb/>
zer Unge&#x017F;chliffenheit abgefertigt. Von dem Regenten<lb/>
ho&#x0364;rte man nur lei&#x017F;e und heimlich reden. Man &#x017F;oll<lb/>
nicht von ihm &#x017F;prechen, hieß es, und er i&#x017F;t es auch<lb/>
nicht werth! Und dann folgten Erza&#x0364;hlungen von<lb/>
geheimen Spa&#x0364;hern und Angebern, und Flu&#x0364;che und<lb/>
Verwu&#x0364;n&#x017F;chungen u&#x0364;ber den dermaligen Zu&#x017F;tand der<lb/>
Dinge und u&#x0364;ber den S &#x2014; vom K &#x2014;, dem man<lb/>
Tod und Teufel und Ho&#x0364;lle auf den Leib wu&#x0364;n&#x017F;chte.<lb/>
Jn den Ga&#x017F;tho&#x0364;fen nahm man mir fu&#x0364;r &#x017F;chlechte Be-<lb/>
wirthung und unreinliche Betten unma&#x0364;ßige Bezah-<lb/>
lung ab, und ich dankte dem Himmel, als ich<lb/>
endlich die Gra&#x0364;nze des Nachbarlandes erreicht hatte.<lb/>
Hier &#x017F;ah ich freilich wenig Pala&#x0364;&#x017F;te; und die&#x017F;e we-<lb/>
nigen hatten das An&#x017F;ehen großer Be&#x017F;cheidenheit,<lb/>
welches ihnen vielleicht die Menge wohlgebaueter<lb/>
Ha&#x0364;u&#x017F;er gab, von denen &#x017F;ie umgeben waren. Al-<lb/>
lenthalben begegnete ich aber gut gekleideten, freund-<lb/>
lichen Men&#x017F;chen, auf deren Ge&#x017F;ichtern man Froh-<lb/>
&#x017F;inn und Heiterkeit las. Selb&#x017F;t die Kinder der<lb/>
Bauern zeigten durch Ho&#x0364;flichkeit und ge&#x017F;ittetes<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[150/0150] gen- und Abendlied, oder ein ſolches, welches man in Kreuz, Truͤbſal und Anfechtung ſingt: Nicht bloß an allen Stadtthoren, ſelbſt in Zollhaͤuſern auf dem Lande ward mein Gepaͤck durchſucht, ob auch verbotene Waare darin ſey. Auf den Poli- zeien mußte ich, trotz der Anzahl von Beamten, Schreibern und Maulaffen Stundenlang warten, ward ſehr ſorgſam uͤber Alles befragt und mit ſtol- zer Ungeſchliffenheit abgefertigt. Von dem Regenten hoͤrte man nur leiſe und heimlich reden. Man ſoll nicht von ihm ſprechen, hieß es, und er iſt es auch nicht werth! Und dann folgten Erzaͤhlungen von geheimen Spaͤhern und Angebern, und Fluͤche und Verwuͤnſchungen uͤber den dermaligen Zuſtand der Dinge und uͤber den S — vom K —, dem man Tod und Teufel und Hoͤlle auf den Leib wuͤnſchte. Jn den Gaſthoͤfen nahm man mir fuͤr ſchlechte Be- wirthung und unreinliche Betten unmaͤßige Bezah- lung ab, und ich dankte dem Himmel, als ich endlich die Graͤnze des Nachbarlandes erreicht hatte. Hier ſah ich freilich wenig Palaͤſte; und dieſe we- nigen hatten das Anſehen großer Beſcheidenheit, welches ihnen vielleicht die Menge wohlgebaueter Haͤuſer gab, von denen ſie umgeben waren. Al- lenthalben begegnete ich aber gut gekleideten, freund- lichen Menſchen, auf deren Geſichtern man Froh- ſinn und Heiterkeit las. Selbſt die Kinder der Bauern zeigten durch Hoͤflichkeit und geſittetes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule03_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule03_1823/150
Zitationshilfe: Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 3. Jerusalem [i. e. Aarau], 1823, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule03_1823/150>, abgerufen am 15.05.2024.