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Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913.

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sind, daß viele von ihnen den Wunsch ihrer Töchter
nach Entwicklung ihrer Fähigkeiten und ihres
Persönlichkeitsgefühles nicht begreifen, sich der
Ausführung dieses Wunsches mit aller Kraft
widersetzen und sich ihm entgegenstemmen. Das
sind aber Mütter von gestern. Vielleicht auch daß
es, wie Dr. Alice Salomon meint, sogar schon
Mütter gibt, die, moderner als ihre Töchter, für
diese eine wissenschaftliche Ausbildung und Zu-
kunft erstreben, die von ihnen nicht gewünscht und
abgelehnt wird. Daß auch diese Mütter eine Ent-
täuschung erleben, ist begreiflich. Das sind zum
Teil schon Mütter von morgen.

Jm allgemeinen jedoch ist das Verhältnis
zwischen Müttern und Töchtern gegenwärtig so,
daß die letzteren den ersteren tat-
sächlich über den Kopf wachsen.
Dieser
Zustand ist an und für sich erfreulich, da er, um
mit Nietzsche zu sprechen, eine "Hinaufpflanzung"
bedeutet. Unerfreulich ist nur die häufige
Überhebung seitens der Töchter
, die
es vergessen, daß sie in erster Reihe ihren Müttern
dafür zu danken haben, daß es ihnen vergönnt ist,
sich anderes Rüstzeug aus den Geisteskammern
des Universums zu holen, als es jenen zur Ver-
fügung stand. Beinahe ebenso unerfreulich, wenn
auch rührender und versöhnlicher wirkt die kritik-
lose Bewunderung, die die Mütter von heute dem

sind, daß viele von ihnen den Wunsch ihrer Töchter
nach Entwicklung ihrer Fähigkeiten und ihres
Persönlichkeitsgefühles nicht begreifen, sich der
Ausführung dieses Wunsches mit aller Kraft
widersetzen und sich ihm entgegenstemmen. Das
sind aber Mütter von gestern. Vielleicht auch daß
es, wie Dr. Alice Salomon meint, sogar schon
Mütter gibt, die, moderner als ihre Töchter, für
diese eine wissenschaftliche Ausbildung und Zu-
kunft erstreben, die von ihnen nicht gewünscht und
abgelehnt wird. Daß auch diese Mütter eine Ent-
täuschung erleben, ist begreiflich. Das sind zum
Teil schon Mütter von morgen.

Jm allgemeinen jedoch ist das Verhältnis
zwischen Müttern und Töchtern gegenwärtig so,
daß die letzteren den ersteren tat-
sächlich über den Kopf wachsen.
Dieser
Zustand ist an und für sich erfreulich, da er, um
mit Nietzsche zu sprechen, eine „Hinaufpflanzung“
bedeutet. Unerfreulich ist nur die häufige
Überhebung seitens der Töchter
, die
es vergessen, daß sie in erster Reihe ihren Müttern
dafür zu danken haben, daß es ihnen vergönnt ist,
sich anderes Rüstzeug aus den Geisteskammern
des Universums zu holen, als es jenen zur Ver-
fügung stand. Beinahe ebenso unerfreulich, wenn
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[170/0174] sind, daß viele von ihnen den Wunsch ihrer Töchter nach Entwicklung ihrer Fähigkeiten und ihres Persönlichkeitsgefühles nicht begreifen, sich der Ausführung dieses Wunsches mit aller Kraft widersetzen und sich ihm entgegenstemmen. Das sind aber Mütter von gestern. Vielleicht auch daß es, wie Dr. Alice Salomon meint, sogar schon Mütter gibt, die, moderner als ihre Töchter, für diese eine wissenschaftliche Ausbildung und Zu- kunft erstreben, die von ihnen nicht gewünscht und abgelehnt wird. Daß auch diese Mütter eine Ent- täuschung erleben, ist begreiflich. Das sind zum Teil schon Mütter von morgen. Jm allgemeinen jedoch ist das Verhältnis zwischen Müttern und Töchtern gegenwärtig so, daß die letzteren den ersteren tat- sächlich über den Kopf wachsen. Dieser Zustand ist an und für sich erfreulich, da er, um mit Nietzsche zu sprechen, eine „Hinaufpflanzung“ bedeutet. Unerfreulich ist nur die häufige Überhebung seitens der Töchter, die es vergessen, daß sie in erster Reihe ihren Müttern dafür zu danken haben, daß es ihnen vergönnt ist, sich anderes Rüstzeug aus den Geisteskammern des Universums zu holen, als es jenen zur Ver- fügung stand. Beinahe ebenso unerfreulich, wenn auch rührender und versöhnlicher wirkt die kritik- lose Bewunderung, die die Mütter von heute dem

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Zitationshilfe: Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913/174>, abgerufen am 21.11.2024.