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Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913.

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und Kaufmannsgerichten usw., umsomehr erkannte
sie den Wert einer gründlichen Allgemein- und
Fachbildung für das Erwerbsleben und die Not-
wendigkeit, sie sich zu erkämpfen. Je innigeren
und tatkräftigeren Anteil die Frau an den sozialen
Aufgaben der Gegenwart nahm, umsomehr drängte
sich ihr die Erkenntnis auf, daß nur direkter ver-
antwortlicher Einfluß auf die Sozialpolitik die be-
stehenden Übel an ihrer Wurzel erfassen könne. Sie
erkannte, daß Arbeiterinnenschutz, Mutterschutz,
Kinderschutz, Jungmädchenschutz, die Erziehung und
Ausbildung des weiblichen Geschlechts vor allem
Fraueneinfluß verlangten. Durch ihr Eindringen
in die sozialen Nöte der Gegenwart wurden ihr die
furchtbaren Konsequenzen der Geschlechtshörigkeit
der Frau offenbar, die in den ungleichen Ehe-
gesetzen, in der Straflosigkeit des Verführers, in
der moralischen und materiellen Belastung der
Frau mit den Folgen der unehelichen Mutterschaft,
der Reglementierung der Prostitution usw. ihren
unverfälschtesten Ausdruck finden. Diese Konse-
quenzen bewiesen unwiderleglich, daß ein Staat,
der sich aus Männern und Frauen zusammensetzt,
nicht von Männern allein regiert werden kann,
daß noch viel weniger als eine Klasse die andere
Klasse, ein Geschlecht das andere vertreten kann.
Der Staat wäre niemals so einseitig Männerstaat
geworden, der für die Erziehung der Knaben sieben-

und Kaufmannsgerichten usw., umsomehr erkannte
sie den Wert einer gründlichen Allgemein- und
Fachbildung für das Erwerbsleben und die Not-
wendigkeit, sie sich zu erkämpfen. Je innigeren
und tatkräftigeren Anteil die Frau an den sozialen
Aufgaben der Gegenwart nahm, umsomehr drängte
sich ihr die Erkenntnis auf, daß nur direkter ver-
antwortlicher Einfluß auf die Sozialpolitik die be-
stehenden Übel an ihrer Wurzel erfassen könne. Sie
erkannte, daß Arbeiterinnenschutz, Mutterschutz,
Kinderschutz, Jungmädchenschutz, die Erziehung und
Ausbildung des weiblichen Geschlechts vor allem
Fraueneinfluß verlangten. Durch ihr Eindringen
in die sozialen Nöte der Gegenwart wurden ihr die
furchtbaren Konsequenzen der Geschlechtshörigkeit
der Frau offenbar, die in den ungleichen Ehe-
gesetzen, in der Straflosigkeit des Verführers, in
der moralischen und materiellen Belastung der
Frau mit den Folgen der unehelichen Mutterschaft,
der Reglementierung der Prostitution usw. ihren
unverfälschtesten Ausdruck finden. Diese Konse-
quenzen bewiesen unwiderleglich, daß ein Staat,
der sich aus Männern und Frauen zusammensetzt,
nicht von Männern allein regiert werden kann,
daß noch viel weniger als eine Klasse die andere
Klasse, ein Geschlecht das andere vertreten kann.
Der Staat wäre niemals so einseitig Männerstaat
geworden, der für die Erziehung der Knaben sieben-

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[325/0329] und Kaufmannsgerichten usw., umsomehr erkannte sie den Wert einer gründlichen Allgemein- und Fachbildung für das Erwerbsleben und die Not- wendigkeit, sie sich zu erkämpfen. Je innigeren und tatkräftigeren Anteil die Frau an den sozialen Aufgaben der Gegenwart nahm, umsomehr drängte sich ihr die Erkenntnis auf, daß nur direkter ver- antwortlicher Einfluß auf die Sozialpolitik die be- stehenden Übel an ihrer Wurzel erfassen könne. Sie erkannte, daß Arbeiterinnenschutz, Mutterschutz, Kinderschutz, Jungmädchenschutz, die Erziehung und Ausbildung des weiblichen Geschlechts vor allem Fraueneinfluß verlangten. Durch ihr Eindringen in die sozialen Nöte der Gegenwart wurden ihr die furchtbaren Konsequenzen der Geschlechtshörigkeit der Frau offenbar, die in den ungleichen Ehe- gesetzen, in der Straflosigkeit des Verführers, in der moralischen und materiellen Belastung der Frau mit den Folgen der unehelichen Mutterschaft, der Reglementierung der Prostitution usw. ihren unverfälschtesten Ausdruck finden. Diese Konse- quenzen bewiesen unwiderleglich, daß ein Staat, der sich aus Männern und Frauen zusammensetzt, nicht von Männern allein regiert werden kann, daß noch viel weniger als eine Klasse die andere Klasse, ein Geschlecht das andere vertreten kann. Der Staat wäre niemals so einseitig Männerstaat geworden, der für die Erziehung der Knaben sieben-

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2020-12-07T10:34:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913/329>, abgerufen am 22.11.2024.