Das soziale Leben und die sozialen An- schauungen sind in ständigem Fluß, in ständigem Wechsel begriffen. Es gibt aber wohl schwerlich eine andere sozialpolitisch gleichbedeutende Frage, über die sich die Ansichten im Laufe verhältnis- mäßig kurzer Zeit so von Grund auf gewandelt hätten, wie über die Heimarbeit.
Jn seiner 1886 erschienenen Volkswirtschafts- lehre äußert sich der Nationalökonom Professor Gustav Schönberg über das Verhältnis von Haus- und Fabrikindustrie wie folgt: "Unleugbar hat jene Jndustriearbeit vor dieser für die Arbeiter und ihr Familienleben erhebliche Vorteile. Die Arbeit ist eine Arbeit in der Familie, Eltern und Kinder, Ehegatten sind nicht getrennt; der Vater kann die Erziehung seiner Kinder leiten, die Frauen können für ihren Haushalt und die Kinder sorgen, die Mädchen stehen unter der Kontrolle und dem Schutz der Familie. Die Arbeitszeit ist keine festbestimmte, nicht von dem Willen eines Dritten, sondern vom Arbeiter abhängig; die Arbeitsart ist in der Regel eine die Gesundheit nicht schädigende. ... Dabei gestattet sie - ohne Gefahr für das Personen- und Familienleben - die Verwendung aller produktiven Erwerbskräfte der Familie. ... Sie kann zu einer übermäßigen, gesundheits- schädlichen Verwendung der kindlichen Arbeits-
Die Heimarbeiterin
Das soziale Leben und die sozialen An- schauungen sind in ständigem Fluß, in ständigem Wechsel begriffen. Es gibt aber wohl schwerlich eine andere sozialpolitisch gleichbedeutende Frage, über die sich die Ansichten im Laufe verhältnis- mäßig kurzer Zeit so von Grund auf gewandelt hätten, wie über die Heimarbeit.
Jn seiner 1886 erschienenen Volkswirtschafts- lehre äußert sich der Nationalökonom Professor Gustav Schönberg über das Verhältnis von Haus- und Fabrikindustrie wie folgt: „Unleugbar hat jene Jndustriearbeit vor dieser für die Arbeiter und ihr Familienleben erhebliche Vorteile. Die Arbeit ist eine Arbeit in der Familie, Eltern und Kinder, Ehegatten sind nicht getrennt; der Vater kann die Erziehung seiner Kinder leiten, die Frauen können für ihren Haushalt und die Kinder sorgen, die Mädchen stehen unter der Kontrolle und dem Schutz der Familie. Die Arbeitszeit ist keine festbestimmte, nicht von dem Willen eines Dritten, sondern vom Arbeiter abhängig; die Arbeitsart ist in der Regel eine die Gesundheit nicht schädigende. … Dabei gestattet sie – ohne Gefahr für das Personen- und Familienleben – die Verwendung aller produktiven Erwerbskräfte der Familie. … Sie kann zu einer übermäßigen, gesundheits- schädlichen Verwendung der kindlichen Arbeits-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0059"n="55"/><divn="3"><head>Die Heimarbeiterin</head><lb/><p>Das soziale Leben und die sozialen An-<lb/>
schauungen sind in ständigem Fluß, in ständigem<lb/>
Wechsel begriffen. Es gibt aber wohl schwerlich<lb/>
eine andere sozialpolitisch gleichbedeutende Frage,<lb/>
über die sich die Ansichten im Laufe verhältnis-<lb/>
mäßig kurzer Zeit so von Grund auf gewandelt<lb/>
hätten, wie über die Heimarbeit.</p><lb/><p>Jn seiner 1886 erschienenen Volkswirtschafts-<lb/>
lehre äußert sich der Nationalökonom Professor<lb/>
Gustav Schönberg über das Verhältnis von Haus-<lb/>
und Fabrikindustrie wie folgt: „Unleugbar hat<lb/>
jene Jndustriearbeit vor dieser für die Arbeiter<lb/>
und ihr Familienleben erhebliche Vorteile. Die<lb/>
Arbeit ist eine Arbeit in der Familie, Eltern und<lb/>
Kinder, Ehegatten sind nicht getrennt; der Vater<lb/>
kann die Erziehung seiner Kinder leiten, die<lb/>
Frauen können für ihren Haushalt und die Kinder<lb/>
sorgen, die Mädchen stehen unter der Kontrolle und<lb/>
dem Schutz der Familie. Die Arbeitszeit ist keine<lb/>
festbestimmte, nicht von dem Willen eines Dritten,<lb/>
sondern vom Arbeiter abhängig; die Arbeitsart ist<lb/>
in der Regel eine die Gesundheit nicht schädigende.<lb/>… Dabei gestattet sie – ohne Gefahr für das<lb/>
Personen- und Familienleben – die Verwendung<lb/>
aller produktiven Erwerbskräfte der Familie.<lb/>… Sie kann zu einer übermäßigen, gesundheits-<lb/>
schädlichen Verwendung der kindlichen Arbeits-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[55/0059]
Die Heimarbeiterin
Das soziale Leben und die sozialen An-
schauungen sind in ständigem Fluß, in ständigem
Wechsel begriffen. Es gibt aber wohl schwerlich
eine andere sozialpolitisch gleichbedeutende Frage,
über die sich die Ansichten im Laufe verhältnis-
mäßig kurzer Zeit so von Grund auf gewandelt
hätten, wie über die Heimarbeit.
Jn seiner 1886 erschienenen Volkswirtschafts-
lehre äußert sich der Nationalökonom Professor
Gustav Schönberg über das Verhältnis von Haus-
und Fabrikindustrie wie folgt: „Unleugbar hat
jene Jndustriearbeit vor dieser für die Arbeiter
und ihr Familienleben erhebliche Vorteile. Die
Arbeit ist eine Arbeit in der Familie, Eltern und
Kinder, Ehegatten sind nicht getrennt; der Vater
kann die Erziehung seiner Kinder leiten, die
Frauen können für ihren Haushalt und die Kinder
sorgen, die Mädchen stehen unter der Kontrolle und
dem Schutz der Familie. Die Arbeitszeit ist keine
festbestimmte, nicht von dem Willen eines Dritten,
sondern vom Arbeiter abhängig; die Arbeitsart ist
in der Regel eine die Gesundheit nicht schädigende.
… Dabei gestattet sie – ohne Gefahr für das
Personen- und Familienleben – die Verwendung
aller produktiven Erwerbskräfte der Familie.
… Sie kann zu einer übermäßigen, gesundheits-
schädlichen Verwendung der kindlichen Arbeits-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription.
(2020-12-07T10:34:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2020-12-07T10:34:09Z)
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: gekennzeichnet;
Druckfehler: gekennzeichnet;
fremdsprachliches Material: keine Angabe;
Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
i/j in Fraktur: keine Angabe;
Kolumnentitel: keine Angabe;
Kustoden: keine Angabe;
langes s (ſ): als s transkribiert;
Normalisierungen: keine Angabe;
rundes r (ꝛ): keine Angabe;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: wie Vorlage;
u/v bzw. U/V: keine Angabe;
Vokale mit übergest. e: keine Angabe;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913/59>, abgerufen am 11.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.